Umsetzung der Agenda 2030 ist eine kulturelle Aufgabe

Positionspapier des Deutschen Kulturrates zur UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Berlin, den 15.01.2019. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat das Ziel, kulturpolitische Diskussionen auf allen politischen Ebenen anzuregen und für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit einzutreten. Er bündelt dabei die Positionen seiner Mitglieder. Diese Verbände gehören zu den verschiedenen künstlerischen Sparten: Musik, darstellende Künste, Tanz, Literatur, bildende Kunst, Baukultur und Denkmalpflege, Design, Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien sowie Soziokultur und kulturelle Bildung. Zum Mitgliederspektrum gehören sowohl Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch Verwerterverbände sowie Zusammenschlüsse von Bildungs- und Kulturinstitutionen und von Vereinen aus dem Kultursektor.

 

Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, im Folgenden Agenda 2030, ist ein Weltzukunftsplan. Ihre Umsetzung verlangt ein neues Denken, das mit Zuversicht die Chancen nachhaltiger Entwicklung herausstellt. Allen Menschen ein gutes gelingendes Leben zu ermöglichen, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begründet. Es wird Zeit, diese Verpflichtung mit Blick auf nachhaltige Chancen für alle umzusetzen und dem Raubbau an Ressourcen ein anderes Bild eines guten Lebens entgegenzusetzen.

 

Nachhaltige Entwicklung ist eine kulturelle Herausforderung. Es gilt, alte Muster, Gewohnheiten und Gewissheiten zu hinterfragen und sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen, dabei aber auch kulturelle Traditionen und Techniken wieder neu zu beleben, wenn diese nachhaltige Prozesse unterstützen. Es gilt neue Verbindungen zu schaffen, die Anknüpfungspunkte für Innovationen sein können.

 

Kunst und Kultur sind prädestiniert für diese Veränderungsprozesse, auch hier geht es darum, Neues zu wagen, Grenzen zu überschreiten und das Unbekannte zu erkunden. Kunst und Kultur verkörpern eine Haltung und liefern den Raum, in dem Bilder und Symbole der Nachhaltigkeit entstehen können. Sie fördern die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zur Empathie. Darüber hinaus stärken zugangsoffene und teilhabegerechte Kunst und Kultur unmittelbar die nachhaltige Entwicklung, indem sie zu Veränderungsprozessen beitragen, zum Beispiel indem sie ressourcenschonende Produkte entwickeln.

 

Kunst und Kultur bereichern die Debatte um nachhaltige Entwicklung. Deshalb befasst sich der Deutsche Kulturrat mit diesem Positionspapier umfassend mit der Agenda 2030. Er sieht die besondere Chance der Agenda 2030 darin, dass hier die Staatengemeinschaft in die Pflicht genommen wird, nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Das betrifft sowohl die internationale Handels-, Wirtschafts – und Sozialpolitik, speziell mit Blick auf das Verhältnis zu den Ländern des globalen Südens, als auch die nationale Politik. Nachhaltige Entwicklung fordert alle: Die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen genauso wie die Politik und Verwaltungen, angefangen von der Kommunal-, über die Landes-, die Bundes-, die europäische Ebene bis hin zur internationalen Politik.

 

Nachfolgend zeigen wir, welche Relevanz die jeweiligen Ziele der Agenda 2030 für den Kulturbereich haben und welchen Beitrag Kunst und Kultur zur Umsetzung der Ziele in Deutschland leisten können. Denn das Engagement für mehr Nachhaltigkeit ist ebenso vielfältig wie der Begriff selbst. Deshalb gibt es unendlich viele kreative, innovative Ideen und Initiativen für nachhaltige Beiträge eines jeden Einzelnen.

 

Ziel 1: Armut in allen ihren Formen und überall beenden

 

Wir sollten uns bewusst sein: Unser Handeln hier in Deutschland bestimmt mit darüber, wie sich Gesellschaften und Wirtschaftssysteme in anderen Teilen der Welt entwickeln und wie man dort mit der Natur umgeht.

