Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Reform des europäischen Urheberrechts

Berlin, den 28.10.2016. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die EU-Kommission am 14.09.2016 Regelungsvorschläge zum europäischen Urheberrecht vorgelegt hat. Der Deutsche Kulturrat hat sich bereits in seiner Stellungnahme „Zur Zukunft des Urheberrechts in Europa“ vom 26.06.2015 mit dem urheberrechtlichen Regelungsbedarf auf EU-Ebene auseinandergesetzt. Ferner hat der Deutsche Kulturrat am 18.06.2014 zur Diskussion der Bildungs- und Wissenschaftsschranke Stellung bezogen und sich am 09.12.2015 zu den geplanten deutschen Regelungen zum Urhebervertragsrecht positioniert. Die erwähnten Stellungnahmen und weitere grundlegende Positionspapiere des Deutschen Kulturrates bilden die Grundlage für die nachfolgende Stellungnahme.

 

Dem Deutschen Kulturrat gehören sowohl Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch Verbände der Verwerter künstlerischer Leistungen aus den verschiedenen künstlerischen Sparten (Musik, darstellende Künste, Literatur, bildende Kunst, Baukultur und Denkmalpflege, Design, Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien sowie Soziokultur und kulturelle Bildung) an. Er konzentriert sich wie üblich in seiner Stellungnahme auf die Aspekte, die sowohl von Seiten der Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch der Verwerterverbände mitgetragen werden können. Wenn im Folgenden von Urhebern die Rede ist, sind die ausübenden Künstler eingeschlossen.

 

Allgemeine Anmerkungen zum Urheberrechtspaket der Europäischen Kommission

 

Aus Sicht des Deutschen Kulturrates weisen viele der Kommissionsvorschläge in die richtige Richtung. Das Urheberrecht hat eine zentrale, marktordnende Bedeutung. Die europäische Kultur- und Kreativwirtschaft, die entscheidend durch die Urheber und Kulturverwerter geprägt wird, braucht ein starkes Urheberrecht, um wettbewerbsfähig zu sein. Der Deutsche Kulturrat begrüßt es deshalb, dass die Vorschläge der Kommission nicht darauf abzielen, das Urheberrecht grundsätzlich zu schwächen. Gleichzeitig begrüßt der Deutsche Kulturrat das Ziel der europäischen Vorschläge, den europäischen Bürgern vermehrt Zugang zu europäischen Inhalten zu ermöglichen.

 

Über den Vorschlag der Kommission hinausgehende Aspekte

 

Der Deutsche Kulturrat nimmt zur Kenntnis, dass die EU-Kommission bei verschiedenen Regelungsvorschlägen auf das Herkunftslandprinzip abstellt. Das kann im Zusammenhang mit verbindlichen Schrankenregelungen, wie bei Art. 4 Abs. 3 des Richtlinienentwurfs über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, sachgerecht sein. Dennoch unterstreicht der Deutsche Kulturrat, dass für den Kultur- und speziell für den Filmsektor die Beibehaltung des Territorialitätsgrundsatzes für die Wertschöpfungskette von großer Bedeutung ist.

 

Zum anderen sieht der Deutsche Kulturrat vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH dringend Bedarf, die Voraussetzungen für die öffentliche Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Werken gesetzlich zu klären. Dabei geht es nicht zuletzt darum, sicherzustellen, dass das sogenannte „Framing“ wieder erlaubnispflichtig sein muss.

 

Der Deutsche Kulturrat erinnert außerdem an die Selbstverpflichtung der Kommission in der Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfrist für Tonträger in Art. 3 Abs. 2 zum 1. Januar 2012, einen Bericht mit einer Bewertung der möglichen Notwendigkeit einer Verlängerung der Schutzdauer für die ausübenden Künstler und die Produzenten auch im audiovisuellen Bereich vorzulegen und die bisher auf Tonträger beschränkte Richtlinie gegebenenfalls zu ändern. Hierzu ist es bisher nicht gekommen.

