KW 22: Exil, Was macht der Deutsche Kulturrat wie?, Politik & Kultur Juni 2019, …

... Mentoring-Programm: Ausschreibung endet, Veranstaltungen, Texte zur Kulturpolitik

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Heinrich Heine beginnt seine großartige Ballade „Deutschland. Ein Wintermärchen“ mit folgenden Zeilen:

 

„Im traurigen Monat November wars,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.“

 

Heine lebte bereits seit einem Jahrzehnt im Exil als er 1843 erstmals wieder nach Deutschland reiste. Er war ins Exil gegangen, weil er als getaufter Jude unter beruflicher Ausgrenzung und Antisemitismus litt. Als Schriftsteller stand er unter strenger Beobachtung der Zensur. Viele seiner Werke fielen ihr zum Opfer und konnten in Deutschland nicht erscheinen. Seine Urheberschaft vom „Loreley-Lied“ wurde lange Zeit unterschlagen.

 

Heinrich Heine ist ein Beispiel für eine ganze Reihe von Schriftstellern und Intellektuellen, die während der Restauration im 19. Jahrhundert Deutschland verlassen mussten. Sie hatten sich für ein einiges Deutschland eingesetzt und für Gedankenfreiheit gekämpft. In den deutschen Kleinstaaten konnten sie nicht publizieren oder verloren ihre berufliche Stellung. Exil war also schon vor dem Nationalsozialismus für Intellektuelle oft die einzige Option des Überlebens.

 

Der Nationalsozialismus bedeutete dann einen erheblichen Aderlass an Künstlern, Schriftstellern, Komponisten, Schauspielern, Verlegern, Filmproduzenten und anderen mehr. Viele wurden verfolgt, weil sie Juden waren. Viele aufgrund ihres Werkes. Viele flüchteten zunächst in die Nachbarländer – insbesondere in die junge Tschechoslowakei, in die Niederlande und nach Frankreich. Kommunistische Künstler gingen in die Sowjetunion. Sie erhofften sich dort nicht nur Exil, sondern wollten auch am Aufbau des Sozialismus mitwirken. Viele von ihnen fielen den stalinistischen Säuberungen Ende der 1930er Jahre zum Opfer. Sie litten ein weiteres Mal unter Verfolgung und starben im Gulag. Diejenigen, die in die Tschechoslowakei flohen, mussten mit der Besetzung des Sudetenlands und der Installierung des NS-Regimes ein neues Aufnahmeland suchen. Ähnlich erging es jenen, die in den Niederlanden oder in Frankreich zeitweise Zuflucht gefunden hatten.

 

Jene, die oft auf abenteuerlichen Wegen endlich an einem sicheren Ort ankamen, beispielsweise in den USA, spürten Erleichterung. Erleichterung, den Verfolgern entkommen zu sein. Erleichterung, das blanke Leben gerettet zu haben. Sie verspürten aber zugleich einen großen Schmerz. Schmerz über den Verlust der Heimat, die längst keine Heimat mehr sein konnte. Schmerz über den Verlust von Familie und vor allem Schmerz über den Verlust von Arbeitsmöglichkeiten. Viele waren in der neuen Welt Nobodys. Neben den ökonomischen Sorgen des tagtäglichen Überlebens im wahrsten Sinne des Wortes gehörte dazu, dass kaum jemand Interesse hatte für die Werke, für das schauspielerische Potenzial, für die Kompositionen und anderes mehr. Die Exilgemeinde blieb vielfach unter sich. Die für viele schier unüberwindbare Sprachbarriere tat ein Übriges.

 

Viele exilierte Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke sind heute vergessen. Es ist hieraus eine Lücke in unserem kulturellen Gedächtnis entstanden, die trotz aller Anstrengungen nicht mehr vollständig geschlossen werden kann. Noch unter dem Eindruck des verbrecherischen NS-Regime heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Diese schnörkellose, klare und letztlich wunderbare Zusage ist die Reaktion auf vielfaches Asyl in allen Weltgegenden, gerade auch von deutschem Künstlern während der Nazibarbarei.

 

Exilierte Künstlerinnen und Künstler heute kämpfen mit ähnlichen Problemen wie jene Künstlerinnen und Künstler, die aus Deutschland flohen. Sie sind in Sorge um ihre Angehörigen und müssen sich zugleich in einem hart umkämpften Markt einen Platz erobern. Denn ebenso wenig wie auf die Exil-Künstler aus Deutschland in den USA und anderswo gewartet wurde, wartet die deutsche Kunstszene auf die heutigen Exilierten. Wenn der erste Exil-Bonus weg ist, steht die Positionierung in einem ohnehin hart umkämpften Markt an, auf dem oft ganz andere Spielregeln gelten als im Heimatland. Die meisten Künstlerinnen und Künstler in Deutschland sind ohnehin nicht auf Rosen gebettet. Die Konkurrenz ist groß. Umso wichtiger sind Unterstützungen von Berufskolleginnen und -kollegen wie z. B. dem PEN-Zentrum Deutschland.

