Vorschläge zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 20.02.2019. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass nicht zuletzt durch die Debatte um das Humboldt Forum die Diskussion um den Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten Fahrt aufnimmt. Der Deutsche Kulturrat unterstreicht, dass dieses Thema nicht allein die Sammlungen im Humboldt Forum, sondern viele Museen sowie einige Bibliotheken und öffentliche, private sowie universitäre Sammlungen betrifft. Sie werden teils von den Kommunen, teils von den Ländern, teils vom Bund getragen. Einzubeziehen sind auch kirchliche Einrichtungen, die nicht zuletzt durch Missionsarbeit und Missionsstationen über einschlägige Sammlungen und umfangreiche Kenntnisse über koloniales Handeln verfügen.

 

Gesamtkonzept

 

Der Deutsche Kulturrat appelliert an Politik und Verwaltung das Thema Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten mit einem abgestimmten Gesamtkonzept anzugehen. Der Deutsche Kulturrat begrüßt daher, dass sich Bund und Länder unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände gemeinsam positionieren wollen. Der Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ist ein gesamtstaatliches Thema mit jeweils unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die organisierte Zivilgesellschaft, die Kirchen und die Wissenschaft kontinuierlich in den Diskussionsprozess um das Gesamtkonzept einbezogen werden.

 

Verantwortung aller Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen

 

Der Deutsche Kulturrat sieht alle Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, unabhängig von ihrer Trägerschaft, in der Verantwortung, ihre Objekte auf koloniale Kontexte zu prüfen. Dies gilt nicht nur für staatliche, kirchliche und universitäre ethnologische Sammlungen, sondern für andere Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, in denen sich Objekte aus kolonialen Kontexten befinden oder befinden können. In allen Einrichtungen und Sammlungen muss sensibel und angemessen mit den Objekten aus kolonialen Kontexten umgegangen werden. Alle Einrichtungen sind aufgefordert, u.a. durch einen langfristigen Austausch mit den Herkunftsgesellschaften zu einer Sensibilisierung sowie zu einem angemessenen und zukunftsfähigen Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten zu finden.

 

Verantwortung des Kunsthandels

 

Der Kunsthandel steht in der Verantwortung für die von ihm angebotene Ware. Die bestehenden Vorschriften des Kulturgutschutzgesetzes gelten selbstverständlich auch für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Die in der Diskussion befindliche EU-Einfuhrrichtlinie für Kulturgut sowie ihre Umsetzung in nationales Recht werden dazu beitragen, dass nur Kulturgut auf den Markt kommt, dessen Provenienz geklärt ist.

 

Fachliche Grundlagen

 

Der Deutsche Museumsbund hat als Fachverband mit seinem „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ bereits aus fachspezifischer Sicht eine sehr wichtige Grundlagenarbeit für die Museen geleistet, auf die von anderen Fachverbänden aufgebaut werden kann. Wesentliche Aspekte sind,

  • dass kolonialer Kontext mehr meint als die ehemaligen Kolonialgebiete,
  • dass ein kolonialer Kontext von Sammlungsgut nicht automatisch eine problematische Herkunft bedeutet,
  • dass Transparenz nach innen, d.h. hinsichtlich der Bestände von Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und nach außen, d.h. mit Blick auf den Dialog mit den Herkunftsgesellschaften, erforderlich ist,
  • dass die Rückgabe von Kulturgut aus kolonialen Kontexten eine Option nach einem Verhandlungsprozess ist, aber auch die Option besteht, dass die Objekte in Deutschland verbleiben,
  • dass die Erschließung der Museumsbestände und die Erforschung von ihrer Provenienz energisch angegangen werden müssen.

 

Der Deutsche Bibliotheksverband hat sich auf den Weg eines innerverbandlichen Klärungsprozesses gemacht. Andere Fachverbände von Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sollten sich ebenfalls aus ihrer Fachsicht mit dem Thema befassen.

 

Provenienzforschung

 

Damit die Provenienzrecherche gelingen kann, müssen die betreffenden Einrichtungen sowohl personell als auch hinsichtlich der Sachkosten entsprechend ausgestattet werden. Hier sind Bund, Länder und Kommunen gefordert. Der Ausbau des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste um den Arbeitsbereich Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Hier sollten auch Kapazitäten bereitgehalten werden, um kleinere Kultureinrichtungen fachkundig zu unterstützen.

