Umsetzung der Agenda 2030 ist eine kulturelle Aufgabe

Positionspapier des Deutschen Kulturrates zur UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Berlin, den 15.01.2019. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat das Ziel, kulturpolitische Diskussionen auf allen politischen Ebenen anzuregen und für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit einzutreten. Er bündelt dabei die Positionen seiner Mitglieder. Diese Verbände gehören zu den verschiedenen künstlerischen Sparten: Musik, darstellende Künste, Tanz, Literatur, bildende Kunst, Baukultur und Denkmalpflege, Design, Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien sowie Soziokultur und kulturelle Bildung. Zum Mitgliederspektrum gehören sowohl Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch Verwerterverbände sowie Zusammenschlüsse von Bildungs- und Kulturinstitutionen und von Vereinen aus dem Kultursektor.

 

Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, im Folgenden Agenda 2030, ist ein Weltzukunftsplan. Ihre Umsetzung verlangt ein neues Denken, das mit Zuversicht die Chancen nachhaltiger Entwicklung herausstellt. Allen Menschen ein gutes gelingendes Leben zu ermöglichen, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begründet. Es wird Zeit, diese Verpflichtung mit Blick auf nachhaltige Chancen für alle umzusetzen und dem Raubbau an Ressourcen ein anderes Bild eines guten Lebens entgegenzusetzen.

 

Nachhaltige Entwicklung ist eine kulturelle Herausforderung. Es gilt, alte Muster, Gewohnheiten und Gewissheiten zu hinterfragen und sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen, dabei aber auch kulturelle Traditionen und Techniken wieder neu zu beleben, wenn diese nachhaltige Prozesse unterstützen. Es gilt neue Verbindungen zu schaffen, die Anknüpfungspunkte für Innovationen sein können.

 

Kunst und Kultur sind prädestiniert für diese Veränderungsprozesse, auch hier geht es darum, Neues zu wagen, Grenzen zu überschreiten und das Unbekannte zu erkunden. Kunst und Kultur verkörpern eine Haltung und liefern den Raum, in dem Bilder und Symbole der Nachhaltigkeit entstehen können. Sie fördern die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zur Empathie. Darüber hinaus stärken zugangsoffene und teilhabegerechte Kunst und Kultur unmittelbar die nachhaltige Entwicklung, indem sie zu Veränderungsprozessen beitragen, zum Beispiel indem sie ressourcenschonende Produkte entwickeln.

 

Kunst und Kultur bereichern die Debatte um nachhaltige Entwicklung. Deshalb befasst sich der Deutsche Kulturrat mit diesem Positionspapier umfassend mit der Agenda 2030. Er sieht die besondere Chance der Agenda 2030 darin, dass hier die Staatengemeinschaft in die Pflicht genommen wird, nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Das betrifft sowohl die internationale Handels-, Wirtschafts – und Sozialpolitik, speziell mit Blick auf das Verhältnis zu den Ländern des globalen Südens, als auch die nationale Politik. Nachhaltige Entwicklung fordert alle: Die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen genauso wie die Politik und Verwaltungen, angefangen von der Kommunal-, über die Landes-, die Bundes-, die europäische Ebene bis hin zur internationalen Politik.

 

Nachfolgend zeigen wir, welche Relevanz die jeweiligen Ziele der Agenda 2030 für den Kulturbereich haben und welchen Beitrag Kunst und Kultur zur Umsetzung der Ziele in Deutschland leisten können. Denn das Engagement für mehr Nachhaltigkeit ist ebenso vielfältig wie der Begriff selbst. Deshalb gibt es unendlich viele kreative, innovative Ideen und Initiativen für nachhaltige Beiträge eines jeden Einzelnen.

 

Ziel 1: Armut in allen ihren Formen und überall beenden

 

Wir sollten uns bewusst sein: Unser Handeln hier in Deutschland bestimmt mit darüber, wie sich Gesellschaften und Wirtschaftssysteme in anderen Teilen der Welt entwickeln und wie man dort mit der Natur umgeht.

 

Auch wenn Armut in entwickelten Industriestaaten wie Deutschland ein anderes Gesicht hat als in den Ländern des Südens, muss Armut in ihren verschiedenen Facetten und Relationen gesehen werden. Dazu ist die soziale und kulturelle Dimension von Armut in den Blick zu nehmen. Das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe ist auch in Deutschland nach wie vor nicht für alle gewährleistet. Es gilt daher, die Anstrengungen zu verstärken, gerade jenen Menschen, die bislang noch keinen Zugang zu Kunst und Kultur haben, diesen zu eröffnen. Programme wie „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ machen vor, dass es gelingt, Kinder und Jugendliche, die bislang wenig Berührung mit Kunst und Kultur hatten, hierfür zu begeistern und ihnen die Türen in neue Welten zu öffnen.

