Zur Zukunft des Urheberrechts in Europa

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 26.06.2015. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, verfolgt mit großem Interesse die Diskussionen auf europäischer Ebene zur Veränderung des Urheberrechts. Im Jahr 2012 hat sich der Deutsche Kulturrat in einer grundlegenden Stellungnahme „Zur Zukunft des Urheberrechts“ vor allem im nationalen Kontext positioniert. Was die europäische Diskussion betrifft, hat sich der Deutsche Kulturrat an der „Öffentlichen Konsultation zur Überprüfung der Regeln zum Urheberrecht“ beteiligt und eine Stellungnahme zur EU-Richtlinie zu Verwertungsgesellschaften verfasst.

 

Die EU-Kommission hat nunmehr am 6. Mai 2015 die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa (SWD (2015) 100 final)“ vorgelegt, in der unter anderem angekündigt wird, in der zweiten Jahreshälfte 2015 Vorschläge zur Reform des Urheberrechts im europäischen Kontext vorzulegen.

 

Der Deutsche Kulturrat, dem Verbände aller künstlerischen Sparten sowie der Künstler, der Kulturwirtschaft, der Kultureinrichtungen und Kulturvereine angehören und der damit ein breites Spektrum an Interessen aus dem deutschen kulturellen Leben vertritt, skizziert mit dieser Stellungnahme einige grundsätzliche Positionen zur Urheberrechtspolitik auf europäischer Ebene. Er vertritt damit Urheber und andere Rechteinhaber sowie Nutzer künstlerischer Werke.

 

Im Mittelpunkt des Urheberrechts stehen der Urheber, seine Beziehung zum Werk und seine angemessene Vergütung für die Nutzung des Werkes. Allerdings können viele Urheber nur mit einem Verwerter, wie beispielsweise einem Verlag, ihre Werke in die Öffentlichkeit bringen. Verwerter sind ein wichtiges Glied in der kulturwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Auch sie müssen einen Ertrag aus der Verwertung künstlerischer Werke ziehen können. Jedem Urheber ist es rechtlich unbenommen, seine Werke kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ebenso muss aber auch respektiert werden, wenn Urheber nicht wollen, dass ihre Werke kostenfrei genutzt oder von anderen bearbeitet werden. Der Schutz des Urhebers und seines Werks sowie sein Recht, über das Ob und Wie der Nutzung zu entscheiden, bilden unabhängig von technologischen Entwicklungen einen unverrückbaren Grundsatz des Urheberrechts.

 

Harmonisierung der Urheberrechtspolitik

Ein eigenständiger EU-Urheberrechtstitel, der die nationalen Urheberrechtssysteme ersetzt, kommt aus Sicht des Deutschen Kulturrates nur dann in Betracht, wenn er dem kontinentaleuropäischen Ansatz des droit d’auteurs folgt. Nur so können die materiellen und immateriellen Interessen der Urheber angemessen berücksichtigt werden. Soweit es um die Harmonisierung einzelner Bereiche des Urheberrechts geht, hält es der Deutsche Kulturrat für unabdingbar, dass zunächst nachvollziehbar belegt wird, warum – und wenn ja, in welchem Umfang – aus Sicht der EU-Kommission eine einheitliche Regelung auf EU-Ebene erforderlich ist. Denn aus Sicht des Deutschen Kulturrates bedarf es keiner vollständigen Harmonisierung. Dies vorausgeschickt, nimmt der Deutsche Kulturrat zu ausgewählten Themen Stellung.

 

Territorialität

Ausfluss der vermögensrechtlichen Befugnis der Urheber und sonstigen Rechteinhaber ist es, Nutzungsrechte an ihren Werken zeitlich, räumlich und inhaltlich zu beschränkten und sie sowohl als einfache als auch als ausschließliche Lizenz Dritten einräumen zu können. Dabei ist die Möglichkeit, Nutzungsrechte für ein bestimmtes, insbesondere nationales Territorium vergeben zu können, für die kulturelle Vielfalt in Europa von großer Bedeutung. Sie fördert das Kulturschaffen und verstärkt die regionale Nachfrage.