 

Vertrag von Marrakesch (Com (2016) 596 final und COM (2016) 595 final)

 

Der Deutsche Kulturrat unterstreicht zunächst, dass die Teilhabe von Blinden und Sehbehinderten am kulturellen Leben und ihr Zugang zu Werken von großer Bedeutung sind. Eine inklusive Gesellschaft muss Blinden und Sehbehinderten Partizipation und Teilhabe ermöglichen. Der Deutsche Kulturrat weist allerdings auch daraufhin, dass es einen, wenn auch kleinen, Markt an speziell für Blinde und Sehbehinderte erstellten Publikationen, sei es in Braille-Schrift, sei es in Großbuchstaben, als vorgelesenes Werk oder in anderer Form, gibt. Es muss deshalb in geeigneter Weise sichergestellt werden, dass durch eine Schrankenregelung dieser Markt nicht zerstört wird und weiterhin Anreize für Verlage bestehen, Werke für Blinde und Sehbehinderte herzustellen Als wichtig erachtet der Deutsche Kulturrat, dass – anders als in Erwägungsgrund 11 der Richtlinie ausgeführt – für die gesetzlich erlaubten Nutzungen eine angemessene Vergütung gezahlt wird. Eine derartige Vergütung wird durch Art. 4 des Marrakesch-Vertrages ausdrücklich ermöglicht und ist in der einschlägigen deutschen Schrankenbestimmung – § 45a UrhG – ebenfalls enthalten. Wichtig wäre ferner, die Pflichten der beauftragten Stellen nicht nur für Drittstaaten (Art. 5 des Verordnungstextes), sondern auch für die EU im Rahmen der Richtlinie zu regeln.

 

Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (COM (20156) 593 final)

 

Schrankenregelungen

 

Die Veränderung der bestehenden Schranken zu Gunsten von Bildung und Wissenschaft sind sowohl auf der europäischen als auch der nationalstaatlichen Ebene im digitalen Zeitalter ein wichtiges Thema. Schranken begrenzen die Rechte der Urheber und ermöglichen Nutzern bestimmte Handlungen ohne Einwilligung der Urheber vorzunehmen. Aus Sicht des Deutschen Kulturrates sollten folgende Aspekte bei der weiteren Diskussion berücksichtigt werden. Sie sind vor dem Hintergrund des Schutzes des geistigen Eigentums und dessen Sozialbindung im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 der GR-Charta der EU und Art. 14 GG auszugestalten:

 

  • Es fehlt im Richtlinientext – bei den Begriffsbestimmungen in Art. 2 – eine Definition des Begriffs „Bildungseinrichtungen“. Das ist schon deshalb erforderlich, um den Anwendungsbereich von Art. 4 klar bestimmen zu können. Die Hinweise in Erwägungsgrund 15 sollten deshalb in den Richtlinientext überführt werden.
  • Eine Schranke zu Gunsten von Bildung- und Wissenschaft sollte grundsätzlich nicht in den Primärmarkt der Rechteinhaber eingreifen. Dies ergibt sich bereits aus dem Drei-Stufen-Test. Eine Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von ganzen Werken, wie sie Art. 4 offenbar ermöglicht, sollte deshalb weitgehend ausgeschlossen sein (vgl. auch § 52 Abs. 1 UrhG wo eine Nutzung nur von kleinen Teilen, Werken geringen Umfangs und einzelnen Beiträge“ zulässig ist; auch untersagt § 53 Abs. 4 Buchst. b UrhG – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Vervielfältigung von vollständigen Büchern oder Zeitschriften). Ferner sollte es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, ob sie einen Vorrang von angemessenen Lizenzangeboten einführen oder beibehalten wollen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass es digitale und analoge Werke gibt, die ausdrücklich und ausschließlich für den Bildungsbereich hergestellt werden und deren Primärmarkt daher durch eine entsprechende Schranke beeinträchtigt wird. Für solche Medien sollte daher bereits auf EU-Ebene eine Bereichsausnahme eingeführt oder den Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben werden (vgl. auch §§ 53 Abs. 3 S. 2, 52a Abs. 2 UrhG). Es ist kaum ersichtlich, wie die Schrankenregelung anders europarechtskonform ausgestaltet werden könnte (Drei-Stufen-Test). Zudem sollte bei Schrankenregelungen stets eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber sichergestellt werden, die über Verwertungsgesellschaften durchzusetzen ist. Soweit – wie bei Art. 3 und Art. 5 – Vervielfältigungshandlungen erlaubt werden, kommt dabei in Betracht, die Vergütung über die Geräte- und Speichermedienvergütung einzuziehen. Grundsätzlich spricht sich der Deutsche Kulturrat dafür aus, bei Vergütungen im Zusammenhang mit Schrankenregelungen an dem Konzept einer angemessenen Vergütung festzuhalten und nicht – wie in Art. 4 Abs. 5 explizit vorgesehen – lediglich einen fairen Ausgleich für einen entstandenen Schaden zu ermöglichen.
  • Bei Art. 5 muss sichergestellt sein, dass bei digitalen Werken die erlaubten Vervielfältigungen zur Bestandssicherung nicht dazu führen, dass Vervielfältigungen zu einer Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten gegenüber dem Original führen dürfen.