 

In einer immer älter werdenden Gesellschaft dürfen aber auch jene nicht vergessen werden, die auf Hilfe angewiesen sind und allein ihr Leben nicht mehr gestalten können. Gerade diese Menschen brauchen Impulse aus Kunst und Kultur, um ein lebenswertes Leben führen zu können.

 

Armut betrifft auch viele Künstlerinnen und Künstler sowie andere Kulturschaffende. Viele freiberuflich tätige Kulturschaffende haben stark schwankende und teils sehr geringe Einkommen. Sie sind im Alter von Armut betroffen. Es gilt daher, ihre Einkommenssituation zu verbessern. Bei der Honorierung muss die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und angemessen vergüten. Gleichermaßen müssen Zuwendungsempfänger so ausgestattet werden, dass sie angemessene Honorare für freiberufliche Leistungen zahlen können. Denn die Überwindung kultureller und sozialer Armut trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

 

Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

 

Noch immer hungern weltweit etwa 800 Millionen Menschen. Für die Ärmsten der Armen wird der Preis von Nahrungsmitteln schnell zur Überlebensfrage. Spekulationen mit Nahrungsmitteln führen zu Hunger und Leid. Die Interessen von Agrarkonzernen bedrohen den traditionellen Handel mit bäuerlichem Saatgut und damit das Recht auf Nahrung. Das schafft riskante Abhängigkeiten und zerstört die Artenvielfalt. Dafür tragen auch wir Verantwortung.

 

Ernährung hat eine kulturelle Dimension. Diese zeigt sich in Speisegeboten oder -verboten wie beispielsweise dem Verzicht auf Fleisch am Freitag in der katholischen Tradition, beim Fasten oder bei dem religiösen Gebot, auf Schweinefleisch zu verzichten.

 

Das Wissen um traditionelle Ernährungsformen ist Teil des immateriellen Kulturerbes. Auf der nationalen Liste des immateriellen Kulturerbes sind u.a. die Deutsche Brotkultur oder auch die Ostfriesische Teekultur verzeichnet. Hierin findet die kulturelle Bedeutung von Ernährung und der Zubereitung von Nahrung Würdigung.

 

Lokale Ernährungstraditionen leisten einen bedeutsamen Beitrag zur kulturellen Identität. Sie sind besonders im ländlichen Raum erfahrbar. Die kulturelle Vielfalt der ländlichen Räume bedarf einer stärkeren Aufmerksamkeit. Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung plant, die Kultur in den ländlichen Räumen gezielt zu stärken und hierfür Programmmittel zur Verfügung zu stellen. Essentiell ist dabei, den Eigenwert der Kultur in den Regionen anzuerkennen und an den jeweiligen Stärken anzusetzen.

 

Der Erhalt und die ressourcenverträgliche Weiterentwicklung der über Jahrhunderte gewachsenen, bäuerlich geprägten Kulturlandschaft müssen unterstützt werden. Gestaltet von den Menschen, die in ihr leben, erfüllt sie vielfältige ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Funktionen. Bäuerliche Landwirtschaft ist nachhaltig, behandelt Tiere respektvoll und prägt die Kultur im ländlichen Raum.

 

Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

 

Kunst und Kultur gehören zum Leben und schaffen Lebenszufriedenheit. Sie sprechen unterschiedliche Sinne an, wecken Emotionen und können heilende Wirkung entfalten. Ein gutes, würdevolles Leben und eine gesunde Psyche sind wichtige Gesundheitsfaktoren. Kulturelle Intensität ist Motor für die kreative Weiterentwicklung aller Sinne.

 

Das Amateurmusizieren beispielsweise, die größte Bürgerbewegung im Kulturbereich, ist ebenso wie das Amateur- und Schultheater sowie Kunstgenüsse aller Art in Museen, Bibliotheken, Kinos usw. Exponent bürgerschaftlichen Engagements und unverzichtbarer Teil des kulturellen Lebens für Jung und Alt. Hier entsteht Zusammenhalt und Wertschätzung.

