KW 45: Integration: Verantwortung der Medien, Kommentare, Ausschreibung Herstellung Politik & Kultur, …

... 29.11. Zweiter Klimastreik, Vier Jahre Agenda 2030, Neu: Buch zur Kolonialismus-Debatte, Kulturpolitischer Text der Woche, Beate Klompmaker: Neue Vorsitzende des Fachausschusses Medien

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist privilegiert. Er wird durch Beiträge finanziert und steht nicht in einer ökonomischen, sondern ausschließlich in einer Aufmerksamkeitskonkurrenz zum privaten Rundfunk und anderen Medienangeboten. Die privilegierte Position wird „erkauft“ durch einen gesetzlich festgelegten Auftrag und die Kontrolle durch gesellschaftliche Gruppen in den Rundfunkräten.

 

In § 11 des Rundfunkstaatsvertrags der Länder wird als Auftrag formuliert: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ In den Landesrundfunkgesetzen werden die Vorgaben für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch weiter präzisiert.

 

Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist also mit einem Pflichtenheft verbunden. Diese Pflichten sollen sicherstellen, dass die öffentlich-rechtlichen Angebote nicht zu Hass und Hetze missbraucht werden, sondern im Gegenteil zur Meinungsbildung und zum demokratischen Diskurs beitragen. Hier wirkt der Gedanke der Demokratiebildung durch Medien nach, den die Alliierten in Westdeutschland implementieren wollten, als sie mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), dem Vorläufer des NDR und des WDR, im September 1945 die erste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gründeten. Vorbild war die britische BBC. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, finanziert durch Beiträge und kontrolliert durch gesellschaftliche Gruppen, ist das bewusste Gegenmodell zum Staatsrundfunk.

 

Doch kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Pflichten nach und fördert er den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Zumindest bei den großen Talkshows (Anne Will, Maischberger, Hart aber fair, Maybrit Illner) habe ich meine Zweifel. Der Erkenntnisgewinn durch diese Sendungen ist meines Erachtens gering, der Unterhaltungswert dafür umso größer, die Wiederholung der immer gleichen Meinungen von den immer gleichen Menschen mit den Händen zu greifen. Insbesondere 2015 und 2016 haben diese Talkshows eher einen Beitrag zur gesellschaftlichen Spaltung geleistet, als dass sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert haben. Ich habe daher im Sommer 2018 eine einjährige Denkpause für diese Talkshows gefordert, damit sie ihre Konzeptionen überarbeiten können, wohlwissend, dass dieser Vorschlag wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen würde.

 

Es wäre jedoch ungerecht, die Integrationsleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allein auf diese Talkshows zu begrenzen. In verschiedenen Sendungen und Formaten sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen wird meist verantwortungsvoll mit dem Thema Integration umgegangen, und zwar sowohl in journalistischen als auch in fiktionalen Formaten. Ein Beispiel soll dieses belegen: Der WDR hatte im Jahr 1961 ein Hörfunkprogramm gestartet, das sich an sogenannte Gastarbeiter richtete und das in verschiedenen Sprachen sendete. Hieraus ging im Jahr 1998 Funkhaus Europa hervor, das weiterhin einstündige Magazinsendungen in verschiedenen Sprachen für Zuwanderer sendete. Seit 2009 war Funkhaus Europa auch im Programm von Radio Bremen und dem rbb zu hören. 2017 löste COSMO Funkhaus Europa ab. Weiterhin sendet COSMO in den Abendstunden halbstündige Magazinsendungen in verschiedenen Sprachen. Die Redaktion von COSMO ist so multiethnisch wie unsere Gesellschaft. Die Entwicklung von COSMO zeigt, wie aus einem »Gastarbeiterradio« ein Radioprogramm für eine multiethnische Gesellschaft wird, das sich an alle richtet, und es unterstreicht die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Integration und demokratische Meinungsbildung. Denn Teilhabe an der Demokratie betrifft nicht nur die Menschen, die in Deutschland geboren sind. Auch jene, die nach Deutschland kommen, brauchen Medien, um sich hier zu orientieren, um sich eine Meinung zu bilden und mitsprechen zu können.

 

Diese Meinungsbildung und Ermöglichung der Mitsprache ist allerdings nicht allein Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch die privatwirtschaftlich orientierten elektronischen Medien wie der private Hörfunk und das Fernsehen sowie Zeitungen und Zeitschriften stehen in der Verantwortung, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten. Sie tragen ebenfalls zur Meinungsbildung bei und damit zum demokratischen Diskurs.

