KW 44: Wiedervereinigung vergeigt, Kommerzialisierung des 600-Megahertz-Bandes, Kulturpolitikmenschen, …

... Neu: Politik & Kultur, Neu: Buch zur Kolonialismus-Debatte, Kulturpolitischer Text der Woche

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

ja, wir haben die Wiedervereinigung vergeigt. Und zwar wir alle, der normale Ossi, der normale Wessi, die Politiker und auch die Medien. Weil, sind wir ehrlich, eine solche Sache kann man nicht ordentlich händeln, dafür war sie zu ungewöhnlich.

 

Fast niemand hatte daran geglaubt, zu seinen Lebzeiten noch vor eine solche Herausforderung, dem Zusammenfügen zweier gänzlich verschiedener Gesellschaften, beruflich oder persönlich gestellt zu werden. Auch nicht die mutigen Menschen in Leipzig, die vor 30 Jahren auf die Straße gegangen sind und unter Einsatz ihres Lebens für eine andere DDR gekämpft hatten. Erst später wurde aus „Wir sind das Volk“, „Wir sind ein Volk“.

 

Und der Westen? Die meisten hatten die DDR längst abgeschrieben. Die DDR erschien mir, bei den wenigen Reisen, die ich in den „real existierenden Sozialismus“ machen konnte, ein exotisches, fast unwirkliches Land. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer hatte ich meinen allerersten Artikel für eine Zeitung geschrieben: „Leipzig, eine Berührung“. Die knatternden bonbonfarbigen Autos faszinierten mich damals, fast wie ein unbekanntes Naturphänomen.

 

Nein, die Wiedervereinigung war ein Betriebsunfall, eine Verkettung glücklicher Umstände, die gegen jede Erwartung zu einem neuen Deutschland geführt haben. Doch wer wollte denn schon ein neues Deutschland? Die Ossis wollten reisen, shoppen und keine bonbonfarbenen Autos mehr, aber der Rest war doch für viele okay. Und wir Wessis fühlten uns wohl als Sieger der Geschichte und der Rest sollte bitte bleiben, wie er war.

 

Damals, direkt nach der Wende, bin ich in einem Anflug von fast grenzenloser Begeisterung in die Noch-DDR gefahren, um zu schauen, ob ich meine Galerie von Köln nach Leipzig verlegen könnte. Aber dann hat die ökonomische Vernunft doch über meinen Entdeckergeist gesiegt.

 

Ökonomische Vernunft war auch das Ziel in der großen Politik. Was nicht rentabel war in der Post-DDR, und das war vieles, wurde zerschlagen. Der Westen übernahm die Führung. „Blühende Landschaften“ waren versprochen. Da, wo es Sieger gibt, gibt es aber auch immer Besiegte.

 

Die Besiegten sind nicht in Armut gestoßen worden, aber sie haben oft ihre persönliche Geschichte verloren. Das Schicksal ist oftmals ungnädig, am falschen Ort, zur falschen Zeit und aus! Aber die Geschichte gibt dann den weiten Blick, mit größerem zeitlichem Abstand. Und dann wird im Rückblick die Verschmelzung von Ost und West zum neuen Deutschland doch ein Erfolg gewesen sein, obwohl wir es vollständig vergeigt hatten.

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Ich bin tief erschüttert über das Wahlergebnis in Thüringen. Wir haben die Wiedervereinigung vergeigt, habe ich hier geschrieben. Wir müssen jetzt anfangen mehr richtig zu machen, sonst vergeigen wir auch noch die Demokratie.


 

Kommerzialisierung des 600-Megahertz-Bandes: eine Katastrophe für die Kultur

 

Das Vorhaben der Weltfunkkonferenz, das 600-Megahertz-Band zu kommerzialisieren, hätte für den Kulturbereich erhebliche negative Auswirkungen. Es geht um eine Million drahtlose Mikrofone, die genutzt werden, um überhaupt Musik und Wort auf der Bühne hören zu können. Die Weltfunkkonferenz („WRC-19“) tagt seit dem 28. Oktober im ägyptischen Badeort Sharm-el-Sheik.

 

Hören Sie hier ein Gespräch vom 28. Oktober in SWR2 mit Olaf Zimmermann zum Thema nach!


 

Kulturpolitikmenschen

 

Carola Lentz zur neuen Präsidentin des Goethe-Instituts gewählt. Das Präsidium des Goethe-Instituts hat in seiner Sitzung am 27. September einstimmig entschieden, dass die international renommierte Ethnologin Carola Lentz ab dem 19. November 2020 das Amt der Präsidentin übernimmt. Die Professorin für Ethnologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Vizepräsidentin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften folgt auf den derzeitigen Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann, der seit 2008 die Präsidentschaft des Goethe-Instituts innehat. Lentz Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Ethnizität, Nationalismus, Kolonialismus, Erinnerungspolitik, Mittelklassen im globalen Süden und Arbeitsmigration.

 

Siehe zu dieser Nachricht auch den kulturpolitischen Text der Woche von Johann Michael Möller „Münchner Gegengewicht – Carola Lentz wird neue Präsidentin des Goethe-Instituts“ in diesem Newsletter.

 

Birgit Mandel leitet das Institut für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. Am 1. Oktober hat Birgit Mandel die Leitung des Instituts für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim in der Nachfolge von Wolfgang Schneider übernommen. Die Vize-Präsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft leitet seit vielen Jahren den Bereich Kulturmanagement und Kulturvermittlung sowie den Masterstudiengang Kulturvermittlung und den Bachelorstudiengang Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis.

