Stephan Orth bereiste den Iran, übernachtete dabei auf verschiedenen Sofas und schrieb seine zahlreichen Erlebnisse auf. Das daraus entstandene Buch „Couchsurfing im Iran“ war mehr als ein Jahr lang auf der Bestsellerliste des Spiegels vertreten.
Theresa Brüheim: Herr Orth, wie kamen Sie auf die Idee, den Iran zu bereisen und dort auf den Sofas fremder Iraner zu übernachten? Welche Hürden galt es zu nehmen, um diese Idee zu verwirklichen?
Stephan Orth: Ich reise sehr viel und hatte das Land schon länger auf meiner Liste, weil ich von anderen Iran-Besuchern so viele euphorische Berichte gehört hatte. 2013 war ich zunächst für zwei Wochen dort, was mich so begeistert hat, dass ich 2014 wiederkam und diesmal zwei Monate blieb. Couchsurfing nutze ich seit mehr als zehn Jahren auf fast jeder Reise, es war also keine Frage, das auch diesmal zu tun. Im Iran allerdings ist das besonders interessant. Weil sich die private Welt extrem von der öffentlichen unterscheidet und dort vieles passiert, was laut Gesetz verboten ist. Sobald die Tür zu ist, werden die Schleier abgelegt, man feiert Partys, schimpft über Religion und Regierung und trinkt Alkohol. Eine Hürde ist, dass Couchsurfing offiziell verboten ist, zumindest wenn man sich nicht innerhalb von 24 Stunden bei der örtlichen Polizei meldet. In der Regel gibt es zwar keine Probleme, trotzdem habe ich größten Respekt vor den Gastgebern, die wegen ihres Besuchs Risiken eingehen.
Welche Erfahrungen haben Sie beim „Couchsurfing im Iran“ gemacht, welche Erlebnisse haben Sie nachhaltig geprägt?
Immer wieder hat mich die schier unglaubliche Gastfreundlichkeit beeindruckt. Prägende Erlebnisse gab es viele: eine Nacht in unmittelbarer Nachbarschaft des Atomkraftwerks von Buschehr, ein Date im Wohnzimmer in Anwesenheit der kompletten Großfamilie, eine verbotene Bikiniparty in Maschhad, der zweitheiligsten Stadt des Landes. Unvergessen bleibt auch eine feuchtfröhliche Hochzeitsfeier am Kaspischen Meer mit einem Gastgeber, der mich ständig in peinliche Situationen brachte und dann diebischen Spaß daran hatte, das Geschehen aus der Ferne zu beobachten.
Wie wurden Sie von Ihren iranischen Gastgebern aufgenommen? Sind Sie mit dem Vorwurf konfrontiert worden, die weltweit bekannte Gastfreundschaft der Iraner ausnutzen zu wollen?
Ich habe mehr als 60 Länder bereist, aber nirgendwo anders habe ich so eine Herzlichkeit erlebt wie im Iran, ich fühlte mich ständig als Ehrengast. Und natürlich fragt man sich da manchmal, wie man etwas zurückgeben kann für all diese positiven Erlebnisse. Natürlich hatte ich immer ein Geschenk dabei und habe Gastgeber zum Essen im Restaurant eingeladen, aber das kam mir oft lächerlich vor im Vergleich zu der Mühe, die sich die Leute mit mir gaben. Eines habe ich aber häufig gespürt: Es tat den Menschen gut, mit jemandem aus dem „Westen“ direkt zu sprechen, und einmal aus erster Hand von unserem Alltag und von Europa zu hören. Manche fühlten sich danach bestärkt, aus ihrer Lethargie auszubrechen und mehr für ihre Freiheiten zu kämpfen.
Wie haben Sie die iranische Kultur kennengelernt? Was macht diese Ihrer Meinung nach aus?
Nachhaltig beeindruckt hat mich die iranische Dichtkunst. In den Werken von Hafiz, Saadi oder Omar Khayyam steckt eine Schönheit, Weisheit und auch Frechheit, deren Zauber man hoffnungslos verfällt, sobald man sich ein bisschen damit beschäftigt. In Teheran war ich bei einem Treffen junger Menschen, die Khayyam-Gedichte rezitierten, ein wunderbarer Abend. Ich bin ein großer Fan des Filmemachers Jafar Panahi, und auch die iranische Architektur ist eindrucksvoll: die großen Moscheen, der Naghsh-e-Jahan-Platz in Teheran oder die nach Rosen duftenden Parks von Shiraz.
In Deutschland war Ihr Buch „Couchsurfing im Iran“ ein Erfolg. Haben Sie Reaktionen aus dem Iran dazu erhalten? Planen Sie eine Fortsetzung?
Ich erhalte bis heute sehr viele Reaktionen aus dem Iran. Ein paar Blogs gab es, in denen sich konservative Menschen kritisch über mein Buch äußerten. Sie schimpften darüber, dass nun schon ausländische Autoren darüber berichten, wie „verlottert und unmoralisch die jungen Leute leben«. Auf der anderen Seite bekam ich mehr als hundert begeisterte E-Mails von Iranern, die mir dafür dankten, dass „endlich mal jemand unser Land so darstellt, wie es wirklich ist“. Das Nachfolger-Buch ist gerade fertiggeworden und erscheint Ende März, es wird „Couchsurfing in Russland“ heißen.
Dieser text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.