 

 

Vergriffene Werke

 

Der Deutsche Kulturrat hat sich stets dafür eingesetzt, dass Verwertungsgesellschaften auf der Grundlage von gesetzlichen Vermutungsregelungen Lizenzen für vergriffene Werke vergeben können. Der Richtlinienvorschlag ist für Schriftwerke in §§ 51, 52 VGG bereits weitgehend umgesetzt. Für andere Werkkategorien, wie insbesondere für den Filmbereich, sollten vergleichbare Lösungen durch die betroffenen Urheber und Verwerter geprüft werden. Die Definition von vergriffenen Werken in Art. 7 Abs. 2 erscheint, soweit dort auf das „menschliche Ermessen“ abgestellt wird, allerdings zu weitgehend und wenig praktikabel. Zu begrüßen ist, dass es durch Art. 8 Abs. 1 ermöglicht wird, dass vergriffene Werke durch nationale Einrichtungen europaweit im Internet zur Verfügung gestellt werden können. Inwieweit die durch Art. 8 Abs. 2 ebenfalls ermöglichte grenzüberschreitende Lizenzierung (d.h. die Vergabe von Rechten durch eine nationale Verwertungsgesellschaft an ausländische Einrichtungen) tatsächlich praktikabel und sinnvoll ist, bleibt allerdings noch genauer zu prüfen.

 

Als besonders wichtig erachtet der Deutsche Kulturrat, dass die entsprechenden finanziellen Ressourcen zur Nutzung von vergriffenen Werken bereitgestellt werden. Dabei geht es – anders als Erwägungsgrund 22 vermuten lässt – weniger um die Höhe der Lizenzgebühren, sondern um die Kosten für die Digitalisierung und öffentliche Zugänglichmachung der vergriffenen Werke.

 

Leistungsschutzrecht für Presseverleger

 

Vorauszuschicken ist, dass dem Deutschen Kulturrat die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger nicht angehören. Das in Deutschland seit einiger Zeit bestehende Leistungsschutzrecht für Presseverlage erweist sich aufgrund seines sehr beschränkten Anwendungsbereichs bisher als durchsetzungsschwach. Insbesondere Online-Dienste mit einer starken Marktmacht erschweren die Rechtsdurchsetzung. Positiv an dem deutschen Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist, dass ein Beteiligungsanspruch für Urheber ausdrücklich vorgesehen ist. Ein solcher Beteiligungsanspruch muss, wenn der Weg eines europäischen Leistungsschutzrechts für Presseverlage gegangen wird, ebenfalls eingeführt werden. Ferner sollten Leistungsschutzrecht und Beteiligungsanspruch möglichst verwertungsgesellschaftspflichtig ausgestaltet werden, um die Durchsetzung in der Praxis zu erleichtern.