Das Institut für Kulturpolitik wurde 1998 gegründet und basiert in Forschung und Lehre auf den inhaltlich eng verbundenen drei Säulen Kulturpolitik, Kulturmanagement und Kulturvermittlung bzw. kulturelle Bildung.

 

Marjorie Berthomier ist neue Generalsekretärin der Deutsch-Französischen Hochschule. Am 1. Juli 2019 trat Marjorie Berthomier ihr neues Amt als Generalsekretärin der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH) an. Die in Bègles in Frankreich geborene Berthomier promovierte in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft. Im Februar kam sie an die DFH, wo sie nicht nur die Stelle der stellvertretenden Generalsekretärin antrat, sondern auch die Leitung des Referats für Finanzen, Personal und interne Dienste übernahm. Berthomier war zudem Mentorin im Programm „Frauen in Kultur und Medien“ des Deutschen Kulturrates. Die Deutsch-Französische Hochschule, die 1997 gegründet wurde, ist eine binationale Einrichtung. Ihre Aufgabe besteht hauptsächlich darin, deutsch-französische Studiengänge zu initiieren, zu evaluieren und finanziell zu fördern.


 

Politik & Kultur neu: Themen: Integration & Medien, Ost-West-Perspektiven, Jugend 2019, Kulturfinanzierung, Kolonialismus-Debatte u.v.m.

 

Themen der Ausgabe:

  • Integration on Air: Wie integrativ sind die deutschen Medien?
  • Ost-West-Perspektiven: Innerdeutsche Grenze im Kopf: Wie ist es um die Deutsche Einheit 30 Jahre nach dem Mauerfall bestellt?
  • Jugend 2019: Laut und stark: Jugendliche nehmen laut der 18. Shell-Jugendstudie Politik nun selbst in die Hand
  • Kulturfinanzierung: Bares für die Kunst: Kulturfonds, Stiftungen, Fördervereine – wer unterstützt den Kulturbereich heute?
  • Kolonialismus-Debatte: Sprache als Herrschaftsinstrument? Es bedarf auch der Dekolonialisierung des Denkens und Sprechens

 


 

Neuerscheinung: Kolonialismus-Debatte – Bestandsaufnahme und Konsequenzen

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, legt einen Sammelband zur Kolonialismus-Debatte vor. Er befasst sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen Artefakte, menschliche Gebeine und Kunstwerke in Ethnologische Museen gekommen sind. Er fragt nach der Verantwortung des deutschen Staates heute und einer möglichen Wiedergutmachung. Aber nicht nur der Staat steht in der Verantwortung. Es geht auch um die Rolle der Missionen und das Verhältnis der Kirchen zum globalen Süden heute. Es wird nach Konzepten für das Humboldt Forum, dem zukünftigen nationalen Museum der Weltkulturen in Berlin, gefragt. 59 Autorinnen und Autoren haben sich in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit diesen Themen intensiv beschäftigt. Sie haben Bestandsaufnahmen verfasst und Konsequenzen gefordert.

 


 

MUST READ: Wachgeküsst: 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998-2018

 

Das Buch „Wachgeküsst. 20 Jahre neuen Kulturpolitik des Bundes 1998-2018“ (492 Seiten, 22,80 Euro) bietet einen Überblick über die wichtigsten Themen der Bundeskulturpolitik der letzten zwanzig Jahre.

 

Urheberrecht, Kulturgutschutz, Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Provinienzforschung, Filmförderung, Religion, Medien, Stiftungsreform, Künstlersozialversicherung, Kulturwirtschaft, Computerspiele, Erinnerungspolitik, Reformation, Digitalisierung, Kulturfinanzierung, Inklusion, Vielfalt und Diversität, das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Kulturfragen, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, …

Wer wissen will, was die neue Bundeskulturpolitik seit 1998 ausmacht und sich darüber informieren will, wie der Weg für eine sichtbare Bundeskulturpolitik bereitet wurde, für den ist das Buch unverzichtbar.

 

„Hier liegt ein informatives, umfassendes, sehr lesenswertes und nicht zuletzt ansprechend gestaltetes Standardwerk vor. Nicht nur für Kulturpolitik-Insider, sondern auch für alle an Kulturpolitik Interessierten ein „must read““. Barbara Neundlinger in Kulturpolitische Mitteilungen Band 166

 

Hier können Sie das Buch bestellen! Natürlich ist das Buch auch über jede Buchhandlung (ISBN: 978-3-947308-10-1) lieferbar.


 

Der kulturpolitische Text der Woche: Münchner Gegengewicht – Carola Lentz wird neue Präsidentin des Goethe-Instituts

 

Die Berufung von Carola Lentz zur neuen Präsidentin des Goethe-Institutes erscheint daher wie ein Gegenakzent zu jener merkwürdig rückwärtsgewandten Diskussion um das Humboldt Forum in Berlin, wo einmal mehr die Schlachten der Vergangenheit geschlagen werden. Auch unter dem Mantel der Dekolonisierung kann sich der alte Exotismus verstecken.

 

Der Autor des kulturpolitischen Textes der Woche ist Johann Michael Möller. Er ist Ethnologe und Journalist und war langjähriger Hörfunkdirektor des MDR.

 

Lesen Sie den vollständigen Text hier!

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