 

Ziel 4: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern

 

Kulturelle Bildung ist ein Schlüssel zur Demokratie. Sie ermöglicht die Gestaltung von und die Auseinandersetzung in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft. Sie kann dazu beitragen, Konflikte kulturell zu bearbeiten und zu lösen und Unbekanntem mit Neugier zu begegnen. Das inklusive Lernen hat sowohl in der Schule als auch im außerschulischen Bereich sowie der Erwachsenenbildung noch nicht den Stellenwert, den es haben sollte. Bestehende Barrieren im Zugang zu Bildung von Anfang an und ein Leben lang gilt es abzubauen. Dazu zählt auch, dem Analphabetismus in Deutschland durch wirkungsvolle Maßnahmen entgegenzutreten. Die Chancen einer Zusammenarbeit von politischer Bildung, kultureller Bildung und Umweltbildung müssen stärker genutzt werden. Alle verfolgen ihre je eigene Agenda, beruhen auf jeweils eigenen Förderstrukturen und haben eine eigene Didaktik und Methodik entwickelt. Dennoch bieten sich gerade in der Zusammenarbeit von politischer, kultureller und Umweltbildung Chancen, den kulturellen Wandel zu begreifen und zu gestalten.

 

Eine nachhaltige kulturelle Bildung setzt voraus, dass sie allen Schülerinnen und Schülern in jeder Schule zur Verfügung steht und außerdem Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung in ihrer Grundfinanzierung gesichert sind. Projekte können die bestehende Infrastruktur bereichern und zusätzliche Angebote sein.

 

In einer gemeinsamen Erklärung haben der Deutsche Kulturrat und der BUND, als einer der größten Umwelt- und Naturverbände Deutschlands im Juni 2018 an die Bundesregierung sowie die Landesregierungen appelliert, der kulturellen und der Umweltbildung mehr Aufmerksamkeit zu widmen, und konkrete Forderungen formuliert.

 

Ziel 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen

 

Kunst und Kultur transportieren Frauen- und Männerbilder. Frauen- und Männerbilder in Kunst und Kultur können eine Vorbildwirkung entfalten. Künstlerinnen und Künstler können mit ihren Werken einen Beitrag zur Überwindung von Klischees leisten und damit ein Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten für homosexuelle, bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen aufzeigen.

 

Im Kultur- und Medienbereich ist Geschlechtergerechtigkeit längst noch nicht verwirklicht. Führungsgremien und Jurys sind zum großen Teil nicht geschlechtergerecht besetzt. Künstlerinnen partizipieren weniger an der individuellen Künstlerförderung als Künstler. Werke von Künstlerinnen werden weniger aufgeführt, ausgestellt als Werke von Künstlern und über sie wird weniger publiziert. Künstlerinnen verdienen weniger als Künstler. Den bestehenden Ungleichgewichten ist entschieden entgegenzutreten und Benachteiligungen abzubauen. Denn nachhaltige Entwicklung braucht das gesamte Spektrum der Sichtweisen.

 

Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten

 

Wasser ist ein Allgemeingut und der Zugang zu Wasser muss als eines der Menschenrechte betrachtet werden. Trinkwasser gehört zur Daseinsvorsorge und darf kein Spekulationsobjekt werden. Der Kulturbereich kann das Verständnis für den sorgfältigen Umgang mit Wasser schärfen.

 

In allen Kulturen hat Wasser eine herausragende Bedeutung, wovon Sagen, Mythen und biblischen Geschichten erzählen. Wasser ist ein häufiges Motiv in Literatur und Malerei. Auch Welterbestätten in Deutschland wie beispielsweise das Harzer Wasserregal belegen, welche kulturellen Traditionen im sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit Wasser bestehen.

 

Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern

 

Die Energiewende kann ein großes, gesellschaftlich getragenes Innovations- und Investitionsprojekt werden, das einen zentralen Beitrag zu einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Gesellschaft leistet. Sie geht mit einem weitreichenden kulturellen Wandel einher und ist eine der großen Zukunftsfragen, die eng mit Fragen des Klimawandels und des nachhaltigen Wirtschaftens zusammenhängen.

 

Beispielsweise hat der Kohlebergbau Regionen in Deutschland geprägt. Das Ruhrgebiet, das Saarland, die Lausitz, um nur einige zu nennen, befinden sich in einem tiefgreifenden Kulturwandel. Mit dem Ende des Kohlebergbaus geht auch eine kulturelle Tradition zu Ende, die in Dichtung und Musik ihren Niederschlag gefunden hat. Auch wenn der kulturelle Wandel in den Regionen noch längst nicht abgeschlossen ist, gibt es schon viele alte Zechen, die heute zu Orten mit besonderer Bedeutung für die Kultur geworden sind und damit ein lebendiges Zeichen eines gelungenen Wandels darstellen.

