Berlin, den 10.11.2022. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestags (2021 bis 2025) enthält nur wenige Aussagen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts. Dessen ungeachtet weist der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, darauf hin, dass das Urheberrecht weiterhin für Urheberrinnen und Urheber, ausübende Künstler, die gesamte Kultur- und Kreativwirtschaft sowie die Kultureinrichtungen von zentraler Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass in diesem Rechtsgebiet ständig neue Antworten auf die vielen Fragen gefunden werden müssen, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung und die vielfältigen technischen Veränderungen ergeben.
Das Urheberrecht hat dabei eine zentrale, marktordnende Bedeutung. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, die entscheidend durch die Urheber und Kulturverwerter geprägt wird, braucht ein starkes Urheberrecht, um wettbewerbsfähig zu sein. Urheber und Kulturverwerter müssen aus der Verwertung urheberrechtlich geschützter Leistungen einen ökonomischen Ertrag ziehen können. Die öffentliche Hand (Bund, Länder und Kommunen) müssen deshalb Kultur- und Bildungseinrichtungen finanziell so ausstatten, dass für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken stets eine angemessene Vergütung gezahlt werden kann.
Der Deutsche Kulturrat bündelt mit der vorliegenden Stellungnahme zu anstehenden urheberrechtlichen Fragen in dieser Legislaturperiode die gemeinsamen Positionen seiner Mitglieder. Zu seinen Mitgliedern gehören Verbände aus verschiedenen künstlerischen Sparten (Musik, Darstellende Kunst und Tanz, Literatur, Bildende Kunst, Baukultur und Denkmalpflege, Design, Film, Rundfunk und audiovisuelle Medien sowie Soziokultur und kulturelle Bildung). Das Mitgliederspektrum umfasst dabei sowohl Verbände der Urheber und ausübenden Künstler als auch Verwerterverbände sowie Zusammenschlüsse von Bildungs- und Kulturinstitutionen.
1. Wissenschaftsurheberrecht
Der Koalitionsvertrag unterstreicht, dass sich die Regierungsparteien für ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht einsetzen wollten. Offen bleibt, was genau darunter zu verstehen ist. Der Deutsche Kulturrat betont, dass ein rechtspolitischer Ansatz, der einseitig auf eine Schwächung des Urheberrechts im Wissenschaftsbereich setzen würde, nicht akzeptabel ist.
Vielmehr wird es stets darum gehen, zu einem angemessenen Interessenausgleich zu kommen, der die Interessen der Rechtsinhaber nicht ausblendet. Hierauf hat der Deutsche Kulturrat in diversen Stellungnahmen hingewiesen. Inwieweit durch das zum 1. März 2018 in Kraft getretene Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) ein angemessener Interessenausgleich gelungen ist, wird von den Beteiligten weiterhin sehr unterschiedlich bewertet, wie der im Frühjahr 2022 veröffentlichte Evaluierungsbericht des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) erneut gezeigt hat. Zu bedauern ist, dass dieser Evaluierungsbericht nicht erkennen lässt, ob zumindest bei unstreitigen Punkten legislative Maßnahmen zeitnah zu erwarten sind.
Im Deutschen Kulturrat herrscht im Übrigen Einigkeit, dass ein legislativer Ansatz abzulehnen ist, der bestimmte Nutzungen gesetzlichen Erlaubnissen unterwirft, ohne gleichzeitig sicherzustellen, dass hierfür eine angemessene Vergütung gezahlt wird. Bisher ist es keineswegs bei allen gesetzlich erlaubten Nutzungen, die durch das UrhWissG neu bestimmt wurden, zu Vergütungsvereinbarungen zwischen den Vergütungsschuldnern und den insoweit zuständigen Verwertungsgesellschaften gekommen. Misslich ist in diesem Zusammenhang, dass der Vorsitz der Kommission Bibliothekstantieme der Kultusministerkonferenz seit Jahren unbesetzt ist. Die Kommission Bibliothekstantieme ist dafür zuständig, wichtige Gesamt- und Rahmenverträge im Bildungs- und Wissenschaftsbereich für Bund und Länder mit den Verwertungsgesellschaften zu verhandeln. Der Deutsche Kulturrat fordert die Kultusministerkonferenz auf, den Vorsitz jetzt schnellstmöglich neu zu besetzen.