 

Verlegerbeteiligung

 

Die Verlegerbeteiligung an gesetzlichen Vergütungsansprüchen ist ein äußerst drängendes Problem, das innerhalb kurzer Frist gelöst werden muss. Der Deutsche Kulturrat ist der Auffassung, dass die in der Richtlinie vorgeschlagene Regelung grundsätzlich zu begrüßen ist. Allerdings sollte der Beteiligungsanspruch verwertungsgesellschaftspflichtig sein und lediglich von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden können, die Rechte von Urhebern und Verlegern gemeinsam vertritt.

 

Angesichts der Dringlichkeit dieses Vorhabens appelliert der Deutsche Kulturrat an die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Regelung der Verlegerbeteiligung schnellstmöglich umgesetzt wird. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob durch eine Verabschiedung im Zusammenhang mit einem anderen Richtlinienvorhaben oder in isolierter Form eine signifikante Beschleunigung erreicht werden kann.

 

Nutzung geschützter Inhalte durch Online-Dienste

 

Der Deutsche Kulturrat betont, dass derzeit ein Ungleichgewicht zwischen multinationalen Anbietern von Online-Diensten und Rechteinhabern besteht. Es ist daher dringend erforderlich, dass die Position der Rechteinhaber dahingehend gestärkt wird, dass diese künftig ihre Rechte gegenüber Online-Plattformen besser durchsetzen können. Mit ihrem Vorschlag sendet die EU-Kommission das wichtige Signal, dass der Wertetransfer von Kreativschaffenden zu Plattformbetreibern in Europa nicht länger toleriert wird. Der Deutsche Kulturrat erkennt an, dass die EU-Kommission die als sog. „Value Gap“ beschriebene Entwicklung korrigieren will. Das ergibt sich allerdings vor allem aus Erwägungsgrund 38. Aus Sicht des Deutschen Kulturrats sollte deshalb geprüft werden, ob dieser Ansatz nicht im Richtlinientext selbst deutlicher zum Ausdruck kommen sollte.

 

Faire Vergütung (Urhebervertragsrecht)

 

Der Deutsche Kulturrat erinnert in diesem Zusammenhang an seine oben genannte Stellungnahme zum Referentenentwurf eines „Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“. Er hat in dieser Stellungnahme betont, dass der Auskunftsanspruch ein komplexes Thema ist und einer differenzierten Betrachtung bedarf. Dabei kann unter anderem eine Rolle spielen, in welchem Umfang Urheber bei Werken mit vielen Beteiligten einen Beitrag zum Werk geleistet haben. Es gilt abzuwägen, zwischen dem Interesse der Urheber und ausübenden Künstler, Auskunft über die Erlöse aus der Verwertung ihrer Werke und Darstellungen zu erhalten und dem Verwaltungsaufwand, der mit dem Auskunftsanspruch verbunden ist. Ein hoher Verwaltungsaufwand ist auch mit hohen Kosten verbunden, was zu Lasten der Budgets für urheberrechtliche Leistungen gehen könnte. Hier kann die Einführung von branchenspezifischen Lösungen die Diskussion entschärfen. Diese Stellungnahme sollte auch bei der weiteren Diskussion des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission Berücksichtigung finden.

 

Überlegungen der Europäischen Kommission zur Rechtsdurchsetzung (COM (2016) 592 final)

 

In seiner Stellungnahme „Zur Zukunft des Urheberrechts in Europa“ hat der Deutsche Kulturrat bereits darauf hingewiesen, dass Internetunternehmen – insbesondere Internet Service Provider, Hostprovider, Suchmaschinenanbieter und Betreiber sogenannter sozialer Netzwerke – im Rahmen des Zumutbaren dafür Sorge tragen müssen, dass Urheberrechte gewahrt werden. Grundsätzlich sollte eine „Verkehrssicherungspflicht“ für entsprechende Internetdienstleister gesetzlich festgeschrieben werden. Gemeinsame Initiativen zur Selbstregulierung von Rechteinhabern, Werbewirtschaft und Finanzdienstleistern sollten weiter vorangetrieben werden, gegebenenfalls durch Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen.

 

Der Deutsche Kulturrat bittet, diese Gesichtspunkte bei den weiteren Überlegungen auf europäischer Ebene zu berücksichtigen.

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