 

Nachhaltige Energie, wie Wind- und Sonnenenergie, verändert die Landschaft. Diese Kulturlandschaft gilt es, gemeinsam aktiv zu gestalten und zu entwickeln.

 

Ziel 8: Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

 

Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit trägt zur Sinnstiftung bei und hat damit auch eine kulturelle Bedeutung. Kunst und Kultur sind Arbeit. Es ist daher erforderlich, auch in diesem Arbeitsmarktsegment, das oft durch besonders nahe und persönliche Beziehungen geprägt ist, für menschenwürdige Arbeit zu sorgen.

 

Neben der Erwerbsarbeit ist bürgerschaftliches Engagement ein wichtiger Teil der Sinnstiftung. Diese gilt es stärker zu beachten und zu würdigen.

 

Auch gilt es, den Fetisch Wachstum mit seinen gravierenden Auswirkungen auf die Kulturen zu hinterfragen. Ein fairer Welthandel muss das zentrale Anliegen einer Politik für nachhaltige Entwicklung sein.

 

Ziel 9: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

 

Um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, wird eine umfassende Transformation der Produktions- und Konsummuster nötig sein. Das Design liefert dabei wichtige Beiträge, die Kreislauffähigkeit und die Lebensdauer von Produkten zu verbessern. Doch das Denken und Leben in Kreisläufen kann nicht ohne kulturellen Kontext gedacht werden. Ein reparaturfähiges Produkt ist nutzlos, wenn keiner mehr die Kunst des Reparierens beherrscht.

 

Insbesondere die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein Innovationstreiber. Ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung muss stärker gewürdigt werden. Viele Unternehmen aus kulturfernen Branchen benötigen die Techniken und Innovationen aus den Kultur- und Kreativbranchen. Dem Deutschen Kulturrat ist wichtig, dass diese Leistungen angemessen vergütet werden. Denn künstlerische Arbeit lebt vom Mut zum Ausprobieren, braucht Raum und Zeit. Scheitern ist Teil des künstlerischen Schaffensprozesses und Chance zum Lernen. Dies gilt sowohl für öffentlich geförderte Vorhaben als auch für Unternehmen. Eine Kultur der zweiten Chance zu etablieren, ist ein wichtiger Schritt zur Etablierung einer Kultur der Nachhaltigkeit.

 

Auch brauchen wir eine neue Fehlerkultur. Aus nicht erkannten Fehlern, kann auch nicht gelernt werden. Die erste Voraussetzung für eine bessere Fehlerkultur wäre zu lernen, zwischen Fehlern und Fehlverhalten zu unterscheiden. Fehlverhalten beruht auf einer inadäquaten Haltung und ist entweder in der Persönlichkeit oder der Kultur des Unternehmens begründet.

 

Ziel 10: Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern

 

Nachhaltige Entwicklung bietet eine Chance, die entwicklungspolitische Komponente der UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt vermehrt zu beachten und damit der Kulturproduktion aus den Ländern des globalen Südens einen besseren Marktzugang zu ermöglichen. Denn auch dies ist ein Beitrag, um die Ungleichheit zwischen den Ländern zu verringern.

 

Sozio-ökonomische Ungleichheiten zu verringern, ist zum einen eine ethisch-moralische Frage der Gerechtigkeit. Zum anderen muss die Reduzierung von Ungleichheit auch als Grundvoraussetzung sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung begriffen werden. In Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit haben die Menschen eine höhere Lebenserwartung und die Bildungssysteme funktionieren besser.

 

Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien vereinbart, ein besonderes Augenmerk auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu richten. Der Deutsche Kulturrat begrüßt dieses Anliegen, denn gesellschaftlicher Zusammenhalt ist auch davon abhängig, dass die Lebensverhältnisse in den verschiedenen Landesteilen von Deutschland gleichwertig sind. Regionen dürfen weder abgehängt werden noch dürfen sich die dort lebenden Menschen abgehängt fühlen.

 

Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten

 

Nachhaltigkeit und Resilienz sind und bleiben die wichtigsten Handlungsmaßstäbe, um die großen Aufgaben unserer Zeit, wie Klimawandel und Bevölkerungsmigrationen lösen zu können.

 

Ihre große Dichte macht Städte zum idealen Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn sie können in großem Maßstab Ressourcen schonen und exemplarisch für Nachhaltigkeit sein.

