Berlin, den 26.06.2023. Im Jahr 2015 wurde das Ergebnisdokument „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ (im Folgenden Agenda 2030) mit 17 Nachhaltigkeitszielen von den Vereinten Nationen verabschiedet. Die Umsetzung verlangt ein neues Denken, das mit Zuversicht die Chancen nachhaltiger Entwicklung herausstellt, und erfordert Veränderungen im persönlichen Handeln jedes Einzelnen, der Unternehmen und Institutionen sowie nicht zuletzt von Politik und Verwaltung im nationalen und internationalen Kontext. Die angestrebte Transformation verlangt einen Kulturwandel in der gesamten Gesellschaft. Kunst, Kultur und Medien können wichtige Impulse für die Transformation geben. Sie zeichnen ein Bild des guten nachhaltigen Lebens, in dem sie Nachhaltigkeit selbst verwirklichen. Sie berichten als meinungsbildende Multiplikatoren über die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung.
Das Jahr 2023 markiert die Halbzeit zur Umsetzung der Agenda 2030. Trotz der Fortschritte in einigen Bereichen muss festgehalten werden, dass noch ein erheblicher Handlungsbedarf besteht, um auf der örtlichen, der nationalen, der europäischen und internationalen Ebene die 17 Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Allen Menschen ein gutes, gelingendes Leben zu ermöglichen, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen begründet. Es wird höchste Zeit, diese Verpflichtung mit Blick auf nachhaltige Chancen für alle umzusetzen und dem Raubbau an Ressourcen ein anderes Bild, nämlich das eines guten Lebens, entgegenzusetzen. Dazu zählt, alte Muster, Gewohnheiten und Gewissheiten zu hinterfragen und Neues, Unbekanntes oder Vergessenes zu entdecken. Alte kulturelle Traditionen und künstlerische Techniken, die nachhaltige Prozesse unterstützen, sollten neu belebt werden. Kunst und Kultur sind prädestiniert für die im Folgenden angeführten Veränderungsprozesse.
Kunst und Kultur setzen eigene Akzente in der Debatte um nachhaltige Entwicklung. Deshalb hat sich der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, bereits in diversen Stellungnahmen zur Umsetzung der Agenda 2030 positioniert. In seiner Stellungnahme „Umsetzung der UN-Agenda 2030 ist eine kulturelle Aufgabe“ hat er die 17 Nachhaltigkeitsziele mit Blick auf ihre Relevanz für den Kulturbereich, einschließlich der Kultur- und Kreativwirtschaft, durchdekliniert. In seiner Stellungnahme „Klimaschutz braucht kulturellen Wandel“ ist er auf die Relevanz des Kulturbereiches zur Erreichung der Klimaziele eingegangen. In der Stellungnahme „Kultur verändert – Kultur verändern“ hat er sich mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie befasst und Vorschläge zu kultureller Teilhabe, Personalentwicklung in Kultureinrichtungen, angemessener Vergütung von Soloselbstständigen, Geschlechtergerechtigkeit, Beschaffungswesen und inklusiver Bildung gemacht. In weiteren Stellungnahmen hat sich der Deutsche Kulturrat ausführlich zu Bildungsfragen, zur sozialen und wirtschaftlichen Lage im Kulturbetrieb oder auch zur Geschlechtergerechtigkeit positioniert. Er hat hierzu im Sinne der Agenda 2030 konkrete Vorschläge vorgelegt.
Nachhaltigkeitsdiskurs im Kulturbereich
Kultureinrichtungen, Kulturunternehmen, Kulturvereine und nicht zuletzt Künstlerinnen und Künstler, Ensembles oder Kulturschaffenden-Kollektive sind sich bewusst, dass sie einen eigenen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 leisten können und müssen. Sie tragen in mehrfacher Hinsicht – als Kulturanbieter, als Kulturproduzenten, als Kulturnutzer – Verantwortung. Sie setzen sich in der täglichen Arbeit, bei Veranstaltungen und Tagungen, in Publikationen und Diskursen mit Nachhaltigkeit auseinander. Kunst und Kultur eröffnen so Diskursräume und treiben die Transformation voran.
Der Nachhaltigkeitsdiskurs im Kulturbereich bedeutet, sich selbstkritisch mit den Grenzen des Wachstums im eigenen Feld auseinanderzusetzen, das Kulturangebot wie auch Förderstrukturen und -logiken zu hinterfragen und eigene Antworten auf den Strukturwandel zu finden. Nachhaltigkeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft heißt, sich für hochwertige, ressourcenschonende Produkte und Produktionsprozesse einzusetzen und die Mehrkosten aufgrund des größeren Aufwands am Markt durchzusetzen. Dieses ist eine Herausforderung für die Auftragssituation und die wirtschaftliche Lage der betreffenden Unternehmen. Nachfolgend werden Aspekte angeführt, die für den Transformationspfad im kulturellen Sektor wesentlich sind.