 

In der neuen Ausgabe von Politik & Kultur haben wir den Künstlerinnen und Künstler, die heute und damals im Exil leben den Schwerpunkt (Seiten 1, 2, 15 bis 25) gewidmet. Ich würde mich über Ihr Interesse sehr freuen.

 

Der Ich-Erzähler in Heinrich Heines Wintermärchen wird wehmütig, als er die deutsche Sprache hört. In der ihm eigenen Ironie bricht Heine die in den Zeilen mitschwingende Sentimentalität. Sie sind zugleich eine Ermahnung, die Besonderheiten, mit denen Künstlerinnen und Künstler im Exil leben, nicht aus den Augen zu verlieren.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

Deutscher Kulturrat: Wer wir sind, was wir machen, wie wir es machen: Aktualisierte Kurzübersicht erschienen

 

Der Deutsche Kulturrat ist der Spitzenverband der Bundeskulturverbände. Er wurde 1981 gegründet und repräsentiert die verschiedenen künstlerischen Sparten und die unterschiedlichen Bereiche des kulturellen Lebens. Unter seinem Dach haben sich zurzeit acht spartenspezifische Sektionen zusammengeschlossen. 258 Bundeskulturverbände und bundesweit tätige Organisationen haben sich diesen acht Sektionen des Deutschen Kulturrates angeschlossen.

 

Der Deutsche Kulturrat ist der Ansprechpartner der Politik und Verwaltung des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Europäischen Union in allen die einzelnen Sparten des Deutschen Kulturrates übergreifenden kulturpolitischen Angelegenheiten. Organisiert als eingetragener Verein (e. V.) ist der Deutsche Kulturrat politisch unabhängig.

 

Die Kurzübersicht kann hier als pdf-Datei geladen werden!

 

Unsere Ziele:

 

  • Eintreten für Kunst-, Publikations und Informationsfreiheit
  • Diskussion kulturpolitischer Analysen, Konzepte und Empfehlungen
  • Formulierung gemeinsamer Forderungen und das Eintreten für deren Durchsetzung
  • Einwirken auf Vorhaben und Entscheidungsprozesse von politischen Instanzen und Behörden im Sinne bestmöglicher Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur
  • Information der Mitglieder und die Aktivierung der Öffentlichkeit im Hinblick auf kulturelle Entwicklungen und kultur-, sozial- und bildungspolitische Entscheidungen
  • Förderung der demokratischen Gestaltung und der Transparenz kulturpolitischer Entscheidungsvorgänge sowie die Stärkung des Prinzips der Selbstverwaltung im kulturellen Bereich
  • Verbesserung der Kooperation in den europäischen und internationalen Kulturbeziehungen
  • Durchführung von Veranstaltungen und Projekten zu kulturpolitischen Fragen

 


 

Juni-Ausgabe von Politik & Kultur ist erschienen

 

Themen der Ausgabe:

 

  • Exilkultur
    Kulturschaffende im Exil: Neuanfang zwischen Ausdruckslosigkeit und Schaffensdrang
  • EU-Urheberrechtsreform
    Welche Schwerpunkte werden bei der Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform in Deutschland gesetzt?
  • Computerspiele
    Nächste mediale Stufe: Weshalb sollen Computerspiele die Sammlung des Literaturarchivs Marbach ergänzen?
  • Frauen in der Kultur
    Netzwerkerinnen: Wie organisieren sich Kultur- und Medienschaffende in Literatur, Film, Kunst und Musik?
  • Hochschulen in Ägypten
    Internationalisierung am Nil: Das Land der jahrtausendealten Kultur ist auf dem Weg zum regionalen Bildungs-Hub

 

Der Leitartikel zum Thema „Die Lücke in der deutschen Erinnerungskultur: Das Exil gehört zur Geschichte Deutschlands“ stammt von Herta Müller, Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin.

 

 

Politik & Kultur ist auch in Bahnhofsbuchhandlungen, auf Flughäfen, sowie im Abonnement erhältlich. Hier können Sie das Politik & Kultur-Jahresabonnement bestellen.

 


 

Mentoring-Programm für Frauen mit Führungsanspruch – Bewerbungsschluss ist der 7. Juni

 

Der Deutsche Kulturrates bietet ein 1:1-Mentoring-Programm, das sich an ambitionierte Frauen mit mindestens 10 Jahren Berufserfahrung in Kultur & Medien richtet, die eine Führungsposition anstreben. 22 erfahrene Mentorinnen und Mentoren aus den Bereichen Design, Bildende Kunst, Musik, Theater, Literatur, Tanz, Museum, Stiftungen, Kulturverwaltung- und politik, Wirtschaft, Medien und Film stehen den Mentees zur Verfügung. Sie alle sind Expertinnen und Experten in ihrem jeweiligen Feld und möchten dazu beitragen, dass qualifizierte Frauen aus Kultur & Medien ihren Weg in Führungspositionen finden.

