Der Iran ist – zumindest für mich – ein unbekanntes Land, das zugleich allein bei der Nennung des Namens unmittelbar zahlreiche Assoziationen und Bilder weckt. Assoziationen sind die Tötung von Benno Ohnesorg beim Besuch des letzten Schah Mohammed Reza Pahlavi am 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper in Berlin, nur wenige hundert Meter von meiner heutigen Wohnung in Berlin entfernt. Die Proteste gegen den Schah-Besuch und die Tötung von Ohnesorg markieren einen der Einschnitte in der bundesdeutschen Studentenbewegung. Die 1968er-Bewegung ist dadurch geprägt worden und die daraus folgende Radikalisierung führte letztendlich auch zu dem Terrorismus der RAF. Die Bilder der auf die Demonstranten einprügelnden Schah-Entourage und insbesondere das Bild des erschossenen Ohnesorg sind ikonographisch.
Weitere ebenfalls ikonographische Bilder sind die Ankunft von Ajatollah Ruhollah Khomeini aus dem französischen Exil in Teheran oder die Gefangennahme von 60 US-amerikanischen Botschaftsangehörigen in Teheran im November 1979 durch iranische Studierende. Die 1989 von Ajatollah Khomeini über den britischen Schriftsteller Salman Rushdie ausgesprochene Fatwa, also die Todesstrafe, aufgrund seines Werkes die „Satanischen Verse“ steht ebenso für den Iran wie die antisemitischen und israelfeindlichen Einlassungen des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, dessen Außenpolitik das Land immer weiter isolierte.
Andere Bilder des Irans sind die Verwundeten der irakisch-iranischen Kriege, mit dem Tschador verhüllte Frauen, brennende Ölfelder.
Wiederum andere Assoziationen sind die persische Dichtkunst und hier besonders der Dichter Hafis, der Johann Wolfgang von Goethe zum West-östlichen Divan inspirierte. Persien war für lange Zeit der sagenhafte Orient und nicht Arabien. Die europäische Kultur wurde über Jahrhunderte gerade auch von Persien beeinflusst.
Der Iran, ein unbekanntes Land? Der Iran, ein irritierendes Land! Die Islamische Republik Iran geografisch zwischen dem Kaspischen Meer im Norden und dem Persischen Golf im Süden gelegen, grenzend an Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan, den Irak, die Türkei, Armenien und Aserbaidschan ist ein Land von großer geostrategischer Bedeutung. Außerdem befinden sich auf dem Staatsgebiet des Irans erhebliche Erdöl- und Erdgas-Vorkommen, weshalb das Land im 20. und 21. Jahrhundert auch von großem wirtschaftlichem Interesse ist.
Nach Abschluss des Atom-Abkommens und der damit einhergehenden Erwartung an Entspannung reiste Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Oktober letzten Jahres mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Teheran. Der Besuch endete mit einem ausgedehnten Museumsbesuch, weil Parlamentspräsident Ali Laridschani das geplante Gespräch absagte. Eine Absage, die teils hämisch in der Presse kommentiert wurde, aber vor allem eines zeigt, die komplexe Situation im Iran selbst. Die verschiedenen politischen Strömungen sowie die unterschiedlichen Protagonisten in der Politik im Iran verfolgen heterogene Ziele von der vorsichtigen Öffnung gen Westen, um das wirtschaftlich stagnierende Land wieder attraktiv für ausländische Investoren zu machen bis hin zu Hardlinern, die jegliche – und sei es noch vorsichtig – Annäherung ablehnen und als Gefahr für die islamische Revolution ansehen.
Die Hoffnungen, die gerade von westlichen Ländern in Präsident Hassan Rohani gesetzt wurden, der als moderat gilt, haben sich bislang zu erheblichen Teilen nicht erfüllt. So werden nach wie vor Menschen hingerichtet, sind politisch Verfolgte inhaftiert. Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit gibt es im Iran nicht. Im Gegenteil, Journalistinnen und Journalisten, die regimekritische Positionen veröffentlichen, werden verfolgt, ihnen droht zumindest Inhaftierung, wenn nicht der Tod.
