Ein Dasein im Schatten der Zensur

Kunst und Kultur im Iran

 

Am bedrohlichsten empfindet Verlegerin Lahiji, dass das Kulturniveau Irans immer tiefer sinke. Die Literatur werde immer oberflächlicher: „Es werden Bücher aufgelegt, die literarisch gesehen ziemlich wertlos sind. Bücher wie ´Wer aß meinen Käse?´, ´Wie kommt man schnell zu Geld?´ oder ´Managementkurs in 5 Minuten´. So etwas zählt man bestimmt nicht zur Weltliteratur“.

 

Drei Bücher hat Lahiji selbst geschrieben: Über Frauen in der iranischen Geschichte, Frauen in der Kunst und Frauen auf der Suche nach Freiheit. Jedes Mal musste sie um die Veröffentlichung hart kämpfen: „Es gibt keinen festen Maßstab für Zensur. Es hängt weitgehend vom Sachbearbeiter ab. Wir sind seinem Geschmack ausgeliefert, denn das Gesetz verbietet Zensur ja im Grunde. Wir wissen nicht, was eigentlich verboten ist. Es hängt vom Zensor und dessen Empfinden beim Lesen des Buches ab“.

 

Über 40 Bücher aus ihrem Verlag warten auf eine Druckgenehmigung. Bei vielen Büchern hat sie die Hoffnung bereits aufgegeben. Vor allem Büchern zu Frauenthemen bleibt die Zustimmung versagt. Auch wenn der Druck der Bücher genehmigt wird, ist der Vertrieb noch keineswegs sicher. Denn das gedruckte Werk muss noch dem Geschmack von anderen Beamten entsprechen, die das fertige Produkt freigeben müssen. Ganze Auflagen können so noch einer Zensur zum Opfer fallen, die es offiziell gar nicht gibt. Die Worte von Präsident Rohani verhallen ungehört: „Wenn die Medien nicht Sicherheit spüren, wenn sie ständig besorgt sein müssen über ihren Weg, über ihre Schriften, wie können sie etwas zur Sicherheit (unseres Landes) beitragen? Gebrochene Schreibstifte und geschlossene Münder können nichts bewirken“.

 

Rohani mahnt, doch er ist weitgehend machtlos. Irans erzkonservative Hardliner haben die Kultur zum Kampfplatz erkoren, um eigene Stärke zu demonstrieren und die relative Machtlosigkeit des Präsidenten zu zeigen. Fest terminierte Konzerte werden verboten, Ausstellungen abgesetzt und der Spielraum für Kulturschaffende wird immer weiter eingeschränkt. Die Politik der Herrschenden bleibt nicht unwidersprochen. Vor allem junge Menschen ziehen ihre eigenen Schlüsse. Zwischen 150.000 und 200.000 gut ausgebildete Iraner verlassen Jahr für Jahr ihr Land. Niemand hält sie zurück, obwohl dieser Braindrain laut Berechnungen des Internationalen Währungsfonds einem umgerechneten Kapitalverlust von knapp 50 Milliarden US-Dollar entspricht. Oft gehen eben kritische Köpfe, um ihr Glück in der Welt zu suchen, die den Herrschenden zuhause keine Kopfschmerzen mehr bereiten. Doch viele bleiben in ihrem Heimatland, auch wenn sie die Möglichkeit hätten, den Iran zu verlassen.

 

„Kyros ist unser Vater, der Iran ist unser Land“, haben Zehntausende Menschen unlängst in Pasargadai im südlichen Zāgros-Gebirge skandiert. Am Grabmal von Kyros dem Großen huldigten sie dem sechsten König des altpersischen Achämenidenreiches. Es war mehr als eine Huldigung. „Freiheit des Denkens ist mit Bart und Wolle nicht möglich“, riefen die Menschen unter Anspielung auf die Herrschaft der Geistlichen in ihrem Land. Die Versammlung am Grab von Kyros habe viele im Herrschaftsapparat ins Grübeln gebracht, erläutert Zibakalam von der Uni Teheran: „Die Herrschaft konnte sich nicht vorstellen, dass sich bis zu 50.000 Menschen dort versammeln. Sie kann auch keine ausländische Macht wie die USA oder die ´Zionisten´ dafür verantwortlich machen«. Niemand habe für Kyros geworben, es seien keine Bücher über ihn veröffentlicht und gelesen worden, so Zibakalam: »Kyros ist zu einem Symbol der Ablehnung des Regimes geworden“.

 

Was am Grab des Achämenidenkönigs aus dem 6. Jahrhundert vor Christus zu hören war, lässt die Alarmglocken bei den Herrschenden der Islamischen Republik laut läuten: „Wir sind Arier und beten keine Araber an“ war dort zu hören. Das neupersische Reich der Sasaniden wurde in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts nach Christus sukzessive von arabischen Heeren unterworfen. Es folgten Jahrzehnte blutigen Widerstands mit drakonischen Strafmaßnahmen durch die muslimischen Eroberer. Persien wurde schließlich weitgehend islamisch. Seit der Revolution von 1979 ist der Islam stärker denn je Richtschnur für die Herrschenden des Landes.

Reinhard Baumgarten
Reinhard Baumgarten ist Redakteur bei SWR Ausland und Europa. Er war bis 2018 Hörfunkkorrespondent der ARD für die Türkei, Griechenland und den Iran.
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