Berlin, den 12.11.2020. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, bedankt sich für die Möglichkeit, zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts Stellung nehmen zu können.
I.
Der Deutsche Kulturrat hat sich bereits mit Stellungnahmen vom 4. Februar 2020 und 13. August 2020 zu den Diskussionsentwürfen des BMJV geäußert. Den dort vorgetragenen Bedenken wurde im Referentenentwurf (Stand: 2. September 2020) nur teilweise Rechnung getragen. Der Deutsche Kulturrat nimmt deshalb auf seine bisherigen Ausführungen vollständig Bezug; auf folgende Punkte ist dabei besonders einzugehen:
- Urhebervertragsrecht (§ 32 ff. UrhG)
Der Deutsche Kulturrat verweist zunächst auf seine Stellungnahme vom 13. August 2020. Er begrüßt, dass der Vorschlag zu § 32d Abs. 3 UrhG-E aufgegriffen wurde und nunmehr nach § 32d Abs. 3 Satz 1 UrhG-E die Möglichkeit besteht, durch Vereinbarungen, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel oder einem Tarifvertrag beruhen, von den Vorgaben nach § 32d Abs. 1 und 2 abzuweichen. Für problematisch wird allerdings die Ausgestaltung des § 32d Abs. 3 Satz 2 UrhG-E gehalten, die mit dem Kriterium „…zumindest ein vergleichbares Maß an Transparenz…“ einen sehr unscharfen Rahmen für Verhandlungen setzt. Es wird befürchtet, dass dadurch Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit von Vereinbarungen ausgelöst werden, die zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen.
- Schrankenregelungen
- Text und Data Mining (§§ 44b, 60d UrhG-E)
Der Deutsche Kulturrat bedauert, dass die Schrankenregelungen zu Text und Data Mining weiterhin keinerlei Vergütungsanspruch vorsehen. Er spricht sich erneut mit Nachdruck dafür aus, einen gesetzlichen Vergütungsanspruch für kommerzielles und nicht-kommerzielles Text und Data Mining einzuführen, der verwertungsgesellschaftspflichtig ausgestaltet sein sollte.
- Sammlungen für den religiösen Gebrauch (§ 46 UrhG)
Der Deutsche Kulturrat erinnert erneut an seine Bitte, das vorliegende Gesetzgebungsverfahren zum Anlass zu nehmen, § 46 UrhG (Sammlung für den religiösen Gebrauch) an § 60b UrhG (Unterrichts- und Lehrmedien) anzupassen. Die derzeitige Regelung, die in Bezug auf Sammlungen für den religiösen Gebrauch der Vorschrift des § 46 UrhG a. F. entspricht, führt bei den befassten Verwertungsgesellschaften zu einem kaum vertretbaren Verwaltungsaufwand, und ist – soweit ersichtlich – inhaltlich in keiner Weise gerechtfertigt.
- Karikatur, Parodie und Pastiche (§ 51a UrhG-E)
Der Referentenentwurf hat die erheblichen Bedenken des Deutschen Kulturrats in Bezug auf die neue Pastiche-Schranke nicht berücksichtigt. Es fehlt weiterhin an einer gesetzlichen Definition, was genau unter „Pastiche“ zu verstehen ist. Solange dies nicht hinreichend geklärt ist, ist die vorgeschlagene Regelung verfassungsrechtlich und mit Blick auf den 3-Stufen-Test höchst problematisch. Das gilt umso mehr, weil im Rahmen des § 51a UrhG-E – im Unterschied zu §§ 5, 7 Abs. 2 UrhDaG-E – keinerlei Vergütung für Pastiche-Nutzungen vorgesehen ist. Da keine europarechtliche Verpflichtung besteht, eine allgemeine Pastiche-Schranke einzuführen, spricht sich der Deutsche Kulturrat auf der Grundlage der bisherigen Regelungsentwürfe dafür aus, auf eine derartige Bestimmung ganz zu verzichten. Jedenfalls aber sollten die Erfahrungen bei Anwendung der – europarechtlich vorgegebenen – Pastiche-Schranke im Zusammenhang mit Plattformnutzungen (§5 Nr. 2 UrhDaG-E) abgewartet werden.