Publikationen in Form des Open Access nehmen in der wissenschaftlichen Praxis einen immer größeren Raum ein. Auch der Koalitionsvertrag weist an diversen Stellen darauf hin, dass Open Access als gemeinsamer Standard etabliert werden soll. Dabei bleibt allerdings unerwähnt, dass Open Access-Veröffentlichungen aus Sicht vieler Rechtsinhaber nicht unproblematisch sind. So beschränken sich die sog. „DEAL“-Verträge der Wissenschaftsorganisationen bisher auf einige wenige sehr große Wissenschaftsverlage und blenden derzeit kleinere und mittlere Verlage aus. Für diese – kleineren – Verlage wird es deshalb zunehmend schwerer, ihre Angebote im Markt aufrechtzuerhalten. Der Verlust dieser Verlagsangebote würde die immer noch vielfältige Verlagsstruktur im Wissenschaftsbereich in Deutschland weiter schwächen, gleichfalls werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in noch größerem Umfang von großen Verlagen abhängig. Dem drohenden Verlust an kultureller und wissenschaftlicher Vielfalt sollte entschieden entgegengewirkt werden.
Rechtlich unklar ist außerdem, welche Auswirkungen die Veröffentlichungen von Werken unter Creative Commons-Lizenzen (CC-Lizenzen), die im Bereich des Open Access zum Standard geworden sind, auf die gesetzlichen Vergütungsansprüche der Urheberinnen und Urheber bei Schrankennutzungen haben.
Sehr problematisch wäre es schließlich auch, wenn Urheberinnen und Urheber nicht frei entscheiden könnten, ob sie ihre Werke unter einer CC-Lizenz veröffentlichen.
Der Deutsche Kulturrat weist außerdem darauf hin, dass die urheberrechtlichen Verwertungsrechte, wie insbesondere das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, teilweise von Seiten der Nutzer einschränkend ausgelegt werden, um so freie Nutzungen von urheberrechtlich geschützten Werken zu ermöglichen. Das betrifft beispielsweise Nutzungen in Schulen und Hochschulen, die dort auf internen Plattformen zugänglich gemacht werden. Hier sollte in geeigneter Weise klargestellt werden, dass – weiterhin – für derartige Nutzungen die Einwilligung der Rechtsinhaber erforderlich oder – im Bereich der gesetzlich erlaubten Nutzungen – eine angemessene Vergütung zu zahlen ist.
2. Vergütungssituation bei Plattformnutzungen
Zu begrüßen ist, dass die Regierungsfraktionen die Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte, gerade auch in digitalen Märkten verbessern wollen. Der Deutsche Kulturrat geht dabei davon aus, dass es hier sowohl um die Vergütungssituation der Kreativen als auch ihrer Erstverwerter geht. Offen bleibt, welche Maßnahmen genau geplant sind. Der Deutsche Kulturrat weist darauf hin, dass auch große Plattformen, soweit sie Rechte nutzen, diese angemessen vergüten müssen. Ob dies erreicht werden kann, auch auf der Grundlage der neuen europarechtlichen Regelungen, insbesondere dem Digital Markets Act (DMA), bleibt abzuwarten. Der Deutsche Kulturrat begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung plant, Studien durchzuführen, die sich u.a. mit Fragen der Plattformökonomie befassen sollen. Er bittet darum, die beteiligten Rechteinhaber an der Konzeption und Durchführung der Studie – weiterhin – eng zu beteiligen.
3. Evaluierung der Urheberrechtsreform 2021
Nach dem Koalitionsvertrag soll die Urheberrechtsreform 2021 einer Evaluierung unterzogen werden. Der Deutsche Kulturrat begrüßt zwar im Grundsatz diesen Ansatz, hält ihn aber aktuell für verfrüht, weil wichtige neue Regelungen – gerade auch im Urheberrechts-Dienstanbieter-Gesetz (UrhDaG) –erst noch in der Praxis umgesetzt werden müssen. Gleichwohl sollte rechtzeitig mit einem Evaluierungsfahrplan begonnen werden.
4. E-Lending
Der Koalitionsvertrag spricht sich für faire Bedingungen beim E-Lending aus. Dagegen ist – natürlich – nichts einzuwenden. Offen ist allerdings, was unter „fairen Bedingungen“ zu verstehen ist. Hier werden auch innerhalb der Mitgliedschaft des Deutschen Kulturrat unterschiedliche Positionen vertreten. Einigkeit besteht im Deutschen Kulturrat aber insoweit, dass die Bibliotheken finanziell so ausgestattet werden müssen, dass für den „Verleih“ von E-Books angemessene Vergütungen an die Rechtsinhaber gezahlt werden können. Das ist bisher nicht hinreichend der Fall. Hier sind insbesondere die Länder und Kommunen gefordert, die Bibliotheken adäquat finanziell zu versorgen.
5. Analoge Spiele im Sammlungskatalog der DNB
Der Deutsche Kulturrat hat sich hierzu bereits in seiner Stellungnahme „Analoge Spiele in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek aufnehmen“ vom 24. Juni 2015 geäußert. Er begrüßt es deshalb, dass sich auch die Regierungsfraktionen der Problematik annehmen werden, um die Bedeutung analoger Spiele als Kulturgut zu unterstreichen und um den Rechtsanspruch der Spieleautoren auf Bibliothekstantieme zu gewährleisten.
