NEUSTART KULTUR: Erfahrungen nutzen, um Passgenauigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeskulturförderung zu stärken

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Bundesförderprogramm NEUSTART KULTUR

Berlin, den 19.01.2024. Die von 2020 bis 2023 andauernde Coronapandemie war ein tiefer Einschnitt für den Kunst-, Kultur- und Mediensektor. Öffentliche und private Kultureinrichtungen sowie Veranstaltungsorte mussten in großem Umfang schließen. Das normale kulturelle Leben mit tausenden täglichen Angeboten in der gesamten Republik konnte nicht wie gewohnt stattfinden. Viele Künstlerinnen und Künstler, Kulturorte, Kultureinrichtungen und -vereine waren in existentieller Not, nicht wenige befürchteten, dass sie die Zeit ökonomisch nicht überstehen würden.

 

Auch der Kultursektor konnte an den „normalen“ Wirtschaftsförderprogrammen partizipieren. Sie erwiesen sich in vielen Fällen allerdings als wenig passfähig. Öffentliche Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen konnten Kurzarbeit beantragen. Die Zugangshürden zur Grundsicherung wurden gesenkt.

 

Wesentlich für die Existenz und die Weiterentwicklung des Kultursektors waren die spezifischen Unterstützungsprogramme von Bund, Ländern und teils auch Kommunen. Neben der finanziellen Unterstützung wurde damit auch das Signal ausgesendet, dass Kunst und Kultur für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Dies war für diesen Sektor ökonomisch und für das breite Verständnis über die Rolle der Kultur sehr wichtig.

 

Eine besondere Rolle mit Blick auf das Volumen von 2 Milliarden Euro über drei Jahre und die dezentrale Vergabe spielte das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgelegte Programm NEUSTART KULTUR. Dieses Programm sollte dazu dienen, im gemeinnützigen und privatwirtschaftlichen Kulturbereich die Auswirkungen der Pandemie abzufedern und ihn für die Zukunft zu stärken. Es hatte drei Schwerpunkte:

 

  • pandemiebedingte Investitionen,
  • Stärkung der Kulturinfrastruktur,
  • alternative, auch digitale Kulturangebote.

 

Ferner wurden pandemiebedingte Einnahmeverluste und Mehrbedarfe bundesgeförderter Häuser und Projekte aufgefangen.

 

Unter dem Dach des Deutschen Kulturrates fanden seit 2020 regelmäßige Treffen der Bundeskulturverbände, Fonds, Stiftungen und anderen Institutionen statt, die Mittel aus dem Bundesprogramm NEUSTART KULTUR (2020 bis 2023) vergeben haben. Die Treffen dienten dazu, Erfahrungen auszutauschen, Verbesserungsmöglichkeiten in der konkreten Durchführung der Programme zu besprechen und Synergien in der Fördermittelvergabe zu ermöglichen. Der Deutsche Kulturrat selbst hat keine Fördermittel ausgereicht.

 

Nach Ablauf des Förderzeitraums im Sommer 2023 zeigt sich, dass das Programm gewirkt hat und vor allem: NEUSTART KULTUR war mehr als die Stabilisierung des Bestehenden. NEUSTART KULTUR hat die durch multiple gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen unserer Lebenswirklichkeit in den letzten Jahren bedingte Transformation im Kulturbereich vorangebracht und zugleich weitere Bedarfe aufgezeigt.

 

Erfolgsfaktoren für NEUSTART KULTUR waren:

 