 

Digitalisierung

 

Die Digitalisierung von Objekten, bei denen ein kolonialer Kontext zweifelsfrei festgestellt wurde, und ihre Zugänglichmachung in einem in öffentlicher Verantwortung stehenden Portal sind ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz. Neben den Objekten sollten auch wissenschaftliche Zeugnisse und Dokumentationen veröffentlicht werden, um die Kontexte aufzuzeigen. Dabei sollte sich auf ein nationales Portal konzentriert werden, damit Vertreterinnen und Vertreter der Herkunftsgesellschaften eine zentrale Anlaufstelle haben. Das von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden getragene Deutsche Zentrum Kulturgutverluste wäre ein geeigneter Träger eines Portals zum Nachweis kolonialer Provenienzen. Das Portal muss über Standardschnittstellen mit den Fachportalen von Archiven, Bibliotheken und Museen sowie der Deutschen Digitalen Bibliothek so verbunden werden, dass Doppelarbeit und Mehraufwände begrenzt werden.

 

Mit der Ausweitung der Aufgaben sollte der Name des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste noch einmal überdacht werden.

 

Rückgabe

 

Im Rahmen des geforderten Gesamtkonzeptes muss beschrieben sein, wie von den Herkunftsgesellschaften zurückgeforderte Objekte, die sich in öffentlichen und kirchlichen Sammlungen befinden und deren Provenienz geklärt ist, in angemessener Zeit zurückgegeben werden. Als vordringlich erachtet der Deutsche Kulturrat die Rückgabe menschlicher Überreste.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt die Provenienzforschung und -dokumentation, die rechtliche Expertise und die Restitutionsverfahren selbst sind jedoch den Unterhaltsträgern vorbehalten. Eine feste Justiziarstelle am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zur fachlichen Rechtsberatung aller Unterhaltsträger könnte zur Rechtssicherheit und dem weiteren Aufbau von Expertise in diesem Feld beitragen.

 

Für Grenzfälle und Entscheidungsfragen, bei denen die Provenienzrecherche zwar abgeschlossen ist, aber Unklarheiten bezüglich des weiteren Verfahrens bestehen, sollte darüber hinaus eine Ombudsstelle oder ein Ethik-Beirat eingerichtet werden. Er sollte in Zweifelsfällen von einer beteiligten Seite herangezogen werden können und plural mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sowie Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsgesellschaften besetzt sein.

 

Wissenschaftlicher Austausch

 

Der Deutsche Kulturrat sieht ferner die Notwendigkeit, die Fächer an den Universitäten zu stärken und auszubauen, die sich mit kulturellen und künstlerischen Objekten sowie gesellschaftlichen Strukturen in kolonialen Kontexten befassen. Hierzu gehören auch sogenannte Kleine Fächer, die hochspezialisiert sind. An den Hochschulen werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgebildet, die die Objekte lesen, interpretieren und bewahren können. Der internationale Austausch und Dialog insbesondere mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Herkunftsgesellschaften sollte intensiviert und entsprechend unterstützt werden.

 

Dieser Austausch kann zur Capacity Building bei allen Beteiligten beitragen. Er ermöglicht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier wie dort den Erwerb neuer Kenntnisse, Blickweisen und Erfahrungen im Umgang mit Objekten der Herkunftsgesellschaften – auch im Hinblick auf konservatorische Aspekte.

 

Internationale Verständigung

 

Die Frage, wie mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten umgegangen wird, betrifft nicht allein Deutschland. Es gilt den bestehenden internationalen Dialog zu verstetigen und zu intensivieren. Die Washingtoner Erklärung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut könnte ein Vorbild für eine internationale Erklärung zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sein.

 

Erweiterung des Blicks

 

Aus Sicht des Deutschen Kulturrates geht es bei der Debatte um die Kolonialzeit im Allgemeinen und den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten im Besonderen um eine grundlegende Erweiterung und Veränderung des westlich zentrierten Blicks. Jenseits der Frage um Restitution stellt sich für Kultur, Kunst und Bildung die Aufgabe, mit dem kulturellen Erbe Kolonialismus umzugehen.

 

Hierzu gehört auch ein besserer Zugang für Künstlerinnen und Künstler sowie kulturwirtschaftliche Unternehmen aus den Ländern des globalen Südens zu den Märkten und Podien der Industrieländer. Dies kommt auch im UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (kurz Konvention Kulturelle Vielfalt) zum Ausdruck. Diese auch von der Bundesrepublik und der Europäischen Union ratifizierte Vereinbarung gilt es, mit Leben zu füllen.

 

In diesen Kontext gehört ebenso der Einsatz für einen gerechten Welthandel. In der genannten Konvention Kulturelle Vielfalt wird klargestellt, dass Kulturgüter und -dienstleistungen Waren besonderer Art sind. Sie sind Handels- und Kulturgut. Dies muss bei der Aushandlung von internationalen Handelsabkommen Berücksichtigung finden. Der Schutz der hiesigen Kulturmärkte darf nicht zu Lasten der Kreativwirtschaft aus den Ländern des globalen Südens gehen. Vielmehr gilt es, entschieden für einen gerechten Welthandel einzutreten.

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