Ein Dasein im Schatten der Zensur

Kunst und Kultur im Iran

 

Vor 37 Jahren, als die Revolution begann, habe man Kyros keine Bedeutung beigemessen, stellt der 68-jährige Politikwissenschaftler Zibakalam fest: „Die heutige Gesellschaft sollte eigentlich sehr islamisch und gläubig geworden sein, denn alles ist ja hier islamisch: Die Führung, der Präsident, das Parlament, die staatlichen Medien und die Universitäten – einfach alles. Wir wissen sehr genau, dass es zwischen Kyros und dem Islam keine Gemeinsamkeiten gibt“.

 

Shāh-e Shāhān – König der Könige wird Kyros genannt. Direkt nach der Revolution sollte sein Grabmal geschleift, die Erinnerung an ihn ausgelöscht werden. Tausende Menschen stellten sich damals den Abrisstruppen in den Weg. Dann herrschte lange Schweigen. Die Erinnerung an alte Größe komme nun in Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Krise zurück, konstatiert Zibakalam: „Die (jungen Menschen) der zweiten und dritten Generation nach der Revolution sind vom Islam enttäuscht. Sie suchen nach Ersatz. Für meine Generation war der Islam die Antwort. (Die jungen Leute) werden wegen ihrer Islam-Enttäuschung so lange suchen, bis sie etwas Anderes gefunden haben“.

 

Präsident Rohani weiß die Zeichen der Unzufriedenheit zu deuten: „Wenn die Jugend dieses Landes ihre Idole und Helden nicht in ihrem eigenen kulturellen Umfeld finden können“, warnte er unlängst, „dann sind sie gezwungen, nach Helden in Übersee zu schauen. Hier liegt doch die Gefahr“.

 

Langfristig liegt die Gefahr sicher darin, dass vor allem junge Menschen mit dem eng gefassten, sich an „islamischen Grundsätzen“ orientierenden Kulturbegriff der Herrschenden immer weniger anfangen können. Sie wissen sehr wohl, welche kulturelle Weite möglich wäre und welcher Enge sie ausgesetzt sind.

 

Einer der gerufenen Slogans am Grabmal von Kyros in Pasargadai lautete in Anspielung an die arabische Eroberung: „Sie sagen, alles sei Gottes Wille. Aber alles Unheil kommt von den Arabern“. Im Land der Velayat-e Faqih – der Herrschaft des Rechtsgelehrten – klingen diese Worte wie reinste Blasphemie. Denn mit den Eroberern kam auch der Islam. Eine Minderheit äußere sich so, räumt Zibakalam ein. Aber diese Minderheit bringe Gefühle vieler vor allem junger Menschen zum Ausdruck.

 

„Die Generationen nach der islamischen Revolution glauben nicht mehr an die Politik der Führung. Wenn die Herrschenden hier von (Hizbollah-Chef) Hassan Nasrallah (im Libanon) sprechen, dann sagen sie, wer ist das überhaupt? Die Herrscher sprechen von Hamas und die Anderen sagen: Hamas, was bitteschön ist das? Die Führung sagt, die USA sind unser Feind. Die andere Seite sagt, nein, das sehen wir nicht so.“ Die Kluft zwischen Herrschaft und Volk sei groß, sagen vor allem die jungen Menschen im Iran. Die Herrschaft folge den Vorgaben Gottes und diene dem Volk, sagen die Herrschenden. Zu den Aufgaben von Kunst gehörten Bildung und Aufklärung des Volkes sowie kritische Reflexion der Macht, findet die Filmemacherin Hekmat. Im Iran sei das möglich, wenn es gemäß „den islamischen Grundsätzen“ umgesetzt werde. In Zeiten der Hoffnungslosigkeit ziehe sie es vor, Komödien zu produzieren, um die Menschen damit etwas zu beleben: „Eltern sollen mit ihren Kindern aus ihren Häusern, oder besser gesagt aus ihren Grotten herauskommen, sich zusammen einen Film anschauen und ein wenig lachen. Ich denke dieses kleine Vergnügen wird ihnen etwas Kraft geben“.

 

Der Text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.

Reinhard Baumgarten
Reinhard Baumgarten ist Redakteur bei SWR Ausland und Europa. Er war bis 2018 Hörfunkkorrespondent der ARD für die Türkei, Griechenland und den Iran.
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