6. Geräte- und Speichermedienvergütung
Die Vergütung von gesetzlich erlaubten Vervielfältigungen durch das System der Geräte- und Speichermedienvergütung sollte gestärkt und weiter ausgebaut werden. Das BMJ plant, eine großangelegte Studie zu den Vergütungssystemen für gesetzlich erlaubte Nutzungen durchzuführen; dazu gehört insbesondere die Geräte- und Speichermedienvergütung. Auch hier bittet der Deutsche Kulturrat, die beteiligten Akteure eng einzubeziehen und – im Anschluss an die Studie – über gesetzliche Neuregelungen schnellstmöglich zu entscheiden. Längst notwendige Klarstellungen dürfen nicht unter Verweis auf die Studie verzögert werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen im Wege der Privatkopie auf Cloud-Servern, die nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH unter die gesetzlichen Schrankenregelungen fallen, bisher aber in Deutschland nicht vergütet werden. Nutzungen, die nicht von den einschlägigen Schrankenregelungen abgedeckt werden, sind dabei auch weiterhin nur zulässig, wenn sie seitens der Rechtsinhaber lizenziert werden.
Ferner setzt sich der Deutsche Kulturrat – wie im Übrigen auch der Bundesrat – bereits seit langem dafür ein, die Betreibervergütung für Großbetreiber von Vervielfältigungsgeräten technologieneutral zu fassen und Vervielfältigungen, die nicht auf Papier, sondern auf digitale Speichermedien vorgenommen werden, endlich vergütungspflichtig auszugestalten.
7. Rechtsrahmen für nicht verfügbare Werke
Der Deutsche Kulturrat begrüßt es, dass das BMJ kürzlich einen Referentenentwurf für eine Verordnung zur Nutzung nicht verfügbarer Werke vorgelegt hat. Hierzu nimmt der Deutsche Kulturrat gesondert Stellung.
8. Recht der Verwertungsgesellschaften
Der Koalitionsvertrag enthält keine Stellungnahme zum Recht der Verwertungsgesellschaften, obwohl den Verwertungsgesellschaften gerade durch die Urheberrechtsreform 2021 eine Vielzahl von neuen Aufgaben zugewiesen wurde. Auch wenn sich das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) von 2016 im Wesentlichen in der Praxis bewährt hat, weist der Deutsche Kulturrat auf ein Problem hin, welches – versehentlich – durch den Gesetzgeber geschaffen wurde: Die Verwertungsgesellschaften vertreten typischerweise eine Vielzahl von Berechtigten. Sie haben Änderungen ihrer Wahrnehmungsverträge, die zuvor in ihren Mitgliederhauptversammlungen beschlossen wurden, bisher so umgesetzt, dass den individuellen Berechtigten die Änderungen mitgeteilt und die Möglichkeit eines Widerspruchs binnen einer bestimmten Frist eingeräumt wurde. Unterblieb ein Widerspruch, galten die Änderungen als vereinbart. An dieser Praxis sollte auch mit dem VGG nichts geändert werden (vgl. AmtlBegr. BT-Drs. 18/7223, 75). Vielmehr sollte es den Verwertungsgesellschaften lediglich ermöglicht werden, Wahrnehmungsverträge nicht in Schriftform, sondern auch in Textform abzuschließen. Die einschlägige Regelung in § 10 S. 2 VGG, ist aber bedauerlicherweise missverständlich formuliert und wird mittlerweile von Gerichten (vgl. Landgericht München I GRUR-RS 2021, 28922, Rn. 155 ff.) so interpretiert, dass auch Änderungen des Wahrnehmungsvertrages in Textform individuell vereinbart werden müssten, womit das oben beschriebene Widerspruchsverfahren unzulässig wäre. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken ein Widerspruchsverfahren mittlerweile für unzulässig erklärt hat (BGH ZIP 2021, 1261). Verwertungsgesellschaften sind aber schon aufgrund ihrer Gremienstruktur mit Banken nicht zu vergleichen (vgl. dazu auch Wandtke/Bullinger/Gerlach VGG § 10 Rn. 10). Eine individuelle Vereinbarung in Form einer expliziten Zustimmung bei jeder Änderung des Wahrnehmungsvertrages wäre kaum praktikabel, bei verwertungsgesellschaftspflichtigen Ansprüchen mit Nachteilen für die Wahrnehmungsberechtigten verbunden und würde darüber hinaus zu einem erheblichen Anstieg der Verwaltungskosten führen , die letztlich von den Berechtigten zu tragen sind. Hier sollte deshalb schnellstmöglich im Gesetz klargestellt werden, dass Änderungen des Wahrnehmungsvertrages seitens der Verwertungsgesellschaften auch in Zukunft im Wege des Widerspruchsverfahrens umgesetzt werden können.