Ein Dasein im Schatten der Zensur

Kunst und Kultur im Iran

 

Präsident Rohani hat Recht, wenn er betont, von Künstlern gehe angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung keine Bedrohung der Gesellschaft aus. Diese sollten Symbole der Freude, der Hoffnung und der nationalen Einheit sein, fordert Rohani. Die Worte hören sie wohl – die Autoren, Maler, Regisseure, Musiker, Komponisten und Verleger. Leider gebe es im Iran auch knapp 38 Jahre nach der Revolution keine Freiheit der Kunst, stellt die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotudeh nüchtern fest: „Die Künstler leben in einem Klima der Unsicherheit. Wenn ein Künstler auf festen Beinen steht, kann er solide Kunstwerke schaffen“.

 

Zensur finde im Iran auf vielen Ebenen statt, weiß die Verlegerin Lahiji: „Zuerst zensiert sich der Autor selbst, weil er so wenige Probleme wie möglich haben möchte. Dann folgt der Verleger. Das macht er entweder mit oder ohne Erlaubnis des Autors, oder er setzt ihn unter Druck, um Ärger mit dem Ministerium zu vermeiden. Danach zensiert schließlich noch das Ministerium“.

 

Das Ministerium für Kultur und Islamische Rechtleitung – kurz Ershad – achtet darauf, dass sich keine unerwünschten Einflüsse im Iran breitmachen. Mahmoud Doulatabadi gehört zu den international renommiertesten Schriftstellern Irans. Etliche seiner Bücher sind auf Deutsch erschienen. Im Iran sind sie legal oft nicht erhältlich.

„Ständig fordere ich die Herrschaft dazu auf, Druckgenehmigungen für Bücher zu erteilen. Literatur führt zu keiner materiellen Veränderung. Kein Buch hat einen Regimewechsel bewirkt. Lasst doch die Bücher erscheinen und erlaubt den Menschen zu sagen, was sie sagen wollen“, so Doulatabadi.

 

Die in der Praxis umfangreich geübte Zensur zeige Wirkung, beklagt die Verlegerin Lahiji. Der iranischen Gegenwartsliteratur fehle es an Inhalt, Reiz und Tiefgang. Sie habe den Anschluss sowohl an die eigenen Leser als auch an die Welt der Literatur verpasst. Die großen Werke der Weltliteratur erzählten vom Leben. Wenn man das Leben aus den Werken herausnehme, bleibe nichts übrig, so Lahiji: „Das Leben besteht aus Gut und Böse. Es gibt im Leben Sex, Liebesbeziehungen, Hass und Liebe, töten und getötet werden und vieles mehr. Wenn wir über all das nicht schreiben und es auch nicht übersetzen dürfen, dann entfernen wir uns von dieser Welt“.

 

Trotz aller Einschränkungen – die knapp 80 Millionen Iraner leben nicht im Tal der Ahnungslosen. Das Internet wird zwar gefiltert, Satellitenschüsseln werden zertrümmert, leistungsstarke Störsender – im Iran Parasit genannt – sollen den Empfang von ausländischen Satellitenkanälen verhindern. Doch die Menschen wissen Bescheid. Sie verstehen es, sich zu informieren und sie wissen, was in der Welt vor sich geht. Junge Leute stehen trotz offizieller Ablehnung auf westliche Musik, sie mögen in London, Berlin oder New York gesetzte Trends und kommunizieren mit gleichaltrigen diesseits und jenseits der iranischen Grenzen.

 

Weil sie im Iran lebe, seien ihr die roten Linien bewusst, verdeutlicht die junge Theaterregisseurin Nasim Saman. Das Ergebnis sei eine ständig geübte Selbstzensur: „Man arbeitet mit der Zensur und das ganze Stück ist eigentlich ein Produkt der Zensur“. Es gebe ungeschriebene Regeln der Zensur, erklärt auch die Verlegerin Lahiji, und sie nennt ein Beispiel: Ein Mann und eine Frau lieben sich. Damit die Geschichte gedruckt werden kann, dürfen die beiden nicht unverheiratet sein. Deshalb wurde der Verlag aufgefordert, die beiden im Buch als verheiratet darzustellen. Der Reiz einer verbotenen Liebesbeziehung ist damit natürlich hin. Natürlich gibt es im Iran wie überall auf der Welt geheime Liebesbeziehungen. Deren Zahl nimmt stetig zu. Aber darüber darf nicht geschrieben werden.

 

Die Filmregisseurin Manishe Hekmat hat vor knapp 15 Jahren mit dem sozialkritischen Film „Das Frauengefängnis“ einen Kassenschlager gelandet. Zwei Jahre durfte der Streifen nach Fertigstellung nicht gezeigt werden. Dann kam er in die Kinos und wurde ein Publikumsrenner. Das war während der Präsidentschaft des Reformers Mohammed Khatami. Heute darf „Das Frauengefängnis“ im Iran nicht mehr verkauft werden. Die Liste der Tabuthemen, stellt Hekmat bitter fest, werde immer länger, inhaltsvolle Filme zu realisieren gestalte sich für unabhängige Filmemacher zunehmend schwierig: „(Tabuthemen sind) Drogensucht, Aids, Scheidung und Ehebruch. Man fängt an, eine Geschichte, ein Drama zu erzählen, aber wir dürfen die Geschichte nicht in unserem Sinne zu Ende erzählen. Irgendwo müssen wir aufhören. Wir schneiden ein Problem an, können aber nicht sagen und zeigen, wie es zu Ende geht“.

Reinhard Baumgarten
Reinhard Baumgarten ist Redakteur bei SWR Ausland und Europa. Er war bis 2018 Hörfunkkorrespondent der ARD für die Türkei, Griechenland und den Iran.
Vorheriger ArtikelCouchsurfing im Iran
Nächster ArtikelIran, mein unbekanntes Land