Berlin, den 10.08.2020. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat in seiner 2016 vorgestellten Studie „Frauen in Kultur und Medien“ herausgearbeitet, dass es im Kultur- und Medienbereich noch keine Geschlechtergerechtigkeit gibt. Dies trifft sowohl auf Unterschiede bei Honoraren und Gehältern zu als auch auf die Vergabe von Stipendien und Preisen oder die Besetzung von Führungspositionen in Verwaltung, Kultureinrichtungen und -unternehmen sowie Weiteres mehr.
Die Resonanz in Presse, Öffentlichkeit, Politik und Verbänden auf diese ernüchternden Studienergebnisse war enorm und hält bis heute an. Der Deutsche Kulturrat verfasste noch im selben Jahr eine Stellungnahme mit konkreten Forderungen an Politik und Verwaltung. Seit 2017 widmet er sich in einem eigenen Projekt dem Thema Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien und führt hier u. a. ein sehr erfolgreiches Mentoring-Programm für Frauen durch, die Führungspositionen anstreben. Weiter wurde im Juni 2020 die Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ vorgelegt.
Viele Mitgliedsverbände des Deutschen Kulturrates befassen sich ihrerseits mit dem Thema, einige bereits seit Langem, andere angestoßen durch die Studienergebnisse. Sie bearbeiten Themen wie geschlechtergerechte Gremienbesetzung, alternierende Preisvergaben, Formulierung von Verhaltenskodexen, gendersensible Sprache inVeröffentlichungen und Website-Texten oder die eigene gendergerechte Namensgebung.
Das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die allgemeine Aufmerksamkeit ist zu begrüßen, einzelne Maßnahmen und Programme zeigen erste Wirkung, und dennoch ist weiterhin viel zu tun. Geschlechtergerechtigkeit sollte von allen Geschlechtern[1] als Notwendigkeit und Chance begriffen werden: als ein Mehr an Fairness, Vielfalt, Erfahrungsaustausch und Miteinander, das neue Rollenbilder und Arbeitsmodelle ermöglicht.
Geschlechtergerechtigkeit ist bereits Ziel unserer Verfassung
Der Deutsche Kulturrat tritt für Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien ein. Sie entspricht dem verfassungsrechtlichen Ziel der Gleichstellung der Geschlechter. Der Staat hat die Verpflichtung, Maßnahmen auf allen Ebenen zu ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen. Strukturelle Hindernisse müssen abgebaut und beispielsweise neue Arbeitsmodelle etabliert werden.
Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien ist eine Querschnittaufgabe, die zum festen Bestandteil kulturpolitischer Forschung, Diskussion und vor allem entsprechenden Handelns werden muss. Geschlechtergerechtigkeit umfassend umzusetzen, ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die sämtliche Lebensbereiche und Rahmenbedingungen umfasst. Diese beginnt bereits bei der Gestaltung frühkindlicher Bildung und außerschulischer kultureller Bildungsangebote, damit die Entfaltung von Kindern und Jugendlichen unabhängig von Genderstereotypen gewährleistet werden kann. Sie setzt sich in der kulturellen Erwachsenenbildung fort. In diesem Kontext sollten klischeefreie, positive Rollenbilder für alle Geschlechter etabliert werden, in Unterrichtswerken, Ausstellungskonzeptionen und den Medien.
Es geht darum, in den Bereichen, in denen bislang für einzelne Geschlechter Nachteile bestehen, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Die Chance, Kunst hauptberuflich ausüben und sich künstlerisch entfalten zu können, muss für alle Geschlechter gleich groß sein. Der Gender-Pay-Gap ist hier einer der zentralen Indikatoren für das Erreichen oder Nicht-Erreichen der angestrebten Geschlechtergerechtigkeit.
Neben dem Gender-Pay-Gap existiert ein Gender-Show-Gap. Diese Ungleichheit in der Präsenz setzt sich in der Kulturgeschichtsschreibung fort und wirkt sich auch ökonomisch aus.
Ziel ist deshalb auch ein Bewusstseinswandel, damit ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter positiv wahrgenommen wird. Denn hiervon profitiert die gesamte Gesellschaft.
Für diesen angestrebten Bewusstseinswandel setzen sich seit langer Zeit bundesweit agierende Netzwerke in ihrer jeweiligen Sparte ein. Sie übernehmen mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit eine unverzichtbare Aufklärungsleistung, stoßen Diskussionen an und arbeiten an Lösungsmodellen. Solche Netzwerke bedürfen einer nachhaltigen Strukturförderung, denn ihre Mitglieder stecken vielfach selbst in prekären Arbeitsverhältnissen.
Im Folgenden geht der Deutsche Kulturrat auf einzelne Aspekte ein.
Gendergerechter Zugang zu individueller sowie projektbezogener Förderung
Der Zugang zu individueller und projektbezogener Förderung ist derzeit nicht geschlechtergerecht. Dies gilt gleichermaßen für Arbeits- oder Aufenthaltsstipendien, dotierte Preise und Auszeichnungen sowie die Verwirklichung von Projekten durch finanzielle Zuschüsse.
Bereits vor zwei Jahren forderte der Deutsche Kulturrat, dass Jurys und Auswahlgremien, die durch öffentliche Mittel finanziert werden, paritätisch besetzt werden. Der Deutsche Kulturrat ist erfreut, dass diese Forderung zumindest bei Jury- und Gremienbesetzungen, die im Zuständigkeitsbereich der Kulturstaatsministerin liegen, bereits weitgehend erfüllt ist. Noch bestehende Ungleichgewichte gilt es in anstehenden Besetzungsrunden zu beseitigen.
Über die Gremienbesetzung hinausgehend besteht weiterer Handlungsbedarf.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass
- Maßnahmen der individuellen und projektbezogenen Förderung von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch familiengerechte Konditionen berücksichtigen,
- altersunabhängige Förderprogramme für den beruflichen Wiedereinstieg nach einer Familienphase entwickelt werden, die Vätern und Müttern offenstehen,
- Bewerbungs- und Auswahlverfahren, sofern möglich und sinnvoll, anonymisiert erfolgen,
- die Vergabe von Preisen, Stipendien und Auszeichnungen nicht von der Geschlechterzugehörigkeit beeinflusst sein darf.
[1] Ziel von Geschlechtergerechtigkeit ist eine non-binäre Sichtweise auf Gesellschaft