Der Feind sitzt in den Vorstandsetagen

Der Kampf gegen den Klimawandel und die soziale Frage gehören zusammen

Klimamäßig mache ich ziemlich alles richtig: Ich fliege schon länger nicht mehr und fahre nur selten Auto. Fleisch esse ich höchstens zweimal pro Woche. Gemüse und Obst kaufe ich regional auf dem Markt oder beim türkischen Gemüsehändler. Plastik meide ich, wo immer ich kann. Mein Häuschen wird von einem kleinen Blockheizkraftwerk um die Ecke erwärmt, Strom beziehe ich von einem Ökoanbieter. Alles, was geht, recycle ich. Auf Urlaub habe ich dieses Jahr komplett verzichtet.

 

Bin ich deswegen ein besserer Mensch? Mitnichten. Das meiste davon tue ich nicht allein, weil mir Umweltschutz schon immer am Herzen lag, anders als materieller Besitz. Sondern auch, weil mir mein letzter Arbeitgeber nach 13 Jahren guter Arbeit meine Stelle genommen hat, zweieinhalb Jahre vor Rentenbeginn. Ein großer Hamburger Verlag, der eine große Wochenzeitung herausbringt, mit stabiler Auflage und guten Gewinnen. Ihr Wirtschaftsteil prangert gerne Unternehmen an, die ältere Mitarbeiter auf die Straße setzen und junge nur mit Zeitverträgen anstellen. Dabei tut der Verlag beides selbst.

 

Mit geringem Einkommen oder wie in meinem Fall nun Arbeitslosengeld plus Zuverdienst als freier Autor für heute meist nur noch spärliche Honorare kann man keine großen Sprünge machen. Auch nicht für den Klimaschutz. Teure Biowaren aus dem Ökoladen kann ich mir wie viele nicht leisten. Schon gar kein Elektro-Auto oder eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Obwohl ich 35 Jahre lang recht gut verdient habe. Von der Belletage in ein prekäres Leben ist es nicht weit. Krankheit, Jobverlust, eine ungünstige Scheidung und/oder niedrige Rente reichen. Oft habe ich darüber geschrieben. Nun erlebe ich es bei mir selbst.

 

Es geht mir aber nicht um Doppel- und Dreifachmoral von Bessergestellten, die anderen Klimaaskese und „Flüchtlinge willkommen“ predigen und dabei selbst edle Tropfen schlürfen. In diese von Populisten aufgestellte Falle tappe ich nicht. Ja, eine sozial blinde Klimaschutzpolitik kann nach der Flüchtlingskrise zu neuen gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Die AfD rüstet bereits dafür. Ein aus Angst davor und vor den Reaktionen der Wirtschaft viel zu zögerliches Umsteuern, wie es gerade die sieche schwarz-rote Regierung vorführt, geht jedoch am elementaren Ziel vorbei, die Lebensgrundlagen für alle zu erhalten.

 

Schutz der Umwelt und von Arbeitsplätzen, Bewahrung der Natur und des sozialen Friedens müssen keine Gegensätze sein – wenn beides richtig gemacht wird. Und die Klimabewegten erkennen, dass diejenigen, die um ihre bescheidenen Besitzstände fürchten, nicht ihre Feinde sind, sondern ihre Verbündeten sein müssen.

 