- Verlegerbeteiligung (§ 63a UrhG-E; §§ 27, 27a, 27b VGG-E)
Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass einigen Bedenken gegenüber dem Diskussionsentwurf im Referentenentwurf Rechnung getragen wurde. Problematisch ist allerdings die Vorgabe in § 63a Abs. 2 UrhG-E, wonach gesetzliche Vergütungsansprüche – generell – nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden können, die Rechte von Urhebern und Verlegern gemeinsam wahrnehmen. Für diese Regelung, die – anders als in der Begründung (S. 111) vorgetragen – sich nicht bereits aus dem geltenden Recht ergibt, fehlt bisher jede Erläuterung. Das ist überraschend, weil derzeit gesetzliche Vergütungsansprüche auch von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden, die keine Rechte von Urhebern und Verlagen gemeinsam vertreten. Dies ändert aber selbstverständlich nichts daran, dass im Gesetz festgelegt werden muss, dass der Beteiligungsanspruch der Verleger nur von einer gemeinsamen Verwertungsgesellschaft von Urhebern und Verlegern wahrgenommen werden kann. Hierauf hatte der Deutsche Kulturrat bereits in seiner Stellungnahme vom 4. Februar 2020 hingewiesen.
Eine deutliche Verbesserung ergibt sich aus der Übergangsregelung nach § 140 VGG-E, die nunmehr einen klaren Stichtag (7. Juni 2021) für die Verteilung der Einnahmen vorsieht.
Der Deutsche Kulturrat betont erneut, dass die Verlegerbeteiligung in Umsetzung von Art. 16 DSM-Richtlinie schnellstmöglich eingeführt werden muss, um den Fortbestand der gemeinsamen Verwertungsgesellschaften von Urhebern und Verlagen nicht zu gefährden. Sollte sich deshalb abzeichnen, dass der Referentenentwurf insgesamt nicht zügig verabschiedet werden kann, bittet der Deutsche Kulturrat dringend darum, Art. 16 DSM-Richtlinie in einem isolierten Gesetzgebungsverfahren umzusetzen.
- Presseverlegerleistungsschutzrecht (§ 87f. ff. UrhG-E)
Der Referentenentwurf enthält punktuelle Verbesserungen im Vergleich zum Diskussionsentwurf, die begrüßt werden. Soweit nunmehr in § 87k Abs. 1 UrhG-E eine Mindestbeteiligung der Urheber an den Einnahmen des Presseverlegers vorgesehen ist, erscheint dies jedenfalls dann konsequent, wenn es dabei bleibt, dass nach § 27b VGG-E eine Mindestbeteiligung des Urhebers für die Einnahmen aufgrund der gesetzlichen Vergütungsansprüche vorgesehen wird. Wie bereits in der Stellungnahme zum ersten Diskussionsentwurf vom 4. Februar 2020 ausgeführt, wird die Frage der Mindestbeteiligung bei den Mitgliedern des Deutschen Kulturrats aber unterschiedlich bewertet.
- Kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung (§ 51 ff. VGG-E)
Der Deutsche Kulturrat begrüßt auch hier punktuelle Verbesserungen und verweist im Übrigen auf seine Stellungnahme vom 13. August 2020.
- Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG-E)
Der Deutsche Kulturrat hält an seinen grundsätzlichen Bedenken gegenüber dem inhaltlichen Konzept des UrhDaG-E fest und verweist insoweit auf seine Stellungnahme vom 13. August 2020 (vgl. dazu auch unter II.). Das gilt insbesondere in Bezug auf die Einführung der Schrankenregelung nach § 6 Urhh-DaG-E, die europarechtlich sehr fraglich ist und im Übrigen eine zu weitgehende Nutzung gesetzlich erlaubt. Zu begrüßen ist allerdings, dass nunmehr für Pastiche-Nutzungen nach § 5 UrhDaG-E gem. § 7 Abs. 2 UrhDaG-E eine Vergütung zu zahlen ist. Gleiches gilt für die Vergütungspflicht nach § 7 Abs. 2 UrhDaG-E in Bezug auf Nutzungen, die sich nach § 16 Abs. 2 UrhDaG-E nachträglich als unzutreffend herausstellen.
II.