 

Bewerbungsschluss ist der 7. Juni 2019. Im September/Oktober 2019 starten die Tandems. Das Mentoring erstreckt sich über sechs Monate.

 

Hier geht es zur Ausschreibung!

 


 

Ausgebucht: 19. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung, 04. Juni 2019 · bcc Berlin Congress Center

 

Zukunft zur Heimat machen: Die Sustainable Development Goals der UN Agenda 2030 beginnen zu wirken. Doch noch wachsen die Probleme schneller als die Lösungen. Die Erwärmung der Erde setzt neue Maßstäbe. Hunger und Flucht folgen auf Krieg und Unterdrückung. Noch schlagen die Plastikfluten Vermeidung und Recycling aus dem Rennen. Aber zum zynischen Pessimismus ist das kein Grund.

 

Denn unsere Fähigkeit nimmt zu, auch weit gesteckte Ziele zur Nachhaltigkeit erreichen zu können. Nachhaltigkeit ist kein bloßes Elitenthema, sondern immer mehr Teil des Alltags vieler Menschen aller Schichten und Regionen. Lassen Sie uns die Zukunft zur politischen Heimat machen und uns gegen die Allmacht des Status quo stellen, in Deutschland und weltweit.

 

U.a. Diskutiert Helene Heyer von der BUND Jugend mit Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat über den „Aufbruch zu Kultur und Nachhaltigkeit“ auf dem Kongress. Das Programm kann hier eingesehen werden.

 


 

Mittwoch, 19.06.2019, 19:00 Uhr – 21:00 Uhr: Podiumsdiskussion: Nachhaltigkeit und Energiewende als kulturelle Aufgabe

 

Die Energiewende ist eine komplexe Herausforderung für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Das ist belegt durch den Jahrzehnte währenden Kampf von Aktivist*innen und Umweltverbänden zum Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft. Dieser wurde begleitet durch ein zähes Ringen von Politik und Energielobby und in jüngster Zeit die Arbeit der „Kohlekommission“, die nun, nach dem Ausstiegsbeschluss zur Atomenergie (2000/2011), auch das Ende der Kohleverstromung empfiehlt. Parallel zu diesen technischen, wirtschaftlichen und politischen Umbrüchen findet eine ebenfalls tiefgehende Umdeutung von Symbolen, Bildern und Erzählungen statt. Die großen Wärmekraftwerke – einst Zeichen für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Prosperität Deutschlands – sind zu einem Sinnbild für die gewaltigen Probleme der Ära geworden. Die Diskussionsteilnehmer*innen erörtern, wie die Komplexität des Umbruchs erfasst werden kann und welche Handlungsoptionen daraus entstehen. Sind „nachhaltige“ Technologien als Gegenvorschlag zu bewerten oder doch eher als Fortführung des Bestehenden? Gibt es Alternativen zur ideellen und materiellen Verschrottung der zurückliegenden Ära? Und welche Rolle kann dabei Kunst spielen?

 

Mit Prof. Dr. Günther Bachmann (Generalsekretär Rat für Nachhaltige Entwicklung), Esra Küçük (Geschäftsführerin Allianz Kulturstiftung), Olaf Nicolai (Künstler), Dr. Gerd Rosenkranz (Senior Advisor Agora Energiewende) und Olaf Zimmermann (Geschäftsführer Deutscher Kulturrat).

 

Moderiert von Andreas Ruby (Direktor Schweizerisches Architekturmuseum).

 

Eintritt frei, ohne Anmeldung.

 

Ort: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Stiftung Öffentlichen Rechts
Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin Tel. (+49) – (0) 30 789 02 833, Fax (+49) – (0) 30 789 02 730
www.berlinischegalerie.de

 


 

Aktuelle Texte zur Kulturpolitik

 

Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Lesen Sie hier aktuelle Kommentare und Texte zur aktuellen Kulturpolitik:

 

 


 

Veranstaltungen mit Beteiligung des Deutschen Kulturrates

 

 


 

 

 

Vorheriger ArtikelKW 21: Kampf ums Urheberrecht, Wahlaufruf zur Europawahl, Kulturpolitische Positionen im Europawahlkampf, …
Nächster ArtikelKW 23: Spaß Partei, Zerstörungsvideos, Meinungsfreiheit, Humboldt Forum, Mentoring-Programm, Klimaschutz, …