 

Im Bereich des Films und anderer mit hohen Investitionen verbundenen Werke ist die Möglichkeit der segmentierten Rechtevergabe sogar Marktvoraussetzung. Denn nur, wenn diese Rechte als Sicherheit für Investitionen territorial beschränkt und auch exklusiv vorab eingeräumt werden können, sind die hohen Produktionskosten insbesondere audiovisueller Werke durch sogenannte Pre-Sales zu finanzieren. Besonders deutlich wird dies bei europäischen Koproduktionen, in deren Rahmen die Partner sowohl zum Zwecke der Finanzierung des Films als auch in Bezug auf die Aufteilung der Erlöse aus der Verwertung des Films bestimmte Territorien und die darauf bezogenen Rechte untereinander aufteilen, um einen Film gemeinsam finanzieren, produzieren und verwerten zu können.

 

In anderen Bereichen und Auswertungsstufen hätte eine verpflichtende paneuropäische Lizenz weiterhin zur Folge, dass die Vergütungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke nicht an den jeweiligen Markt angepasst werden können. Das hätte entweder ein race to the bottom zur Folge mit dem Ergebnis, dass sich die Nutzer dann im Territorium mit der niedrigsten Vergütung um eine Lizenz bemühen würden, um diese europaweit nutzen zu können. Oder aber die Nutzer in marktschwachen Gebieten könnten sich Lizenzen, die nicht auf ihren Markt abgestimmt sind, schlichtweg nicht mehr leisten. Dies würde auch die Entstehung neuer Dienste in wirtschaftlich schwächeren Ländern erschweren.

 

Diese Überlegungen ändern nichts daran, dass Nutzungsrechte seitens der Rechteinhaber auch heute schon – in allen Werken – multiterritorial vergeben werden können und dort, wo die Nachfrage besteht und es wirtschaftlich sinnvoll ist, auch vergeben werden. Gerade im Musikbereich soll die Verwertungsgesellschaftenrichtlinie für eine leistungsfähige Infrastruktur für die grenzüberschreitende Lizenzierung von Urheberrechten sorgen, die der grenzüberschreitenden Verfügbarkeit von Musikdiensten Vorschub leisten wird.

 

Aufgabe der Politik sollte es daher in erster Linie sein, die Entwicklung neuer Dienste und die Zugänglichkeit von Werken zu fördern. Weiter ist dafür zu sorgen, dass ausreichend flexible Lizenzierungsmodelle zur Verfügung stehen, die die wechselseitigen Interessen von Rechtenutzern und Rechteinhabern in einen fairen Ausgleich bringen und ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um entsprechende Vergütungen an Urheber und Rechteinhaber zu zahlen. Speziell Bibliotheken und andere Kultur- und Bildungseinrichtungen müssen mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, um Lizenzen erwerben zu können.

 

Der Deutsche Kulturrat erkennt das Bedürfnis nach Portabilität von Inhalten an. Hier sollten technische, zeitlich befristete Lösungen unterstützt werden, die aber ausschließen müssen, dass unter dem Stichwort Portabilität Nutzer in wirtschaftlich starken Märkten auf günstigere regionale Angebote wirtschaftlich schwächerer Länder zugreifen können und damit die wichtige territoriale Rechtevergabe unterhöhlt wird. Bücher und E-Books sind im europäischen Markt für die Leser europaweit bereits sehr gut verfügbar. Ein einmal heruntergeladenes E-Book kann europaweit auf dem E-Reader gelesen werden. Auch bei Systemen, bei denen der Nutzer das E-Book nur zeitlich begrenzt zur Verfügung gestellt bekommt, z.B. bei Skoobe, ist es möglich, die E-Books – auch im Offline-Modus – im Ausland zu lesen. Es besteht daher keine Notwendigkeit, dass Territorialitätsprinzip einzuschränken oder andere Maßnahmen zu treffen. Stattdessen wäre zu überlegen, Maßnahmen zur Förderung der Interoperabilität von digitalen Medieninhalten zu unterstützen. Oftmals verhindern nämlich geschlossene Systeme, die den Nutzer von digitalen Inhalten an ein bestimmtes Gerät und den hauseigenen Shop des Geräteherstellers binden, die ansonsten erlaubte Nutzung digitaler Kopien.

