Zusammenhalt oder Spaltung?

Integration durch Medien

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist privilegiert. Er wird durch Beiträge finanziert und steht nicht in einer ökonomischen, sondern ausschließlich in einer Aufmerksamkeitskonkurrenz zum privaten Rundfunk und anderen Medienangeboten. Die privilegierte Position wird „erkauft“ durch einen gesetzlich festgelegten Auftrag und die Kontrolle durch gesellschaftliche Gruppen in den Rundfunkräten.

 

In § 11 des Rundfunkstaatsvertrags der Länder wird als Auftrag formuliert: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ In den Landesrundfunkgesetzen werden die Vorgaben für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch weiter präzisiert.

 

Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist also mit einem Pflichtenheft verbunden. Diese Pflichten sollen sicherstellen, dass die öffentlich-rechtlichen Angebote nicht zu Hass und Hetze missbraucht werden, sondern im Gegenteil zur Meinungsbildung und zum demokratischen Diskurs beitragen. Hier wirkt der Gedanke der Demokratiebildung durch Medien nach, den die Alliierten in Westdeutschland implementieren wollten, als sie mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), dem Vorläufer des NDR und des WDR, im September 1945 die erste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gründeten. Vorbild war die britische BBC. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, finanziert durch Beiträge und kontrolliert durch gesellschaftliche Gruppen, ist das bewusste Gegenmodell zum Staatsrundfunk.

 

Doch kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Pflichten nach und fördert er den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Zumindest bei den großen Talkshows (Anne Will, Maischberger, Hart aber fair, Maybrit Illner) habe ich meine Zweifel. Der Erkenntnisgewinn durch diese Sendungen ist meines Erachtens gering, der Unterhaltungswert dafür umso größer, die Wiederholung der immer gleichen Meinungen von den immer gleichen Menschen mit den Händen zu greifen. Insbesondere 2015 und 2016 haben diese Talkshows eher einen Beitrag zur gesellschaftlichen Spaltung geleistet, als dass sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert haben. Ich habe daher im Sommer 2018 eine einjährige Denkpause für diese Talkshows gefordert, damit sie ihre Konzeptionen überarbeiten können, wohlwissend, dass dieser Vorschlag wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen würde.

 

Es wäre jedoch ungerecht, die Integrationsleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allein auf diese Talkshows zu begrenzen. In verschiedenen Sendungen und Formaten sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen wird meist verantwortungsvoll mit dem Thema Integration umgegangen, und zwar sowohl in journalistischen als auch in fiktionalen Formaten. Ein Beispiel soll dieses belegen: Der WDR hatte im Jahr 1961 ein Hörfunkprogramm gestartet, das sich an sogenannte Gastarbeiter richtete und das in verschiedenen Sprachen sendete. Hieraus ging im Jahr 1998 Funkhaus Europa hervor, das weiterhin einstündige Magazinsendungen in verschiedenen Sprachen für Zuwanderer sendete. Seit 2009 war Funkhaus Europa auch im Programm von Radio Bremen und dem rbb zu hören. 2017 löste COSMO Funkhaus Europa ab. Weiterhin sendet COSMO in den Abendstunden halbstündige Magazinsendungen in verschiedenen Sprachen. Die Redaktion von COSMO ist so multiethnisch wie unsere Gesellschaft. Die Entwicklung von COSMO zeigt, wie aus einem „Gastarbeiterradio“ ein Radioprogramm für eine multiethnische Gesellschaft wird, das sich an alle richtet, und es unterstreicht die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Integration und demokratische Meinungsbildung. Denn Teilhabe an der Demokratie betrifft nicht nur die Menschen, die in Deutschland geboren sind. Auch jene, die nach Deutschland kommen, brauchen Medien, um sich hier zu orientieren, um sich eine Meinung zu bilden und mitsprechen zu können.

 

Diese Meinungsbildung und Ermöglichung der Mitsprache ist allerdings nicht allein Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch die privatwirtschaftlich orientierten elektronischen Medien wie der private Hörfunk und das Fernsehen sowie Zeitungen und Zeitschriften stehen in der Verantwortung, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten. Sie tragen ebenfalls zur Meinungsbildung bei und damit zum demokratischen Diskurs.

 

Alle Medien stehen derzeit unter Druck. Die privaten unter einem immensen ökonomischen. Den Zeitungen brechen die Anzeigenkunden weg, Leser verabschieden sich von den gedruckten Ausgaben und nach wie vor mangelt es an attraktiven digitalen Angeboten. Gemeinsam setzen sich öffentlich-rechtliche und private Sendeunternehmen für gleiche Wettbewerbsbedingungen im digitalen Umfeld ein und werben dafür, die Medienplattformen und Video-Sharing-Dienste stärker in die Pflicht zu nehmen und ihnen Verantwortung für die dargebotenen Inhalte zu zuweisen. Allzu lange schon drücken sich Facebook, Google und Co. vor der Verantwortung mit dem Verweis, nur Transporteur und nicht Anbieter von Inhalten zu sein. Eine solche Haltung negiert, dass Medien mehr sind als eine Ware. Sie transportieren zugleich Inhalte und Werte. Gerade am Beispiel der Integration zeigt sich, dass Medien einen Beitrag zur Integration und zur Debatte zum Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft leisten können. Oder aber auch dazu beitragen, dass Hass und Hetze gegenüber Zuwanderern verbreitet werden.

 

Streit gehört zu einer demokratischen Gesellschaft. Medien können einen Beitrag zur Streitkultur leisten, indem sie objektiv berichten und damit Hintergrundwissen für den notwendigen Streit zur Verfügung stellen. Meinungen sind ein fester Bestandteil der Medien, sie müssen als solche deutlich kenntlich gemacht werden. Das ist gerade bei einem Thema wie Integration, das die Gesellschaft stark polarisiert, dringend erforderlich. Und selbstverständlich gehört zu diesem Diskurs, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu Wort kommen zu lassen. Immer noch sind zu wenig Menschen mit Migrationsgeschichte vor und hinter den Kameras und Mikrofonen zu sehen oder zu hören bzw. in den Zeitungen zu lesen. Dieses Potenzial zu heben, stärkt nicht nur den demokratischen Diskurs, sondern trägt zur Vielfalt in den Medien bei.

 

Ob Integration in unserem Land gelingt, liegt zu einem beträchtlichen Teil in der Verantwortung der Medien. Die Medien sind oftmals der gesellschaftliche Katalysator, der Zusammenhalt fördert oder Spaltung begünstigt. Viele Medienschaffende stellen sich ihrer Verantwortung, aber leider längst nicht alle. Hier gibt es noch viel zu tun.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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