Nachhaltigkeit im Kultursektor geht nur im Zusammenwirken
Nachhaltigkeit beginnt in den Köpfen der handelnden Akteure, das schließt alle Ebenen von Institutionen und Unternehmen ein und zieht Veränderungen in allen Arbeitsbereichen nach sich. Aufgaben, Strukturen und Prozesse werden neu gedacht, Geschäftsmodelle bzw. Angebote werden angepasst. Neue Rollen entstehen und veränderte Aufgaben lösen die bisherigen Tätigkeiten ab. Das erfordert ein Umdenken von allen Beschäftigten, unabhängig von der Größe der Institution und ob es sich um eine öffentlich geförderte Kultureinrichtung oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft handelt.
Die Veränderungen werden verunsichern und Sorgen um den Arbeitsplatz oder die Auftragslage verstärken, daher müssen die beruflichen Perspektiven der Mitarbeitenden bzw. der Selbstständigen im Blick gehalten werden. Sie müssen an den Prozessen beteiligt, ihre Kompetenz und Erfahrungswissen abgerufen und ihre Haltung für Nachhaltigkeit bestärkt werden, denn die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele hängt auch von ihrem Handeln ab.
Zugleich sind etliche Kulturberufe selbst bereits nachhaltig tätig und tragen erheblich zur Verbesserung der ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsbilanz bei. Sie verbinden wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verantwortung und regenerative, duale Berufsbildung mit dem Schutz der Lebensgrundlagen durch Reparatur, Restaurierung und sinnvoller Nutzung grauer Energie in zentralen Wirtschaftsbereichen. Sie zeigen damit, wie Konsumwandel gelingen kann. Gute Nachhaltigkeitskommunikation kann und sollte darüber hinaus
Impulse für ein ressourcenschonendes Leben und, kreislauforientierte Lebensmodelle geben.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher,
- dass diejenigen, die den Nachhaltigkeitspfad beschreiten, darin bestärkt werden, ihre Leistungen vorzugsweise in Anspruch genommen und sie als gute Beispiele vorgestellt werden
- dass Bund, Länder und Kommunen die Transformation durch Etablierung und Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in Kultureinrichtungen als Entwicklungsprozess mit zusätzlichen Mitteln unterstützen und neue Programme zur Unterstützung von Soloselbstständigen sowie von Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft auflegen, die die Umstellung der Geschäftsmodelle im Sinne der Nachhaltigkeit befördern
- dass in der Hochschulausbildung, der beruflichen Bildung sowie der Weiterbildung Nachhaltigkeit einen herausgehobenen Stellenwert erhält und über die Angebote entsprechend informiert wird
Nachhaltigkeitsmanagement
In der überwiegenden Zahl der Kultureinrichtungen und -unternehmen muss ein Nachhaltigkeitsmanagement einschließlich Klimabilanzen erst implementiert werden. Hierzu bedarf es Personal, das Wissen bündelt, die Beschäftigten einbindet und Aufträge an Dritte unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsziele vergibt. Der artikulierte große Bedarf an Handlungswissen für Nachhaltigkeitsmanagement zeigt, dass Kulturinstitutionen ihre Verantwortung wahrnehmen wollen – hierfür allerdings eine entsprechende Unterstützung benötigen.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher,
- dass das Angebot an Nachhaltigkeitsmanagement, das sich auf die Gesamtheit der SDGs bezieht und die spezifischen Belange der verschiedenen Akteure des Kultursektors berücksichtigt, ausgebaut wird; dies kann durch Weiterbildung von vorhandenem Personal oder durch externes neues Personal umgesetzt werden; ebenso sollten regionale Austauschplattformen unterstützt werden, um die Peer to Peer Beratung zu ermöglichen
- dass die Ausarbeitung des Kreislaufansatzes bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, die Veränderungen in der Mobilität sowie die Energieeffizienz von Gebäuden durch spezifische Programme unterstützt werden
Betriebsökologie als Teil von Nachhaltigkeitsstrategien
Betriebsökologie ist ein Begriff, der von vielen Kultureinrichtungen und -unternehmen zu Beginn als komplex und kulturfern wahrgenommen wird. Man weiß nicht, wo und wie das Thema anzupacken und umzusetzen ist. Umso wichtiger ist ein niedrigschwelliges Beratungsangebot, das konkrete Hilfestellung leistet. Die Vielfältigkeit des Kultursektors spiegelt sich auch im Beratungsbedarf wider. Die Umsetzung betriebsökologischer Vorschläge hängt unter anderem davon ab, dass sie für Kulturinstitutionen oder -unternehmen tatsächlich passfähig sind. Damit dies mit Blick auf die Vielzahl an Anbietern gelingt, muss die Beratungsqualität sichergestellt werden.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher,
- dass Bund, Länder und Kommunen die Unterstützung der bestehenden betriebsökologischen Beratungsangebote verstetigen, sie weiter ausbauen und die Beratungsqualität sichern, damit sie von den verschiedenen Akteuren kostenlos oder zumindest kostengünstig genutzt werden können; der geplante Green Culture Desk kann hier auf Bundesebene eine Wegweiserfunktion übernehmen
- dass Bund, Länder und Kommunen, wenn betriebsökologische Ziele bei den Zuwendungsempfängern verlangt werden, diese mit Fördermitteln unterlegen bzw. bei Vergabeentscheidungen insbesondere das Kriterium Nachhaltigkeit verlangen
Nachhaltigkeit in der Kultur beinhaltet auch deren Orte und Gebäude
Kulturorte sind soziale Zentren und Treffpunkte von Menschen. Gerade die Vielfalt der Kulturbauten – Schulen, Kitas, Universitäten, Bibliotheken, Theater, Museen, Konzerthäuser, Archive, Soziokulturelle Zentren etc. – müssen daher Vorbildcharakter besitzen. Sie sollten neben funktionalen, ökologischen und energetischen Aspekten hohe räumliche und ästhetische Qualitäten mit Wohlfühlcharakter aufweisen. Baukulturelle Orte sind identitätsstiftend für unsere Gesellschaft und deren Zusammenhalt.