  • Enge Anbindung an den Kultursektor. Die im Verlauf von drei Jahren durchgeführten 78 Einzelprogramme wurden in enger Abstimmung mit dem Kultursektor entwickelt. Die Bundeskulturverbände in ihrer Breite, die Bundeskulturfonds, die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturstiftung der Länder, weitere Kulturförderorganisationen sowie die Verwertungsgesellschaften, die die Mittel ausgereicht haben, werden von den Kulturakteuren getragen bzw. die Kulturakteure sind in Entscheidungsstrukturen eng eingebunden. Die Programme konnten daher passgenau auf die Bedarfe der jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten werden. Die Antragsteller, die teilweise zum ersten Mal mit Bundesmitteln gefördert wurden, konnten während des kompletten Förderprozesses von der Antragsstellung über die Umsetzung bis hin zur Vorlage der Verwendungsnachweise intensiv beraten werden. Bei der Förderung pandemiebedingter Investitionen konnte auf die Fachkenntnis aus dem Feld zurückgegriffen werden, um wirtschaftliche und nachhaltige Lösungen zu finden. Das in den verschiedenen Organisationen vorhandene Wissen konnte für die Beratung, für die Jurierung von Anträgen und für die Information zum Programm mobilisiert werden. Vielfach haben sich hoch qualifizierte, professionelle Akteure ehrenamtlich in Jurys oder auch in der Beratung engagiert. NEUSTART KULTUR ermöglichte neue Formen der Kooperationen und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung, Professionalisierung und breiteren gesellschaftlichen Verankerung und Vernetzung des Kulturbereiches.
  • Eröffnung von Möglichkeitsräumen. Da pandemiebedingt Veranstaltungen nicht stattfinden konnten, eröffneten die Einzelprogramme Möglichkeiten, die insbesondere zur Stabilisierung, Neuorientierung und Erweiterung der künstlerischen, unternehmerischen Tätigkeit bzw. der Neuausrichtung von nicht öffentlich geförderten Kultureinrichtungen dienten. Hierbei ermöglichten diese Einrichtungen und die freien Kulturschaffenden, dass Kultur und Begegnung sowie kulturelle Mitwirkung auf neuen Wegen und an ungewöhnlichen Orten weiterhin stattfanden, ein Kulturleben unter Pandemie-Bedingungen also nicht vollständig zum Erliegen kam. Einzelne Programme konnten dazu genutzt werden, die Organisations- und Teamentwicklung voranzutreiben oder auch bei Soloselbstständigen die Professionalität als Unternehmerin bzw. Unternehmer sowohl in künstlerisch-inhaltlicher als auch in unternehmerischer bzw. struktureller Hinsicht weiterzuentwickeln. Viele gewannen Zeit, sich auf die post-pandemischen Herausforderungen vorzubereiten und das eigene Programm oder die Ausrichtung der Arbeit zu reflektieren und zu fokussieren.
  • Schnelle Organisationsentwicklung. Innerhalb kürzester Zeit haben die Mittel ausreichenden Institutionen ihre Organisation weiterentwickelt, Prozesse optimiert, die Digitalisierung vorangetrieben und ihr Personal aufgestockt. Das neue Personal, das in Teilen bislang noch wenig Erfahrung mit Förderverfahren hatte, wurde in kürzester Zeit bei gleichzeitigem Erfüllen aller Ansprüche und Kriterien geschult, damit sie die Antragsteller adäquat beraten und begleiten konnten. Diese Organisations- und Personalentwicklung war eine erhebliche Herausforderung, die unter einem hohen Erwartungsdruck von Seiten der Kulturszene, Politik und Verwaltung sowie Öffentlichkeit und Medien gemeistert wurde. Hierauf kann und sollte jetzt aufgebaut werden.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, mit Blick auf die Bundeskulturförderung folgende Aspekte bei künftigen Förderansätzen zu berücksichtigen:

 