 

Eine gebaute Umwelt von hoher Qualität unter Achtung des baukulturellen Erbes trägt wesentlich zur Bildung einer nachhaltigen Gesellschaft bei, die sich durch eine hohe Lebensqualität, kulturelle Vielfalt, Wohlbefinden der Individuen und der Gemeinschaft, soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt sowie eine leistungsstarke Wirtschaft auszeichnet. Diese Forderungen an Nachhaltigkeit – auch im Sinne der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sowie der gesellschaftlichen Teilhabe – gelten nicht nur für Stadtzentren und historische Ortsbilder, sondern für den gesamten Lebensraum, für suburbane und ländliche Räume, Dörfer, Industriezonen und Infrastrukturen gleichermaßen.

 

Integrierte Planungsansätze sind Teil einer Baukultur und schaffen einen Mehrwert für das Gemeinwohl, indem ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Aspekte zusammen gedacht werden, z.B. durch flächensparende und kompakte gemischte Quartiere, eine aktive Bodenpolitik zum Wohl der Gemeinschaft und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle, durch vernetzte öffentliche Grün- und Freiflächen, emissionsarme integrierte Verkehrssysteme, multifunktionale Räume, energieeffiziente Gebäude und eine geregelte Ver- und Entsorgung in den Städten und Siedlungen.

 

Die Bemühungen zur Förderung der Baukultur unter der Prämisse des Nachhaltigkeitsgedankens sind als Aufgabe des Staates auf allen seinen Ebenen der Verwaltung zu intensivieren. Dabei geht es nicht nur um bauliche Ergebnisse, sondern auch maßgeblich um die Verfahren, d.h. um eine hohe Planungskultur und Prozessqualität. Zudem ist das Engagement auf dem Gebiet der baukulturellen Bildung zu erhöhen, denn das Wissen um Baukultur und den Prozess ihrer Entstehung fördert die Wahrnehmung der Verantwortung für Planung, Pflege und Erhalt unserer gebauten Umwelt.

 

Das baukulturelle Erbe ist ein zentrales Element der Baukultur und unseres kulturellen Gedächtnisses. Es stärkt sozialen Zusammenhalt, Inklusion und Sicherheit, basierend auf einer gemeinsamen Identität, Stolz und Verbundenheit mit dem Ort. Die Art, wie wir den historischen Bestand heute nutzen, pflegen und schützen, ist entscheidend für die Zukunft unserer Städte, Siedlungen und Bewegungsräume. Deshalb sind die Anstrengungen zum Schutz und zur Sicherung des Kultur- und Naturerbes zu verstärken.

 

Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

 

Die Gestaltung nachhaltiger Produkte und deren Herstellung bedürfen einer generell anderen Ausrichtung und transformierter Produktionsprozesse als bei herkömmlichen Produkten. Die Rolle des Designers beschränkt sich hierbei nicht ausschließlich auf die Gestaltung von Produkten. Das Design berät und begleitet Manufakturen, Industriebetriebe in der Material- und Fertigungsauswahl sowie Service-Unternehmen bei der Entwicklung und Implementierung von kundennahen sowie nachhaltigen Dienstleistungen.

 

Kunst, Kultur und kulturelle Bildung selbst muss zum partizipativen Moderator digitaler Entwicklungen und hierdurch bedingter gesellschaftlicher Veränderungen werden.

 

Im Sinne zirkulärer Wirtschaftsprozesse und digital bestimmter Herstellungstechniken ist es ein Anliegen des Designs, sein Wissen um nachhaltige Materialität, Regionalität, Nutzerfreundlichkeit und Langlebigkeit von Produkten und Prozessen auch im Kontext menschengerechter Arbeitsplätze einzubringen, zu validieren und zu verankern.

 

Kunst und Kulturschaffende können hierbei auf Basis ihrer anwenderorientierten Haltung, ihrer methodischen Kenntnisse und Techniken, Werkzeuge und Strategien für die Industrie bzw. herstellende Unternehmen entwickeln sowie vermitteln, die dann im Sinne offener Nahtstellen in regionalen Strukturen angewendet, individualisiert und optimiert werden können.

 

Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

 

Der Klimawandel ist inzwischen auch in Deutschland greifbar geworden. Er findet nicht mehr nur in weit entfernten Regionen statt, sondern ist weltweit und vor der eigenen Haustür spürbar. Um dem Klimawandel entgegen zu treten, ist eine neue Art des Denkens erforderlich. So kann zum Beispiel die Literatur mithelfen, neue Narrative zu entwickeln. Das Anthropozän erfordert, dass der Mensch dem von ihm verursachten Klimawandel durch geeignete Maßnahmen entgegentritt. Der Klimawandel muss daher auch als kulturelle Herausforderung begriffen werden und der Kulturbereich sieht sich hier in der Verantwortung.