 

Erhalt der Schutzdauer

Der Deutsche Kulturrat lehnt jede Bestrebung ab, die für Urheber und für sonstige Rechteinhaber geltenden Schutzfristen zu verkürzen.

Mit Blick auf Tonträger wurde vor einigen Jahren europaweit die Schutzfrist auf 70 Jahre nach Erscheinen der Aufnahme verlängert. Diese positive Veränderung ist besonders für jene Musiker, die keine vertraglichen Ansprüche aus Lizenzbeteiligungen haben und nun über die gesetzlichen Vergütungsansprüche eine Vergütung erhalten, wichtig zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Für unbefriedigend erachtet der Deutsche Kulturrat, dass die Verlängerung der Schutzfrist nur für Tonträger gilt. Dadurch entsteht eine Ungleichbehandlung zwischen Tonträgern und audiovisuellen Werken, die durch nichts gerechtfertigt ist.

 

Unbefriedigend ist auch die Diskriminierung der ausübenden Künstler gegenüber den Tonträgerherstellern beim Schutzfristbeginn. Für Tonträgerhersteller beginnt die Schutzfrist von Aufnahmen, die einmal gesendet wurden und Jahre später erstmalig als CD erscheinen, erst mit dem Erscheinen als CD. Für die ausübenden Künstler beginnt die Schutzfrist dagegen mit der erstmaligen Sendung. Diese Diskriminierung der kreativen ausübenden Künstler ist nicht hinnehmbar.

 

Schrankenregeln für Bildung und Wissenschaft

Der Deutsche Kulturrat spricht sich für einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu Wissen in Bildung und Wissenschaft aus, betont aber gleichzeitig, dass die Urheber ihrer Rechte nicht beraubt werden dürfen. Der Deutsche Kulturrat hält eine Harmonisierung der Schrankenregelungen für Bildung zunächst nicht für erforderlich, denn Bildung wird territorial unterschiedlich gestaltet und organisiert. In den einzelnen Mitgliedsländern der EU bestehen unterschiedliche schulische Bildungsstandards, -systeme und -vorgaben. Vor diesem Hintergrund – und auch aufgrund der unterschiedlichen Sprachen – findet ein grenzüberschreitender Austausch von Bildungsmedien faktisch nicht statt.

 

Sofern die EU-Kommission die Schrankenregelungen für Bildung und Wissenschaft dennoch weiter harmonisieren möchte, müsste sie die engen Vorgaben des Drei-Stufen-Tests einhalten und gleichzeitig – im Interesse der Urheber und der Nutzer – die zu regelnden Ausnahmen vom Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung klar und eindeutig beschreiben.

 

Nach dem geltenden EU-Recht (RL 2001/29/EG) dürfen Schrankenregelungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden (1. Stufe), in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird (2. Stufe) und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden (3. Stufe).

 

Will die Kommission die Schranken im Bereich Bildung und Wissenschaft weiter harmonisieren, so müsste sie die, bislang als Gestaltungsanweisungen an den nationalen Gesetzgeber formulierten Voraussetzungen einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke nun selbst konkretisieren.

 

Darauf basierend stellt der Deutsche Kulturrat fest:

 

Die Sonderfälle für Bildung und Wissenschaft sind klar und unmissverständlich zu regeln. Der Deutsche Kulturrat lehnt Generalklauseln im Zusammenhang mit Schrankenregelungen ab, weil der erforderliche Interessenausgleich zwischen Urhebern, Rechteinhabern und Nutzern zuallererst durch den Gesetzgeber vorgenommen werden muss. Anderenfalls würde die Reichweite von Schrankenregelungen erst in langjährigen Gerichtsprozessen geklärt werden.

 

Zudem ist zunächst zu prüfen, für welche konkreten Nutzungshandlungen im Bereich von Bildung und Wissenschaft eine Schranke tatsächlich erforderlich und angemessen ist. In diesem Rahmen ist zu evaluieren, welche konkreten Nutzungen im überwiegenden Interesse von Bildung und Wissenschaft durch welche Nutzer in welchen Einrichtungen tatsächlich schrankengestützt erlaubt werden müssten.