 

Auch wenn Armut in entwickelten Industriestaaten wie Deutschland ein anderes Gesicht hat als in den Ländern des Südens, muss Armut in ihren verschiedenen Facetten und Relationen gesehen werden. Dazu ist die soziale und kulturelle Dimension von Armut in den Blick zu nehmen. Das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe ist auch in Deutschland nach wie vor nicht für alle gewährleistet. Es gilt daher, die Anstrengungen zu verstärken, gerade jenen Menschen, die bislang noch keinen Zugang zu Kunst und Kultur haben, diesen zu eröffnen. Programme wie „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ machen vor, dass es gelingt, Kinder und Jugendliche, die bislang wenig Berührung mit Kunst und Kultur hatten, hierfür zu begeistern und ihnen die Türen in neue Welten zu öffnen.

 

In einer immer älter werdenden Gesellschaft dürfen aber auch jene nicht vergessen werden, die auf Hilfe angewiesen sind und allein ihr Leben nicht mehr gestalten können. Gerade diese Menschen brauchen Impulse aus Kunst und Kultur, um ein lebenswertes Leben führen zu können.

 

Armut betrifft auch viele Künstlerinnen und Künstler sowie andere Kulturschaffende. Viele freiberuflich tätige Kulturschaffende haben stark schwankende und teils sehr geringe Einkommen. Sie sind im Alter von Armut betroffen. Es gilt daher, ihre Einkommenssituation zu verbessern. Bei der Honorierung muss die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und angemessen vergüten. Gleichermaßen müssen Zuwendungsempfänger so ausgestattet werden, dass sie angemessene Honorare für freiberufliche Leistungen zahlen können. Denn die Überwindung kultureller und sozialer Armut trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

 

Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

 

Noch immer hungern weltweit etwa 800 Millionen Menschen. Für die Ärmsten der Armen wird der Preis von Nahrungsmitteln schnell zur Überlebensfrage. Spekulationen mit Nahrungsmitteln führen zu Hunger und Leid. Die Interessen von Agrarkonzernen bedrohen den traditionellen Handel mit bäuerlichem Saatgut und damit das Recht auf Nahrung. Das schafft riskante Abhängigkeiten und zerstört die Artenvielfalt. Dafür tragen auch wir Verantwortung.

 

Ernährung hat eine kulturelle Dimension. Diese zeigt sich in Speisegeboten oder -verboten wie beispielsweise dem Verzicht auf Fleisch am Freitag in der katholischen Tradition, beim Fasten oder bei dem religiösen Gebot, auf Schweinefleisch zu verzichten.

 

Das Wissen um traditionelle Ernährungsformen ist Teil des immateriellen Kulturerbes. Auf der nationalen Liste des immateriellen Kulturerbes sind u.a. die Deutsche Brotkultur oder auch die Ostfriesische Teekultur verzeichnet. Hierin findet die kulturelle Bedeutung von Ernährung und der Zubereitung von Nahrung Würdigung.

 

Lokale Ernährungstraditionen leisten einen bedeutsamen Beitrag zur kulturellen Identität. Sie sind besonders im ländlichen Raum erfahrbar. Die kulturelle Vielfalt der ländlichen Räume bedarf einer stärkeren Aufmerksamkeit. Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung plant, die Kultur in den ländlichen Räumen gezielt zu stärken und hierfür Programmmittel zur Verfügung zu stellen. Essentiell ist dabei, den Eigenwert der Kultur in den Regionen anzuerkennen und an den jeweiligen Stärken anzusetzen.

 

Der Erhalt und die ressourcenverträgliche Weiterentwicklung der über Jahrhunderte gewachsenen, bäuerlich geprägten Kulturlandschaft müssen unterstützt werden. Gestaltet von den Menschen, die in ihr leben, erfüllt sie vielfältige ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Funktionen. Bäuerliche Landwirtschaft ist nachhaltig, behandelt Tiere respektvoll und prägt die Kultur im ländlichen Raum.

 

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