Die Zeiten, wo man alle wichtigen Nachrichten in der Tagesschau um 20 Uhr erfuhr oder Politiker ihre Meinung durch die „Welt am Sonntag“ in die deutschen Wohnzimmer trugen, sind vorbei. Vor allem ist die gemeinsame Erzählung vorbei – es gibt nicht mehr ein einziges klares Narrativ, das dieses Land vereint: z. B., dass Demokratie die beste Staatsform ist, die Deutschland je gehabt hat oder dass Menschenrechte für alle gelten oder dass öffentlich-rechtliche Medien den Auftrag haben, mit umfassender Berichterstattung die Meinungsvielfalt zu sichern.
Gerade die Medien sind zu einem umkämpften Feld geworden. Wir alle sehen dies, sobald wir die Zeitung aufschlagen, den Fernseher einschalten oder in die sozialen Medien gehen. Auf allen Kanälen versuchen rechtsradikale Gruppen, die Diskurshoheit an sich zu reißen, insbesondere wenn es um die Themen Flucht, Migration und Integration geht. Die Absicht dahinter ist, die Einwanderungsgesellschaft als solche in Frage zu stellen.
In weiten Teilen haben sie das bereits geschafft. Die öffentliche Meinung ist beispielsweise sehr negativ gegenüber Arbeitsmigranten aus Südosteuropa eingestellt. Auch afrikanische Geflüchtete – egal aus welchem Land sie kommen – werden in Bausch und Bogen verurteilt als Leute, die nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland wollen. Diese Anschuldigungen sind absurd; sie zeigen jedoch, wie weit eine rechte Denkweise in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Rechtsextreme Kampfbegriffe wie „Islamisierung“ oder „Passdeutsche“ werden inzwischen auch von seriösen Medien benutzt.
Wir müssen uns die Kontrolle über den Diskurs zurückholen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsradikale darüber bestimmen, wie über Sozialhilfeempfänger, Muslime oder Geflüchtete gedacht und geurteilt wird – oder dass eine Errungenschaft, nämlich das friedliche Zusammenleben in unserer vielfältigen und weltoffenen Gesellschaft, durch völkisches Gedankengut angegriffen wird. In diesem Kampf um Diskurshoheit spielen Medien eine entscheidende Rolle. Nicht die politische Haltung ist hier das Entscheidende, sondern das Bewusstsein, in einer vielfältigen Gesellschaft zu leben – und dass dies bewahrenswert ist. Daran muss man jedoch arbeiten; das passiert nicht von allein. Schon gar nicht in Redaktionen, die ausschließlich von weißen Deutschen besetzt sind, ohne ethnische oder religiöse Minderheiten.
Ein Verein, der sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzt, sind die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM). Wir sind Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Einwanderungsgeschichte. Unserer Ansicht nach ist Vielfalt in den Medien notwendig, sowohl beim Personal in den Redaktionen wie auch bei der Berichterstattung.
Als die NdM vor zehn Jahren gegründet wurden, war Diversität noch ein Fremdwort in der deutschen Medienlandschaft; über Repräsentation von Minderheiten wurde nicht gesprochen. Das hat sich geändert; auch aufgrund unserer Arbeit.
Ein Viertel aller Menschen in Deutschland kommt aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. In vielen Berufen jedoch sind sie unterrepräsentiert, z. B. in der Politik und in der Verwaltung – und auch in den Medien. Das ist problematisch, da auf diese Weise in den Redaktionen ausschließlich die Perspektive der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft tonangebend ist.
Medien müssen jedoch über und für die gesamte Gesellschaft berichten. Leider herrscht in vielen Medienhäusern eine einseitige und stereotypisierende Berichterstattung über Migranten, Geflüchtete, Muslime oder schwarze Deutsche vor. Dies verstärkt die Diskriminierung gegenüber Minderheiten, was wiederum den sozialen Frieden im Land bedroht.
Redaktionen, deren Belegschaft aus diversen Gruppen kommen – Männer und Frauen, mit unterschiedlichen Religionen, aus verschiedenen ethnischen Communities – haben besseren Zugang zu der Gesamtheit der Gesellschaft und können deswegen besser und umfassender berichten. Redaktionen, die sich über Stereotype in Bild und Sprache bewusst sind, laufen weniger Gefahr, unbewusst Vorurteile zu schüren und so die Differenzen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen zu bestärken. Mit anderen Worten: Auf diese Weise können Medien in diesen politisch polarisierten Zeiten zum guten und friedlichen Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen.