  • Weiterhin auf staatsferne Vergabe von Fördermitteln setzen. Einmal mehr hat sich die zivilgesellschaftliche Vergabe von Kulturfördermitteln mit Blick auf die inhaltliche Ausgestaltung sowie die operative Durchführung bewährt. Die Kulturszene kennt die Bedarfe, sie ist mit den Spezifika der jeweiligen Branchen bzw. künstlerischen Sparten vertraut und kann aufgrund ihrer Struktur aus professionellen, freien, haupt- und ehrenamtlichen Akteuren flexibel reagieren. Die Vergabe von Kulturfördermittel durch selbstverwaltete Fonds, Kulturförderinstitutionen, die Bundeskulturverbände oder Stiftungen ist der adäquate Weg der Kulturförderung.
  • Investitionsstau beseitigen. Im Kulturbereich besteht ein erheblicher Investitionsstau, der in der Pandemie besonders sichtbar wurde. Er führt dazu, dass u. a. ökologische Nachhaltigkeitsziele kaum erreicht werden können. Zentrale Aufgabe ist daher, diesen Investitionsstau weiter abzubauen und dabei die Expertise von Fachleuten aus dem Kultursektor einzubinden und zu nutzen.
  • Digitalisierung vorantreiben. Im Rahmen von NEUSTART KULTUR wurden angepasste Konzepte zur Digitalisierung entwickelt und erprobt. Dies gilt für die künstlerische Auseinandersetzung mit digitalen Medien und Digitalität ebenso wie für die digitale Vermittlung. Hier konnten neue Formate erprobt und künstlerisch experimentiert werden. Gleichfalls gab es einen Digitalisierungsschub mit Blick auf Antrags- und auch Jurierungsverfahren. An diese Konzepte gilt es anzuknüpfen und die Erfahrungen aus dem Feld einzubeziehen.
  • Ausgewogenes Verhältnis von Projekt- und Strukturförderung. In den vergangenen Jahren wurde gerade von Bundesseite in der Förderung ein Fokus auf zeitlich befristete Projekte gelegt. Projekte ermöglichen, Neues zu erproben. Sie setzen allerdings voraus, dass eine entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, um Projekte beantragen und durchführen zu können. Die Infrastrukturförderung hat mit der Projektförderung nicht mithalten können, was teilweise zu Überforderungen von Akteuren und Akteurinnen bzw. Institutionen führt. Ein ausgewogenes Verhältnis von Projekt- und mehrjähriger Strukturförderung ist unverzichtbar, um Innovationen zu ermöglichen und den Akteuren und Akteurinnen bzw. Institutionen Organisations- und Teamentwicklungsperspektiven zu eröffnen. In diesem Rahmen ist auch die auskömmliche Förderung von Projekten und die adäquate Bereitstellung von Fördermitteln für Künstlerinnen und Künstler sowie andere Soloselbstständige, die beauftragt werden, sicherzustellen.
  • Verwaltungsvereinfachungen beibehalten. Während der Corona-Pandemie wurde eine Reihe von Vorschriften in der Bewirtschaftung öffentlicher Mittel vereinfacht. Hierzu gehören beispielsweise die flexibleren Möglichkeiten der Mittelbewirtschaftung wie bspw. die überjährige Mittelverwendung innerhalb der Programme, was der Programmsteuerung zugutekam, die Erreichung der Förderziele und auch den wirtschaftlichen Einsatz der Fördermittel verbesserte. Weiter erleichterten die großzügigen Grenzen der Beschaffung die Vergabeverfahren erheblich, was wiederum zeitliche Spielräume für Beratung eröffnete. Die Überjährigkeit sowie die Vereinfachungen führten zu Erleichterungen, Einsparungen in der Mittelbewirtschaftung und zur Fokussierung auf künstlerisch überzeugende Ergebnisse. Die Vereinfachungen gilt es dringend wiederaufzunehmen und in den Regelbetrieb öffentlicher Förderung aufzunehmen und um weitere Verwaltungsvereinfachungen zu ergänzen, die insgesamt zu einem effektiveren und wirtschaftlicheren Einsatz von Fördermitteln führen können.
  • Austausch fortsetzen. Als fruchtbar hat sich der Austausch der mittelausreichenden Institutionen unter dem Dach des Deutschen Kulturrates erwiesen. Hier konnte sich offen über Hindernisse, Fragen und Lösungsansätze ausgetauscht werden. Ungelöste Probleme wurden gebündelt und dann gemeinsam mit der BKM besprochen. Diesen Austausch gilt es fortzusetzen.
Vorheriger ArtikelArbeitslosenversicherung: Verbesserungen für Soloselbstständige sind dringend erforderlich
Nächster ArtikelJahressteuergesetz 2024: Mit Steuerpolitik die Kultur stärken