Wettbewerb in erster Runde

Acht deutsche Städte bewerben sich um den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2025"

 

Magdeburg will raus aus der Leere

 

Ideengeber für das Bewerbungskonzept Magdeburgs ist der 1602 in Magdeburg geborene Otto von Guericke, Bürgermeister der Stadt und erfindungsreicher Naturwissenschaftler, der im 17. Jahrhundert mithilfe von Kolbenpumpen die Vakuumtechnik begründete. Bekannt bis heute sind vor allem seine Experimente mit den Magdeburger Halbkugeln, deren Inneres leergepumpt wird, wodurch beide Kugelhälften fest aneinanderhaften. „Das Vakuum ist eine sehr starke Kraft“, fasst Tamás Szalay, Leiter des Bewerbungsbüros Magdeburg2025 und Kulturhauptstadt-Experte, die Quintessenz der Entdeckung von Guerickes zusammen. Diese Kraft will Magdeburg, wenn es den Titel Europas Kulturhauptstadt erhalten sollte, walten lassen, und zwar unter dem Motto „Out of the Void – Raus aus der Leere“. Denn in vielen Bürgergesprächen habe sich gezeigt, dass Magdeburg immer wieder als „Stadt der Leere“ wahrgenommen würde, nicht zuletzt weil das Magdeburger Stadtbild voller Leerstellen sei. Es fehle mitunter der soziale Zusammenhalt, sowohl auf lokaler wie auf europäischer Ebene. „Außerdem sind wir wie ein blinder Fleck auf der europäischen Landkarte“, sagt Szalay, „sogar innerhalb Deutschlands werden wir wenig wahrgenommen“. Die Bewerbung um den Titel sieht die Stadt deshalb als Chance, diese Unterbelichtung zu erhellen. Immerhin – Licht durchdringt das Vakuum, der Schall allerdings tut das nicht. Ob die Metapher vom kräftigen Nichts deshalb wirklich geeignet ist, um damit als Motto ein Kulturhauptstadtjahr auszurichten, wird man sehen, falls Magdeburg auf die Shortlist kommt. „Das Bild von der Leere betrachten wir als Motto der Bewerbungsphase, mit Weiterentwicklungspotenzial“, so Szalay. Im Fall, dass man es auf die Shortlist schafft, werden bei einzelnen Programmplanungen auch konkrete Partner genannt. Vorerst erfährt man hier nur vage Angaben. Die Stadt hat ihr auf Englisch verfasstes Bidbook bislang nicht öffentlich gemacht. Nur eine sehr knapp gehaltene Zusammenfassung auf Deutsch gibt es auf

magdeburg2025.de zu lesen. Nach Shortlist-Bekanntgabe wird ab Mitte Dezember das originale Bidbook publik.

 

Obwohl also noch nicht viel spruchreif ist, erkennt man dennoch, dass das Prozesshafte, das mit einer Bewerbungsphase zur Kulturhauptstadt einhergeht, auch in Magdeburg bereits gut in Gang gekommen ist. Akteure haben sich vernetzt. Mit dem sogenannten KUBUS 2025 ist im April 2016 ein Pavillon, das heißt eine schöne, lichtdurchflutete Architektur, eröffnet worden, wo regelmäßig zu Kulturgesprächen und Vorträgen eingeladen wird. Einige Projekte für die Kulturhauptstadt sind bereits angedacht.
Drei große Themengruppen sind für Magdeburg2025 aufgestellt worden: Anziehungskraft, Natur des Raumes und Neue Frequenzen. In jeder Gruppe finden sich Projekte wieder, die jeweils Lebensbereiche betreffen, die sowohl für Magdeburg als Stadt als auch für Europa wichtig zu entwickeln sind. Ein Beispiel bei der Themengruppe Anziehungskraft – „Force of Attraction“ – ist das Projekt „Shared City“, die „Teilende Stadt“, das das historische Erbe des Magdeburger Rechts wiederbeleben will. Im Mittelalter entstand im 13. bzw. 14. Jahrhundert in Magdeburg ein Stadtrecht, das in der Rechtsgeschichte, was heutige Maßstäbe von Bürger- und Menschenrechte betrifft, einen großen Fortschritt darstellte. Z. B. wurden Kaufleute vor Willkür geschützt, Familienrechenschaft und Sippenhaft wurden abgeschafft. Das Magdeburger Recht wurde von mehr als 1.000 ost- und mitteleuropäischen Städten übernommen. „Diese Geschichte wollen wir neu interpretieren“, sagt Szalay. Das Projekt Shared City wird einige Städte zusammenbringen, in denen ehemals das Magdeburger Recht galt. Mit ihnen soll diskutiert werden, was emanzipierte Bürgerfreiheit in Europa heute bedeutet.

 

In der Themengruppe „Natur des Raumes“ sollen Projekte den Fokus auf eine neue Attraktivität des städtischen Lebens legen, wobei es hier in den wenigen Zeilen der Bewerbungskurzfassung ein bisschen durcheinandergeht: Die Zerstörung und der Wiederaufbau Magdeburgs nach dem Krieg sowie die Parks und Grünflächen der Stadt sollen als Stimulus dienen, um sich regionalen und globalen Themen wie Biodiversität, Gewässerschutz und Lebensmittelproduktion zu widmen. Weiteres wird nicht erklärt. Bleibt zu hoffen, dass der Jury schlüssigere Erklärungen vorliegen. Ansonsten erscheinen Absichtsbekundungen wie etwa, dass die Elbe als „Wahrzeichen der Stadt“ noch stärker in die Innenstadt integriert werden soll, erschreckend inhaltsleer. Ob das gewollt als Vakuum gedacht ist oder ob es dafür schon Pläne gibt, wird die Öffentlichkeit ab der zweiten Runde der Bewerbung erfahren.

 

Im Finanzhaushalt 2019 hat Magdeburg für seine Kultur 45,5 Millionen Euro ausgegeben. Das sind 6,3 Prozent des Gesamtbudgets der Stadt. Für die operativen Ausgaben im Titeljahr plant die Stadt ein Gesamtbudget von 60,25 Millionen Euro, das sich zu je einem Drittel aus 20 Millionen Euro von Stadt, Land und Bund zusammensetzt.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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