Das gilt gleichermaßen für Neubauten, Bestandsbauten und Baudenkmäler. Die Erhaltung des Baubestands und seine Adaption bzw. Transformation für verlängerte oder neue Nutzungen sind Bestandteil einer nachhaltigen Baukultur. Sanierung anstelle von Abriss und Neubau ist grundlegendes Prinzip ressourcen- und klimaschonender Baukultur, deren Gesamtenergiebilanz in den Fokus genommen werden muss.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher,
- dass die Bemühungen von Bund, Ländern und Kommunen, Baukultur unter der Prämisse des Nachhaltigkeitsgedankens zu fördern, intensiviert werden müssen; hierzu zählt, den bestehenden Investitionsstau aufzulösen und fortlaufend in die Unterhaltung, den Ausbau und die Sanierung öffentlicher Gebäude unter Nachhaltigkeitsaspekten zu investieren;
- dass Bund, Länder und Kommunen ausschließlich nur noch solche Kulturbauten errichten, die Nachhaltigkeitsstandards entsprechen und zugleich eine hohe zeitgemäße ästhetische Qualität aufweisen, zugleich soll Leerstand vermieden werden und bestehende oder projektierte Verwaltungsgebäude für eine öffentliche Nutzung zur Verfügung stehen
Nachhaltigkeit vernetzt angehen
Die Agenda 2030 zeigt: Nachhaltigkeit ist komplex und nicht auf einzelne Ressorts bezogen. Die Bundesregierung hat mit ihrer Nachhaltigkeitsgovernance 2022 den Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung als zentrales Koordinierungselement implementiert. Über den Bund-Länder-Erfahrungsaustausch für nachhaltige Entwicklung werden die Länder einbezogen. Die Zivilgesellschaft ist kein institutionell eingebundener Akteur.
In den Rat für Nachhaltige Entwicklung, der ebenfalls eine wichtige Rolle in der Nachhaltigkeitsgovernance 2022 einnimmt, ist keine Expertise aus dem Kultursektor eingebunden. Hier werden Chancen ungenutzt gelassen, um die Kraft der Kultur für den Veränderungsprozess wirken zu lassen.
Die Etablierung des Green Culture Desk bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ist ein Schritt, um die bestehende Aktivitäten aus dem Kulturbereich zu bündeln, ihnen mehr Sichtbarkeit zu verleihen und konkrete Veränderungen anzustoßen bzw. durch Beratung und Finanzmittel zu unterstützen.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher,
- dass in den Rat für Nachhaltige Entwicklung Expertinnen oder Experten aus dem Kultursektor einschließlich der Kultur- und Kreativwirtschaft berufen werden
- dass sowohl vom Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung als auch beim Bund-Länder-Erfahrungsaustausch für nachhaltige Entwicklung die Expertise der organisierten Zivilgesellschaft einbezogen wird
- dass bei Anhörungen und Konsultationen der verschiedenen Ressorts der Bundesregierung zu Nachhaltigkeitsthemen die organisierte Zivilgesellschaft des Kulturbereichs systematisch einbezogen wird
- dass beim Green Culture Desk ein enger Schulterschluss mit dem Kultur- und Mediensektor gesucht wird und er von einer Informations- zu einer Beratungsplattform weiterentwickelt wird
Nachhaltigkeit zahlt sich aus
Nachhaltigkeit verlangt aktuell Investitionen in Menschen, in Bildung, in Materialien, in Gebäude und anderes mehr. Diese Investitionen sind notwendig. Denn wir wissen seit Langem, dass weitaus höhere Kosten entstehen, wenn jetzt nicht umgehend der Nachhaltigkeitspfad beschritten wird.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher, energisch den Nachhaltigkeitspfad zu beschreiten und anhand vieler Stellschrauben die Umsetzung der Agenda 2030 voranzutreiben.