 

Es muss stets eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber sichergestellt werden.

 

Eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke darf nicht in den Primärmarkt der Rechteinhaber eingreifen. Dies ergibt sich bereits aus dem Drei-Stufen-Test. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu gewährleisten, dass angemessene und praktikable Lizenzangebote möglich bleiben. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass es digitale und analoge Werke gibt, die ausdrücklich und ausschließlich für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich hergestellt werden und deren Primärmarkt daher durch eine entsprechende Schranke beeinträchtigt werden kann.

 

Eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke darf nicht dazu führen, dass die angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber unterlaufen wird.

 

Privatkopie mit Vergütungsansprüchen

Europaweit verbindlich eingeführt werden sollte die Privatkopieschranke – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass (weiterhin) zwingend eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber vorgesehen wird. Die Regelung in Großbritannien, wonach private Vervielfältigungen auch ohne Vergütung zulässig sind, hält der Deutsche Kulturrat für höchst problematisch. Nur durch eine Schrankenregelung mit Vergütungsanspruch kann sichergestellt werden, dass sowohl die privaten Verbraucher entkriminalisiert als auch die Rechteinhaber für die de facto nicht zu verhindernden Eingriffe in ihre Rechte angemessen vergütet werden. Es empfiehlt sich dabei, das bewährte System der Geräte- und Speichermedienvergütung beizubehalten, bei denen die Hersteller und Importeure der Geräte verpflichtet sind, die angemessene Vergütung zu zahlen. Eine Verlagerung der Vergütungspflicht auf den Staat ist abzulehnen, weil dieser Ansatz – wie das Beispiel Spanien zeigt – regelmäßig dazu führen wird, dass die Vergütungszahlungen stark zurückgehen.

 

Rechtsdurchsetzung

Internetunternehmen – insbesondere Internet Service Provider, Hostprovider, Suchmaschinenanbieter und Betreiber sogenannter sozialer Netzwerke – müssen im Rahmen des Zumutbaren dafür Sorge tragen, dass Urheberrechte gewahrt werden. Grundsätzlich sollte eine Verkehrsicherungspflicht für entsprechende Internetdienstleister gesetzlich festgeschrieben werden. Gemeinsame Initiativen zur Selbstregulierung von Rechteinhabern, Werbewirtschaft und Finanzdienstleistern sollten wie von der EU-Kommission in ihrem Follow-the-Money-Ansatz gefordert, vorangetrieben werden, gegebenenfalls durch Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen. In Bezug auf die öffentliche Zugänglichmachung privater Bearbeitungen, Werkverbindungen und Teilwerknutzungen müssen Hostprovider die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Nutzer keine Rechtsverletzungen begehen.

 

Beteiligung an der Wertschöpfung im Internet

Die Europäische Kommission weist in ihrem Strategiepapier darauf hin, dass die Bereitstellung digitaler Inhalte ein Hauptwachstumsmarkt der digitalen Wirtschaft ist. Urheber und ausübende Künstler sowie Rechteinhaber müssen endlich fair an der Wertschöpfung im Internet beteiligt werden. Eine besondere Herausforderung besteht aus Sicht des Deutschen Kulturrates bei Internetplattformen, die an der Verwertung kreativer Inhalte wirtschaftlich partizipieren und oft ihr gesamtes Geschäftsmodell auf der Zugänglichmachung unlizenzierter urheberrechtlich geschützter Inhalte aufbauen. Anbieter solcher Internetplattformen berufen sich vor Gericht auf die Haftungsprivilegierung als bloßer Speicherplatzanbieter (Host Provider). Host Provider, die systematische Rechtsverletzungen ermöglichen und damit in Konkurrenz zu lizenzierten Content-Providern treten, müssen stärker als bisher in die Verantwortung genommen werden. Die bestehenden Regelungen zur Haftungsprivilegierung sind zu undifferenziert und bedürfen daher der Reform.

Vorheriger ArtikelAnaloge Spiele in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek aufnehmen
Nächster ArtikelArbeitslosengeld I für Kulturschaffende verbessern