In vielen Redaktionen jedoch sprechen und berichten weiße Deutsche über Migration, aus ihrer Perspektive, ohne die Perspektive derer zu hören oder zu berücksichtigen, die eigene Erfahrungen mitbringen: Erfahrung der Migration und Erfahrung der Diskriminierung.
Dies ist ein generelles Problem: Gespräche und Entscheidungen über ethnische oder religiöse Minderheiten finden oft statt, ohne dass die Betroffenen überhaupt anwesend sind, geschweige denn, dass sie ein Mitspracherecht haben. Obwohl es im Grundgesetz in aller Deutlichkeit steht, haben durchaus nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Bildung, zu Wohnungen, zu Mitsprache, zu Sicherheit und so weiter.
Der Grund dafür wird in der Öffentlichkeit jedoch selten angesprochen. Struktureller Rassismus und Diskriminierung ist kein vieldiskutiertes Thema in den Medien. Und auch bei verschiedenen Fachtagungen werden eher die Symptome angegangen – etwa schlechte Bildungskarrieren migrantisch markierter Schulkinder – als dass der zugrunde liegende strukturelle Rassismus angesprochen und bekämpft wird.
Ein Kind, das in der Schule ausgegrenzt wird, das miterlebt hat, wie die eigenen Eltern von den Lehrern diskriminiert werden – diesem Kind wird es schwerfallen, Selbstvertrauen zu finden und einen positiven Bezug zur Schule und den dort Lehrenden aufzubauen. Und die Lehrenden erkennen und entwickeln die Potenziale dieses Kindes nicht – Potenziale, die Deutschland braucht. Jeder Jugendliche, der die Schule abbricht, jedes Mädchen, das nach der hundertsten Bewerbung aufgibt, einen Job zu suchen, sind verlorene Talente, die diesem Land fehlen.
Es gibt zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen unterbrochenen Bildungskarrieren und struktureller Diskriminierung nachgewiesen haben. Die UNESCO hat darauf hingewiesen, dass Deutschland in dieser Hinsicht zu wenig unternimmt. Wo der Staat nicht handelt, muss die Zivilgesellschaft eingreifen.
Dies gilt nicht nur für den Bildungsbereich. Das gilt für Bekämpfung der Armut, für Sozialarbeit, für Flüchtlingshilfe. Das Thema Migration, aber auch die Themen Rassismus und Diskriminierung sind Querschnittsthemen. Wenn dazu keine klare Haltung gefunden wird, dann fehlt ein entscheidendes Element. Und die Haltung dazu gibt das Grundgesetz vor.
Die Medien haben an diesem Punkt eine besondere Verantwortung, denn über sie läuft der öffentliche Diskurs. Aber es ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, um die Medienschaffenden für diese Aufgabe zu stärken.
Die NdM machen genau dies. Wir gehen in Redaktionen, um zu beraten und den Kollegen zu helfen, mit den politisch heiklen Themen Flucht und Migration adäquat umzugehen. Wir geben Medientrainings über Extremismus im Netz und vernetzen junge Nachwuchsjournalisten mit Migrationsgeschichte mit erfahrenen Kollegen, die ihnen bei den ersten Schritten ins Berufsleben helfen. Wir bieten Tipps, wie man Hate Speech im Internet begegnen kann; wir haben ein Glossar mit Begriffen der Einwanderungsgesellschaft erstellt; wir bilden Fotografen fort, damit sie in ihren Fotos keine Stereotypen abbilden.
Viel hat sich bereits getan, vor allem bei Hörfunk und Fernsehen. Viele Redaktionen haben ein diverseres Personal als vor zehn Jahren, gerade unter den jungen Kollegen. Viele haben das Glossar der NdM auf dem Schreibtisch liegen. In Interviews werden öfter auch Experten mit Migrationshintergrund gehört – und zwar nicht zu Themen wie Islamismus. Das heißt, es hat sich viel zum Positiven gewandelt.
Doch der Druck auf die Medienhäuser hat sich erhöht. Sobald ein Artikel oder eine Sendung veröffentlicht wird, die Migration wünschenswert oder auch nur als normal darstellt, wird die Redaktion von Hasskommentaren überflutet. Dies geht auf das Konto einer kleinen, aber sehr lauten Minderheit. Wir alle müssen daran arbeiten, dass sie nicht zur Mehrheit wird.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.