 

Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

 

In den Ozeanen und Meeren leben die meisten Lebewesen. Diese sind stark gefährdet durch den zunehmenden Müll, der in die Meere gelangt. Unsere Verpackungsunkultur muss grundsätzlich hinterfragt werden. Dazu gehört auch, den Vertriebsweg der Konsumgüter stärker in den Fokus zu nehmen. Neue Produkte, in denen weniger Plastik enthalten ist, können unmittelbar zum Schutz der Meere beitragen. Nachwachsende Rohstoffe können als Ersatzstoffe zum Einsatz kommen. So ist auch zum Beispiel ein sorgsamer Umgang mit Sand, der inzwischen zu einem knappen Gut wird, dringend geboten.

 

Eine kulturelle Veränderung des Konsumverhaltens ist nötig. Die Vermeidung von Müll wird schon in vielen Kultureinrichtungen als Ziel verfolgt.

 

Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen

 

Der Erhalt unserer Lebensgrundlage ist eine kulturelle Aufgabe. Heimat erzeugt Zugehörigkeit. So ist zum Beispiel der Wald insbesondere in Deutschland kulturell prägend besetzt. Sowohl in Mythen als auch in Literatur, Bildender Kunst und Musik spielt der Wald als Motiv, auch als Grund für Ängste, eine sehr wichtige Rolle.
Eine bessere Verzahnung von kultureller Bildung und Umweltbildung kann dazu beitragen, die kulturelle Bedeutung des Waldes zu erfassen und sich für eine nachhaltige Waldwirtschaft stark zu machen.

 

Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

 

Das Recht und seine Durchsetzung durch eine unabhängige Justiz sind eine Kulturleistung und kulturelles Selbstverständnis. Nicht umsonst gehört zu den wesentlichen Bestandteilen der EU-Grundrechtecharta das Vorhandensein einer unabhängigen Justiz. Der Deutsche Kulturrat sieht mit Sorge, dass in einigen EU-Mitgliedstaaten dieses europäische Grundverständnis erodiert und fordert die Bundesregierung auf, in den europäischen Institutionen mit Nachdruck für eine Einhaltung der EU-Grundrechtecharta einzutreten.

 

In ihrer ersten These formuliert die Initiative kulturelle Integration, in der 27 Organisationen und Institutionen aus den unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zusammenarbeiten: „Das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland muss gelebt werden.“ Und weiter wird formuliert: „Das Grundgesetz beschreibt insbesondere in seinen ersten 20 Artikeln unverrückbare Prinzipien des Zusammenlebens. Es sichert seit Jahrzehnten ein friedliches Zusammenleben in Deutschland. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde sind Grundlage der deutschen Rechtsordnung. Das Grundgesetz regelt zuerst das Verhältnis von Staat und Bürgerinnen und Bürgern und schützt vor staatlicher Willkür. Es ist zugleich essentiell für das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger und muss daher von allen hier lebenden Menschen akzeptiert und respektiert werden.“

 

Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen

 

Kunst und Kultur sind Brückenbauer und tragen zur Verständigung bei. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat daher eine Verantwortung, um die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit Leben zu füllen. Die Mittlerorganisationen aber auch viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen können dabei wirkungsvolle Partner sein. Dabei gilt es anderen Perspektiven und Kulturen auf Augenhöhe zu begegnen.

 

Handelspolitik muss zur Entwicklung einer nachhaltigen Weltordnung beitragen und sich insbesondere den UN-Nachhaltigkeitszielen unterordnen.

 

Fazit

 

Die Idee der Nachhaltigen Entwicklung ist im Kern ein kulturelles Projekt. Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele sind gleichzeitig Kompass und Motor einer kulturellen Veränderung, die auf ein gutes Leben aller Menschen auf unserem Planeten zielt.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht seine Aufgabe darin, bei der Weiterentwicklung der Agenda 2030 der kulturellen Dimension eine stärkere Beachtung zukommen zu lassen. Die Kraft von Kunst und Kultur regen Innovationen an und mobilisieren moralische Ressourcen. Sie sind Mahner und Mittler in gesellschaftlichen Diskussionsprozessen. Sie schaffen die Grundlage für eine einen kulturellen Wandel.

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