Sogenannte Tugendwächter wachen über die Einhaltung von Bekleidungsvorschriften und sittlichem Verhalten in der Öffentlichkeit. In den eigenen vier Wänden führen viele Iranerinnen und Iraner ein anderes Leben. Feste, Alkohol, Drogen, das Ausleben der Sexualität all dies darf nur im Verborgenen geschehen.
Wie sich die politische Situation auf Kunst und Kultur auswirken, darüber geben die Beiträge in diesem Schwerpunkt Auskunft. Sie zeigen, wie schwer es ist, künstlerisch zu arbeiten, wenn die Publikationsmöglichkeiten eingeschränkt bis gar nicht möglich sind, wenn Drehbücher zuvor genehmigt werden müssen, wenn der künstlerischen Phantasie Fesseln angelegt werden. Wie soll eine Liebesgeschichte auf der Bühne oder in einem Film erzählt werden, wenn sich die Protagonisten nicht berühren dürfen? Wie den Ehebruch, eines der sehr alten literarischen bzw. künstlerischen Motive, in den Mittelpunkt eines Werkes rücken, wenn es Tabu ist? Wie frei publizieren, wenn Bücher genehmigt werden müssen?
Die Beiträge veranschaulichen auch, welche Bedeutung der intellektuelle, künstlerische und wissenschaftliche Austausch mit dem Iran hat. In diesen Kontext ist auch die Teheran-Ausstellung einzuordnen, die in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Berlin gezeigt werden soll und unter anderem Werke enthält, die von der letzten Kaiserin des Irans Schahbanu Farah Pahlavi zusammengetragen wurden. Die im Teheran-Museum befindliche Sammlung, die seit der Islamischen Revolution kaum zu sehen war, versammelt Werke der US-amerikanischen und europäischen Moderne. Diese Arbeiten von Jackson Pollock, Mark Rothko und anderen sollen zusammen mit zeitgenössischer iranischer Kunst gezeigt werden. Es wird damit eine Brücke zwischen westlicher Kunst der Nachkriegszeit und zeitgenössischen iranischen Positionen geschlagen.
Wie schwierig die Zusammenarbeit mit dem Iran ist, zeigt das monatelange Hickhack um die Ausfuhr der Bilder, nach dem die Weichen eigentlich gestellt waren. Doch macht dies auswärtige Kulturpolitik nicht erst so bedeutsam? Die Zusammenarbeit mit Ländern, mit denen es eben nicht einfach ist. Die Suche nach Verständigungsebenen und einem Austausch trotz aller Unterschiede. In der letzten Ausgabe von Politik & Kultur lautete das Schwerpunktthema „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“. In dieser Ausgabe wird am Beispiel des Irans gezeigt, welche Relevanz die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gerade mit Blick auf sogenannte schwierige Länder hat und wie wichtig es für die Künstler, Journalisten, Verleger, Wissenschaftler, Menschenrechtler und andere ist, dass der Blick auch in die andere Wirklichkeit in diesen Ländern gerichtet wird.
Dieser Schwerpunkt hätte so nicht realisiert werden können, ohne das Engagement und die Unterstützung von Reinhard Baumgarten, Hörfunkkorrespondent der ARD für Türkei, Iran und Griechenland. Er hat in der Reihe „Nahostansichten“ in dieser Zeitung bereits häufiger über den Iran berichtet. Gemeinsam mit ihm entstand die Idee, in Politik & Kultur den Iran zum Thema zu machen. Reinhard Baumgarten hat für diesen Schwerpunkt Autorinnen und Autoren recherchiert, hat mit ihnen die Themen geschärft und für die Übersetzung der Beiträge Sorge getragen. Auch hat er Interviews für das Dossier geführt. Wie schon im Jahr 2011 beim Dossier „Islam · Kultur · Politik“ hat er die Tür zu einer – mir – unbekannten Welt aufgestoßen. Danke!
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 1/17 erschienen.