 

Alle Medien stehen derzeit unter Druck. Die privaten unter einem immensen ökonomischen. Den Zeitungen brechen die Anzeigenkunden weg, Leser verabschieden sich von den gedruckten Ausgaben und nach wie vor mangelt es an attraktiven digitalen Angeboten. Gemeinsam setzen sich öffentlich-rechtliche und private Sendeunternehmen für gleiche Wettbewerbsbedingungen im digitalen Umfeld ein und werben dafür, die Medienplattformen und Video-Sharing-Dienste stärker in die Pflicht zu nehmen und ihnen Verantwortung für die dargebotenen Inhalte zu zuweisen. Allzu lange schon drücken sich Facebook, Google und Co. vor der Verantwortung mit dem Verweis, nur Transporteur und nicht Anbieter von Inhalten zu sein. Eine solche Haltung negiert, dass Medien mehr sind als eine Ware. Sie transportieren zugleich Inhalte und Werte. Gerade am Beispiel der Integration zeigt sich, dass Medien einen Beitrag zur Integration und zur Debatte zum Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft leisten können. Oder aber auch dazu beitragen, dass Hass und Hetze gegenüber Zuwanderern verbreitet werden.

 

Streit gehört zu einer demokratischen Gesellschaft. Medien können einen Beitrag zur Streitkultur leisten, indem sie objektiv berichten und damit Hintergrundwissen für den notwendigen Streit zur Verfügung stellen. Meinungen sind ein fester Bestandteil der Medien, sie müssen als solche deutlich kenntlich gemacht werden. Das ist gerade bei einem Thema wie Integration, das die Gesellschaft stark polarisiert, dringend erforderlich. Und selbstverständlich gehört zu diesem Diskurs, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu Wort kommen zu lassen. Immer noch sind zu wenig Menschen mit Migrationsgeschichte vor und hinter den Kameras und Mikrofonen zu sehen oder zu hören bzw. in den Zeitungen zu lesen. Dieses Potenzial zu heben, stärkt nicht nur den demokratischen Diskurs, sondern trägt zur Vielfalt in den Medien bei.

 

Ob Integration in unserem Land gelingt, liegt zu einem beträchtlichen Teil in der Verantwortung der Medien. Die Medien sind oftmals der gesellschaftliche Katalysator, der Zusammenhalt fördert oder Spaltung begünstigt. Viele Medienschaffende stellen sich ihrer Verantwortung, aber leider längst nicht alle. Hier gibt es noch viel zu tun.

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann


 

Integration & Medien

 

Wie integrativ sind die deutschen Medien? Inwieweit fördern oder behindern Medien heute Integration? Welche Rolle spielen sie in der Demokratie? Das Themendossier „Integration & Medien“ nimmt sich diese Fragen als Ausgangspunkt.

 


 

Aktuelle Kommentare

 


 

Öffentliche Ausschreibung Redaktion, Herstellung Politik & Kultur (Zeitung und Beilagen/Dossiers

 


 

29.11. KLIMASTREIK: Deutscher Kulturrat unterstützt auch den zweiten Klimastreik von Fridays For Future

 

Auch viele Akteure aus Kunst und Kultur haben am 20. September beim größten Klimastreik aller Zeiten ein starkes Zeichen für den Klimaschutz gesetzt.

 

Am 29.11. gehen wir erneut bundesweit auf die Straßen, um unserem Unmut über die Klimapolitik der Bundesregierung auszudrücken. Gemeinsam mit Fridays For Future, Umwelt-, Entwicklungs- und Sozialverbänden fordern wir einen #NeustartKlima!

 

www.klima-streik.org


 

Vier Jahre Agenda 2030

 

Vier Jahre sind seit der Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung durch die Vereinten Nationen vergangen.

 

Zum vierten Mal veröffentlichen zivilgesellschaftliche Verbände und Netzwerke einen Bericht zum Thema „Deutschland und die globale Nachhaltigkeitsagenda“. Zum vierten Mal in Folge kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis: Um die nachhaltigen Entwicklungsziele noch zu erreichen, muss die Politik umdenken, umlenken und ehrgeiziger handeln.

 

Den Bericht „Vier Jahre Agenda 2030: Die Politik ist am Zug“, den der Deutsche Kulturrat mit herausgibt, finden Sie hier.


