Berlin, den 18.06.2014. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, befasst sich seit April 2013 intensiv mit dem angestrebten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Er hat in seiner Stellungnahme „Kulturelle Ausnahme ist bei geplantem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA unverzichtbar“ vom 06.05.2013 dargelegt, dass Kultur und Medien aufgrund der hohen wirtschaftlichen, ideellen und gesellschaftlichen Bedeutung für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten von den Verhandlungen ausgenommen werden sollen und die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (Konvention Kulturelle Vielfalt) handlungsleitend für Gespräche in Kultur und Medien sein muss. Die Konvention Kulturelle Vielfalt wurde sowohl von der EU als auch den Mitgliedstaaten ratifiziert.
Die Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft, die auf Gütern und Dienstleistungen aus Kultur und Medien basiert, lag in den Jahren 2008 bis 2011 über der der Chemischen Wirtschaft sowie der der Energiewirtschaft. Im Jahr 2009 übertraf sie die Bruttowertschöpfung der Automobilindustrie. Die rund 247.000 Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschafteten im Jahr 2012 einen Umsatz von 143 Milliarden Euro. Im Jahr 2012 zählte die Kultur- und Kreativwirtschaft 1,6 Millionen Erwerbstätige. Es handelt sich also um einen sowohl wirtschaftlich als auch mit Blick auf Beschäftigung wichtigen Wirtschaftszweig. Zusätzlich sind in Kultur und Medien Erwerbstätige im gemeinwohlorientierten Sektor tätig, deren Zahl bislang von den Statistiken nicht hinreichend erfasst und abgebildet wird. Der Deutsche Kulturrat sieht im derzeitigen Verhandlungsmandat und speziell in den Verhandlungen, die Ausnahme Kultur und Medien nicht ausreichend berücksichtigt und daher Kultur und Medien nicht hinreichend geschützt.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher als vordringlich erste Maßnahme:
- den Stopp der bisherigen Verhandlungen,
- die Formulierung eines neuen Verhandlungsmandats, in dessen Formulierung das neu gewählte Europäische Parlament, der Rat und die Parlamente der Mitgliedstaaten einbezogen werden,
- die konsequente Ausnahme von Kultur und Medien aus diesem Verhandlungsmandat,
- die Beauftragung der neuen EU-Kommission mit einem neuen Mandat die Verhandlungen mit den USA zu einem Freihandelsabkommen aufzunehmen,
- die regelmäßige umfassende Information von Parlamenten und Zivilgesellschaft über das neue Verhandlungsmandat und die darauf aufbauenden neuen Verhandlungen.
Für die weiteren Verhandlungen sind folgende Grundsätze für den Deutschen Kulturrat unverzichtbar:
Unterschiedliche Kulturbegriffe
Die USA und die EU sowie ihre Mitgliedstaaten pflegen unterschiedliche Vorstellungen von Kultur, kultureller und medialer Vielfalt sowie deren Erhalt und Förderung. Länder wie Deutschland und Frankreich beispielsweise verstehen sich ausdrücklich als Kulturstaaten und leiten daraus ihre Maßnahmen zur Kulturförderung ab. Fördermittel der öffentlichen Hand oder über Gebühren finanzierte Modelle sind jedoch in den USA unüblich. Eine Handelspartnerschaft, die auf gemeinsamen Werten und gegenseitigem Respekt gegründet ist, muss diese Unterschiede akzeptieren, zulassen und darf ihre Ausgestaltung nicht durch Handelsregeln einschränken oder verändern.
Gemischtes Abkommen
Aus Sicht des Deutschen Kulturrates bedürfen Handelsabkommen in dieser Größenordnung und Tragweite grundsätzlich der zusätzlichen Ratifikation sowohl durch das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Nur so kann ein solches Abkommen die notwendige Akzeptanz in den Mitgliedstaaten finden. Das impliziert, dass die nationalen Parlamente bereits in den Entstehungsprozess einbezogen werden müssen.
Investitionsschutz
TTIP kommt ohne ein Investitionsschutzkapitel und ohne Investor-Staat-Schiedsklauseln aus. Mit den USA und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten verhandeln Partner, in denen rechtsstaatliche Prinzipien gelten. Ebenso existieren in den USA und der EU etablierte Gerichtswesen. Der Rechtsweg steht allen offen. Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren bergen die Gefahr, Verfassungs- und Rechtsordnungen zu unterlaufen und die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Staaten in Rechts- und Regulierungsfragen zu unterhöhlen.
