„Wir brauchen mehr Vielfalt in den hiesigen Redaktionen“ oder „Die Gesellschaft, wie sie sich in der Bundesrepublik entwickelt hat, findet sich in den Medienhäusern (noch) nicht abgebildet“ – es sind solche Sätze, die seit den vergangenen etwa zehn Jahren in der deutschen Öffentlichkeit immer öfter und immer lauter zu hören sind. Und man muss sagen: zu Recht. Dabei betrifft die geforderte Diversität im Journalismus nicht nur Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte, sondern auch Menschen aus Ostdeutschland oder die eine Behinderung haben oder auch die, deren familiärer Hintergrund oft als „einkommensschwach“ oder „bildungsfern“ bezeichnet wird.
Redaktionsstuben sollten – im Idealfall – die gesellschaftliche Realität widerspiegeln, damit diese in der Berichterstattung auch ihren Ausdruck findet: So sollen nicht nur Sichtweise und Interesse einiger weniger und nicht selten finanzstarker Gruppen, sondern möglichst vieler verschiedener Bevölkerungskreise artikuliert werden. Es könnten so Themen und Probleme ans Licht kommen, die ansonsten unbehandelt blieben. Das heißt aber nicht, dass die im Journalismus bisher wenig oder überhaupt nicht vertretenen sozialen Gruppen nur eigene Bedürfnisse artikulieren sollen. Es gibt bereits viele Beispiele, dass jemand ein thematisch vielseitig aufgestellter Journalist sein kann. Hier müssen Redaktionen aber auch bereit sein, Zeit und Geld zu investieren, das heißt, die Bedingungen dafür zu schaffen und Menschen auch Chancen zu geben, sich auszuprobieren. Diversität und Multiperspektivität in der Medienwelt einer Einwanderungsgesellschaft, in die sich die Bundesrepublik nach 1949 Schritt für Schritt entwickelt hat, sollten selbstverständlich sein. Eigentlich. Doch Journalismus ist andererseits auch keine Sozialarbeit. Medienhäuser sind primär Wirtschaftsunternehmen, die Informationen als Ware und mit bestimmter Intention – Stichwort Blattlinie – anbieten. Dass die bisherigen Medienmacher, größtenteils männlich, weiß, akademisch und aus der Mittelschicht, hier ihre Positionen und Einflussmöglichkeiten nicht gern teilen möchten, ist gut nachvollziehbar. Andererseits hat sich in der Branche – auch dank des Engagements von Initiativen, Vereinen und Einzelpersonen – schon viel Positives getan. Vielfalt wird vielerorts inzwischen als Bereicherung empfunden. Dennoch gibt
es noch viel Luft nach oben.
So steht der Hoffnung, dass der Journalismus hierzulande stärker die soziale Wirklichkeit abbildet, die zunehmende Akademisierung dieses Berufsfeldes entgegen. Ein Studium ist oft Voraussetzung dafür, dass man ein Volontariat absolvieren oder eine Journalistenschule besuchen kann. Zudem muss der Interessierte finanziell in der Lage sein, vorher zahlreiche, meist unbezahlte Praktika zu machen. Und abgesehen davon tummeln sich sowieso sehr viele in diesem Feld, weil „was mit Medien“ zu machen in den vergangenen Jahrzehnten stark an Attraktivität gewonnen hat.
Insofern bietet die Diversifizierung und Durchmischung der Redaktionen die Chance, zu einer stärkeren Demokratisierung der Diskurse über das gesellschaftliche Klima und die „sozialen Systeme“ zu führen, in denen wir uns bewegen.
Vielfalt kann zudem auch ökonomisch positiv gesehen werden. Sie kann dazu führen, neue Zielgruppen zu gewinnen. Im Fall der öffentlich-rechtlichen Anstalten handelt es sich auch um solche Menschen, etwa mit Migrationsgeschichte, die die Rundfunkgebühren zwar mit bezahlen, sich im Programmangebot aber wenig oder gar nicht wiederfinden, weil ein Bewusstsein der Mehrheit der bisher für die Inhalte Verantwortlichen für deren Interessen und Wünsche komplett fehlt oder diese schlicht ausgeblendet werden.
Dass Diversität und Multiperspektivität hierzulande im Journalismus aus einem weiteren Grund wichtig und nötig ist, macht auch der insbesondere durch den „Flüchtlingssommer“ 2015 ins Bewusstsein getretene und verstärkte Rechtsruck in Deutschland deutlich. Nach vier Jahren etwa sitzt die „Alternative für Deutschland“ im Bundestag, im Europaparlament und in allen deutschen Landtagen. Alexander Gauland und Jörg Meuthen sind gern gesehene Gäste in Talkshows und gefragte Interviewpartner. Es ist so auch ein Gebot der Stunde, deren Präsenz in der Öffentlichkeit und Einflussnahme auf die Meinungsbildung, aber auch der mit Klischees und Angst spielenden Berichterstattung bestimmter Medien, etwa in Sachen Migration und Integration, etwas anderes, etwas Positives entgegenzuhalten: Besonnene, sachliche und kritische Medienarbeit – und, ja, auch Aufklärung. Dazu gehört auch und vor allem eine Berichterstattung, die tradierte, oft negativ besetzte Bilder vom anderen, wer immer es auch sei, durchbricht. Und zwar dadurch, dass sie das Gemeinsame statt das Trennende betont und Vielfalt als Normalzustand behandelt, ohne die Probleme zu verschweigen, die es in einer globalisierten Gesellschaft zwangsläufig auch gibt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.