 

Neuerscheinung: Kolonialismus-Debatte – Bestandsaufnahme und Konsequenzen

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, legt einen Sammelband zur Kolonialismus-Debatte vor. Er befasst sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen Artefakte, menschliche Gebeine und Kunstwerke in Ethnologische Museen gekommen sind. Er fragt nach der Verantwortung des deutschen Staates heute und einer möglichen Wiedergutmachung. Aber nicht nur der Staat steht in der Verantwortung. Es geht auch um die Rolle der Missionen und das Verhältnis der Kirchen zum globalen Süden heute. Es wird nach Konzepten für das Humboldt Forum, dem zukünftigen nationalen Museum der Weltkulturen in Berlin, gefragt. 59 Autorinnen und Autoren haben sich in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit diesen Themen intensiv beschäftigt. Sie haben Bestandsaufnahmen verfasst und Konsequenzen gefordert.

 


 

MUST READ: Wachgeküsst: 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998-2018

 

Das Buch „Wachgeküsst. 20 Jahre neuen Kulturpolitik des Bundes 1998-2018“ ( 492 Seiten, 22,80 Euro) bietet einen Überblick über die wichtigsten Themen der Bundeskulturpolitik der letzten 20 Jahre.

 

Urheberrecht, Kulturgutschutz, Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Provinienzforschung, Filmförderung, Religion, Medien, Stiftungsreform, Künstlersozialversicherung, Kulturwirtschaft, Computerspiele, Erinnerungspolitik, Reformation, Digitalisierung, Kulturfinanzierung, Inklusion, Vielfalt und Diversität, das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Kulturfragen, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, …

 

Wer wissen will, was die neue Bundeskulturpolitik seit 1998 ausmacht und sich darüber informieren will, wie der Weg für eine sichtbare Bundeskulturpolitik bereitet wurde, für den ist das Buch unverzichtbar.

 

„Hier liegt ein informatives, umfassendes, sehr lesenswertes und nicht zuletzt ansprechend gestaltetes Standardwerk vor. Nicht nur für Kulturpolitik-Insider, sondern auch für alle an Kulturpolitik Interessierten ein »must read«“. Barbara Neundlinger in Kulturpolitische Mitteilungen Band 166

 

Hier können Sie das Buch bestellen! Natürlich ist das Buch auch über jede Buchhandlung (ISBN: 978-3-947308-10-1) lieferbar.


 

Der kulturpolitische Text der Woche: Was uns eint und was nicht – 1989 und 2019 Versuch einer Betrachtung

Die Menschen im Osten haben seit der Wiedervereinigung einen beispiellosen gesellschaftlichen Wandel gemeistert. Sie haben neue Berufe erlernt, Unternehmen gegründet, ein demokratisches Gemeinwesen aufgebaut. Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur wurden ausgebaut. Neu waren Postleitzahlen, Krankenkasse, Geld, grüner Punkt, Kaufangebote, Reisen, Satellitenfernsehen, Farbkopierer, Visa-Freiheit, Mietpreise, Schulorganisation, Parteienvielfalt, freie Wahlen …

 

Ein Text zur Ost-West Vereinigung von Ulrike Liedtke. Die Autorin ist Präsidentin des Landtages Brandenburg und Vizepräsidentin des Deutschen Kulturrates.

 

Lesen Sie den vollständigen Text hier!


 

Neue Vorsitzende des Fachausschusses Medien des Deutschen Kulturrates: Beate Klompmaker

Beate Klompmaker wurde zur Vorsitzenden des Fachausschusses Medien des Deutschen Kulturrates gewählt. Im Fachausschuss vertritt sie den Deutschen Kunstrat.

 

Klompmaker hat „Freie Kunst“ an der Kunstakademie Münster und „Interdisziplinäre Kunst“ an der Kunstakademie Minerva, Groningen/NL studiert und mit einer Arbeit über Martin Heideggers „Der Ursprung des Kunstwerkes“ abgeschlossen. Danach freiberuflich tätig als Künstlerin, längjährige Assistenz von Thomas Huber, Ausstellungsmanagement, Lektorattätigkeit, Abwicklung von internationalen Kunst-am-Bau Projekten. Künstlerische Leiterin von dem Kunst- und Kultur-Festival „48StundenNeukölln“.

 

Dissertation an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe im Fach Kunstwissenschaft und Medientheorie (2013-2019). Thema: „Bildanschauung – Thomas Huber, Rede in der Schule. Archivstudie und Handbuch zur Bildtrilogie (1982–84)“, eine Archivstudie zum Frühwerk des Künstlers. Die Veröffentlichung der Arbeit folgt in Kürze.

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