Positiv- statt Negativlisten
Im WTO-Kontext hat sich etabliert, bei Handelsabkommen in Positivlisten zu verzeichnen, welche Branchen vom jeweiligen Abkommen erfasst werden sollen. Positivlisten bieten die Chance im Zeitlauf zu evaluieren, ob die geplanten Wirtschaftseffekte in den betreffenden Branchen eingetreten sind. Es gibt keinen erkennbaren Grund von diesem bewährten Verfahren bei TTIP abzuweichen und nun Negativlisten zu vereinbaren, in denen beschrieben wird, welche Bereiche vom Abkommen nicht erfasst werden sollen. Negativlisten sind nicht geeignet, der dynamischen Entwicklung gerade in Kultur und Medien gerecht zu werden und bergen die Gefahr in sich, dass durch die Hintertür zusätzliche Bereiche erfasst werden.
Erhalt und Weiterentwicklung von Förderinstrumenten
Die bestehenden Rahmenregelungen und Förderinstrumente auf europäischer und nationaler Ebene für Kultur und Medien dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden. Das gilt für den erwerbswirtschaftlichen wie im nicht-gewinnorientierten Sektor. Sie müssen weiterhin zielgerichtet für europäische und/oder nationale Unternehmen und Institutionen eingesetzt werden können. TTIP-Ausnahmen für Kultur und Medien dürfen sich nicht allein auf die bestehenden Förderinstrumente beziehen, sondern müssen zugleich neue, noch entstehende Förderinstrumente erlauben, um zukunftsfähig zu sein. Zu den Förderinstrumenten zählen sowohl die öffentliche Förderung von beispielsweise Kultureinrichtungen, die Filmförderung oder die öffentlich-rechtliche Rundfunkfinanzierung als auch indirekte Fördermaßnahmen wie die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter. Sowohl direkte als auch indirekte Fördermaßnahmen müssen weiterentwickelt werden können, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kultur- und Medienproduktion zu gewährleisten.
Sicherung von digitalen Zukunftschancen
Ausnahmeregelungen dürfen nicht auf bestehende audiovisuelle Dienste und deren Verbreitung eingeengt werden, es muss vielmehr der digitalen Konvergenzentwicklung Rechnung getragen werden. Das heißt zum einen, dass die Ausnahme technologieneutral sein muss. Zum anderen bedeutet es, dass mit audiovisuellen Diensten alle bestehenden und sich künftig in diesem Bereich entwickelnde Dienste erfasst werden können sowie alle einhergehenden Dienste, die für den Transport, die Erbringung, den Zugang, die Auffindbarkeit sowie allgemein die Nutzungsmöglichkeiten dieser Dienste erforderlich sind. Dabei ist es kein Unterschied, ob audiovisuelle Dienste „alleinstehend“ oder „gebündelt“ mit anderen Diensten angeboten werden.
Erhalt und Ausbau eines hohen Schutzniveaus für Urheber- und Leistungsschutzrechte
Urheber- und leistungsschutzrechtliche Fragen werden im internationalen Kontext im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) verhandelt. Hier werden internationale Abkommen zum Urheber- und Leistungsschutzrecht geschlossen. Der Deutsche Kulturrat kann daher keinen zusätzlichen Nutzen darin erkennen, das Urheber- und Leistungsschutzrecht zum Gegenstand von TTIP zu machen. Dies umso mehr, weil sich das europäische Urheberrecht und das US-amerikanische Copyright-System grundlegend unterscheiden. Die Grundprinzipien des europäischen Urheberrechts, die den Urheber und seine Persönlichkeit sowie seine ökonomischen Rechte in den Mittelpunkt stellen, sind nicht verhandelbar.
Erhalt und Ausbau der sozialen Sicherung
Die ILO-Kernarbeitsnormen müssen die Grundlage zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in TTIP sein. Dazu zählt auch, dass diese Normen von beiden Seiten vollumfänglich anerkannt werden. Die in Deutschland bestehenden Arbeitnehmerrechte wie auch die in Deutschland bestehende soziale Absicherung der freiberuflichen Künstler und Publizisten durch das Künstlersozialversicherungsgesetz dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden. Unternehmen, die in Deutschland tätig werden, müssen sich an die geltenden europäischen bzw. nationalen Vorschriften halten und dürfen diese nicht unterlaufen.