Neue Heimat Dresden 2025 – Modell für Europa
Auch in Dresden verrät die Bewerbung einiges über die Sehnsucht eines Neustarts: Sich nochmals mit allen Bürgerinnen und Bürgern der großen Kulturtradition der Stadt bewusst werden, um dann mit dem stärkenden Zusammenhalt Europas in die Zukunft zu starten. So in etwa liest sich das Motto der Bewerbung „Neue Heimat“. Das Motto soll übrigens keinerlei Anspielung auf das gleichnamige, ehemals vom Skandal erschütterte westdeutsche Bau- und Wohnungsunternehmen beinhalten. Bei manch einem klingt so was als Assoziation aber vielleicht mit, denn Dresden hatte im vergangenen Jahrzehnt seinen gesamten kommunalen Wohnungsbestand an Privatinvestoren verkauft und sich damit schuldenfrei gemacht. Was dieser – bis heute umstrittene – kommunalpolitische Schritt damals vor allem zeigte: Dresden ist mutig. Dresden riskiert auch Neues. Insofern passt das Motto gut.
Wesentlich für die Dresdner Bewerbung ist, dass das Programm für die Kulturhauptstadt Europas 2025 gleichgewichtig aus einem kuratierten und einem nichtkuratierten Teil, der sogenannten „Plattform“, bestehen wird. Einerseits soll es also Veranstaltungen und Investitionsprojekte geben, die von professionellen Kulturschaffenden entwickelt und durchgeführt werden, andererseits soll im gleichen Umfang – auch in der Förderung finanziell gleichgestellt – jene „Plattform“ Menschen unterschiedlicher Couleur zusammenbringen, die frei eigene Kulturprojekte angehen, ohne dabei inhaltlich von Verwaltung oder Management der Kulturhauptstadt beeinflusst zu werden. „Unser Plattformprozess läuft bereits seit 2019 sehr intensiv“, sagt David Klein, Leiter des Kulturhauptstadtbüros Dresden 2025: „Davor fanden auch schon Vorgängerprogramme statt.“ Im Dresdner Bidbook liest man z. B. von den „Orten des Miteinanders“, wo sich in allen Dresdner Stadtteilen Vereine, Initiativen und Gruppen selbst zusammengefunden haben, um bereits zur Bewerbungsphase Kulturprojekte vorzuschlagen. Allein fehlt es mitunter den Vorhaben an geeigneten Spielorten in ihrem Stadtteil. Dresden strebt deshalb an, bis 2025 in jedem Stadtteil ein Kultur- und Nachbarschaftszentrum zu etablieren. Entsprechend ausgleichend soll dafür das Programm „X-Dörfer“ wirken, das in zehn kleineren Umlandgemeinden des Oberen Elbtals/Osterzgebirge partizipative und nachhaltige Kulturformate ermöglichen soll. Erste „Plattform“-Ideen von neun Gruppen, die sich gebildet haben, werden gegenwärtig in einer Ausstellung im Hygienemuseum gezeigt. Dresden macht seine Bewerbung vollauf transparent. Das liest sich im klar strukturierten Bidbook alles sehr gut.
Aber Dresden ist mindestens mit Zwinger, Semperoper und Co. absolute Kulturstadt. Schon immer und auch schon immer bedeutend für Europa. Die kulturelle Infrastruktur ist in der jüngsten Vergangenheit beispielsweise mit dem sanierten Kulturpalast als exzellentem Konzertsaal oder dem großartig neu gestalteten Münzkabinett bestens gediehen. Warum also will Dresden jetzt noch Kulturhauptstadt werden? Die Frage sei durchaus berechtigt, gibt Klein zu: „Dresden bewirbt sich nicht, um im Bereich der kulturellen Hardware Fortschritte zu machen. Aber bei der kulturellen Software haben wir Bedarf.“ Programmierung und inhaltliche Ausrichtung der Kultureinrichtungen Dresdens hätten zwar hohes Ansehen, Erfolg und internationale Strahlkraft. Die Dresdener treibe jedoch die Erkenntnis um, dass dies inmitten der gesellschaftlichen Umbrüche im 21. Jahrhundert nicht mehr reiche. Mitwirkung und kulturelle Teilhabe sollen bessere Chancen erhalten, was wohl als Hauptmotivation für Dresdens Bewerbung als Kulturhauptstadt gewertet werden kann. Bei der Jury dürfte das als Pluspunkt durchgehen. Dresden ist die Stadt, in der vor fünf Jahren die islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen aufkamen. Mit der Bewerbung „Neue Heimat“ setzt Dresden sein Zeichen, dass die Stadt entgegen Pegida für die offene Gesellschaft steht und damit für die Werte Europas.
Für seine Kultur gibt Dresden 2019 rund 133,8 Millionen Euro aus, was 7,6 Prozent des Jahresgesamtbudgets entspricht. Darüber hinaus hat Dresden jeweils eine weitere halbe Million Euro pro Jahr von 2019 bis 2023 für die Ausgaben der Bewerbung als Kulturhauptstadt eingeplant. Das operative Gesamtbudget für das Projekt Kulturhauptstadt soll 2020 bis 2026 insgesamt 70,6 Millionen Euro betragen. Die Summe bewegt sich, im Vergleich mit dem, was andere Kulturhauptstädte Europas in der Vergangenheit ausgegeben haben, etwa im Mittelfeld. Verglichen mit Chemnitz sind die Dresdner Beträge allerdings etwas größer. Gemeinsam mit Zittau sind Chemnitz und Dresden in der glücklichen Situation, dass sich der Freistaat Sachsen bereits festgelegt hat, im Falle des Titelerfolges eines sächsischen Bewerbers bis zu 20 Millionen Euro an die Gewinnerstadt zu geben. Kurzum: In Dresden wird nicht gekleckert. Man hat die Finanzierung voll im Griff. Ob es für Dresdens starke Bewerbung als Kurator den prominenten Kulturmacher Michael Schindhelm braucht, der zwar namhaft einen gewissen Werbeeffekt erzielt, aber dessen Terminkalender reichlich überstrapaziert ist, sei dahingestellt. Ohne Team jedenfalls würde dieses Zugpferd keine neue Heimat pflügen.