Denn ihr Gegner ist letztlich immer derselbe: ein auf ständig ungebremstes, möglichst von der Politik nicht kontrolliertes Wachstum fixierter, entfesselter Kapitalismus und seine Vollstrecker. Ausbeutung des Menschen und der natürlichen Ressourcen gehen Hand in Hand. In den teuren Smartphones, die auch die FFF-Demonstranten alle in den Händen halten, stecken seltene Erden wie Coltan, die von Kindern im Kongo in Sklavenarbeit aus dem Boden gekratzt und in staats-ultrakapitalistischen Fabriken in China, die sich die Vorkommen imperialistisch gesichert haben, für die Milliarden verdienenden Hersteller und Anbieter verarbeitet werden. Genauso wie in den hochgiftigen Akkus für Elektro-Autos. Die sollen – unter dem Deckmantel der CO2-Minderung – Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verdrängen, obwohl das CO2 dabei nur aus den Kraftwerkschloten kommt, statt aus dem Auspuff. Zum Nutzen der schein-kommunistischen Diktatoren in Peking und zum Profit ihrer Konzerne, die im globalen Raubtier-Wettbewerb mit denen der USA und Europas stehen. Zum Schaden der hiesigen Beschäftigten der Autoindustrie, von denen viele ihre Jobs verlieren werden.

 

Die scheinselbständigen Paketboten der Onlinehändler, die zu Hungerlöhnen Waren in umweltverpestender Weise ausfahren, dienen dagegen den Megaprofiten ihrer US-Herren. Und befördern ungewollt den Konsumwahn: heute bestellt, morgen schon da, bezahlt wird später. Zum Schaden des Klimas, des lokalen Handels und wiederum hiesiger Jobs.

 

Die viel zu lange verzögerte Energie- und Mobilitätswende von fossilen zu regenerativen Energien gefährdet hierzulande Hunderttausende Arbeitsplätze. Genauso wie die Entwicklung künstlicher Intelligenz und immer automatisierterer Verfahren. Ist das die Schuld der Klimaschützer? Nein, der Kapitaleigner und ihrer Manager und Ingenieure, die die Produktion nicht früh genug auf die veränderte Nachfrage umgestellt, technische Entwicklungen in anderen Ländern verpennt und stattdessen bei der Abgassoftware betrogen haben. Und der Politik, die tatenlos zugesehen hat.

 

Die Folgen tragen alle anderen: Arbeitnehmer wie Umweltengagierte, die Demokratie und der soziale Zusammenhalt. Klimaschützer fürchten um ihre und die Zukunft des Planeten. Kohlekumpel, Mitarbeiter der Kraftwerke und Autobauer um ihre eigene. Dabei möchten auch sie, dass ihre Kinder ohne Angst vor einer gigantischen Umweltkatastrophe groß werden. Die jungen „Fridays for Future“ -Demonstranten wiederum möchten später ebenfalls einen möglichst sicheren Arbeitsplatz und von ihren Einkommen leben können. Weshalb also sich gegeneinander ausspielen lassen? Der in der Politik und von manchen Medien aufgebaute Gegensatz zwischen ihnen und den Beschäftigten (noch) energieintensiver, klimabelastender Industrien ist in Wahrheit ein Scheinwiderspruch. Umweltschutz und der Schutz abhängig Beschäftigter gehören zwingend zusammen.

 

Deshalb muss bei allem, was nun diskutiert und beschlossen wird, darauf geachtet werden, dass es keine unbilligen Härten gibt. Wo sie nicht zu vermeiden sind, müssen sie sozial abgefedert werden, wie beim Strukturwandel im Ruhrgebiet. Die Dringlichkeit, den Ausstoß der Klimagase rasch drastisch zu senken, erlaubt nicht, auf den Ausgleich von Interessen zu verzichten. Oder gar die Demokratie auszuhebeln, wie es einige Klimaextremisten etwa von „Extinction Rebellion“ verlangen. Die Herausforderung ist gewaltig, die Zeit drängt. Aber Demokratie funktioniert nun mal nicht so schnell. Klimaskeptiker und solche, die sich berechtigt um ihr Auskommen sorgen, müssen eingebunden werden. Sonst wächst nur der Widerstand wie der der Gelbwesten in Frankreich. Das wäre ein unverzeihlicher Fehler.

 

Ob das alles in einem kapitalistischen System funktionieren wird, ist eine andere Frage. Ein besseres wurde bislang nicht gefunden. Deshalb müssen wir es im jetzigen versuchen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019

Ludwig Greven
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor.
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