Zu den Fragen, bei denen anlässlich des Schreibens des BMJV vom 13. Oktober 2020 noch besonderer Beratungsbedarf besteht, nimmt der Deutsche Kulturrat zusammenfassend wie folgt Stellung:
1.
Der Deutsche Kulturrat hat – wie oben bereits ausgeführt – erhebliche Bedenken, dass der Entwurf der Pastiche-Schrank mit 3-Stufen-Test und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Vor allem muss im Gesetz geklärt werden, welche konkreten Nutzungen unter die neue Regelung fallen. Derzeit könnte fast jede Nutzung, bei der fremde Werke verwendet werden, als ein Pastiche angesehen werden. Das aber würde die „normale Verwertung“ klar beeinträchtigen und die Interessen der Urheber und Rechtsinhaber ungebührlich verletzten.
2.
Der Deutsche Kulturrat hält die Regelung in § 87g Abs. 1 UrhG-E für sachgerecht.
3.
In Bezug auf die Mindestquote des Beteiligungsanspruchs der Urheber an den Einnahmen der Presseverleger wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
4.
Die Entfristung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes wird von den Mitgliedern des Deutschen Kulturrates unterschiedlich bewertet. . Dabei wird vielfach die Ansicht vertreten, dass die Befristung ein wichtiges Instrument ist, um – nach Evaluierung – eine ggf. erforderliche Anpassung der neuen Vorschriften sicherzustellen. Nach dieser Auffassung sollte deshalb die Befristung nicht gestrichen werden. Insoweit spielt vor allem eine Rolle, dass bereits bei Einführung der Befristung im Sommer 2017 bekannt war, dass es voraussichtlich demnächst auf EU-Ebene verbindliche Schrankenregelungen geben würde. Es erscheint deshalb widersprüchlich, wenn bereits jetzt – vor der Evaluierung – die Befristung aufgehoben wird. Die Befristung bedeutet im Übrigen auch nicht, dass automatisch bei Ablauf der Befristung ein europarechtswidriger Zustand eintreten würde. Vielmehr könnten nach Durchführung der Evaluierung – und rechtzeitig vor dem 1. März 2023 – etwaige Änderungen des UrhWissG verabschiedet und gleichzeitig die Befristung aufgehoben werden.
5.
In Bezug auf die Mindestquote des Beteiligungsanspruchs der Urheber bei Einnahmen aufgrund von gesetzlichen Vergütungsansprüchen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
6. und 7.
Der Deutsche Kulturrat hält das im Referentenentwurf verfolgte inhaltliche Konzept des UrhDaG-E weiterhin für sehr problematisch. Das gilt insbesondere für die Annahme, dass mit Art. 17 DSM-Richtlinie ein neues – eigenständiges – Recht der öffentlichen Wiedergabe für urheberrechtlich geschützte Werke, die von Nutzern der Dienste auf Plattformen hochgeladen werden, geschaffen wurde. Diese rechtliche Einschätzung ist aber Voraussetzung dafür, dass die Schrankenregelung nach § 6 UrhDaG-E europarechtlich zulässig ist. Soweit in der Begründung des Referentenentwurfs nunmehr die Ansicht vertreten wird, dass eine Schrankenregelung als Unterfall einer Erlaubnis („authorisation“) im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 DSM-Richtlinie anzusehen ist, überzeugt das nicht. Eine solche Annahme würde bedeuten, dass im Bereich von Art. 17 DSM-Richtlinie jede beliebige Schrankenreglung zu Gunsten der Plattformen und ihrer Nutzer eingeführt werden könnte; es erscheint fast ausgeschlossen, dass dies vom europäischen Gesetzgeber beabsichtigt war. Auch das Konsultationspapier der EU-Kommission vom 27. Juli 2020 stützt nach hiesigem Verständnis die Ansicht des BMJV nicht. Schrankenreglungen sind bekanntlich in der englischen Terminologie „exceptions and limitations“; eine „authorisation“ dürfte dagegen immer eine rechtsgeschäftliche Zustimmung implizieren. Richtig ist allerdings, dass diese individuell oder kollektiv (auch aufgrund von erweiterten kollektiven Lizenzen) erteilt werden kann (vgl. Kommissionspapier vom 27. Juni 2020, S. 3).