Der Kulturbereich braucht schnell eine funktionierende Regierung: Sehr, sehr viel zu tun

Und dann Corona: Seit März 2020 das Dauerthema in der Kulturpolitik. Es ging um Förderprogramme, um die Sicherung der kulturellen Infrastruktur, um Wirtschaftsförderung, um Öffnungsstrategien, um das Infektionsschutzgesetz und die Einreiseverordnung und vieles andere mehr. Mitunter konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Kulturpolitik nur noch aus Coronapolitik bestand. Trotz manchen Fehlschlags und Unzulänglichkeiten, im Großen und Ganzen ist der Kulturbereich in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. In den „Corona-Chroniken“ des Deutschen Kulturrates erhält man auf knapp 500 Seiten einen ausführlichen Überblick.

 

Doch viele wichtige Aufgaben wurden in der letzten Legislaturperiode noch nicht erledigt, sie stehen deshalb in den nächsten Jahren an. Auf einige sozialpolitische Aspekte wurde bereits eingegangen. Das große Thema wird die Sicherung der Kulturfinanzierung nach der Pandemie sein, und zwar auf allen Ebenen: Kommunen, Länder und Bund.

 

Was plant nun wer, wenn eine Regierungsbildung ansteht? Der Deutsche Kulturrat hat die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Vorhaben für die neue Wahlperiode gefragt. In der letzten Ausgabe von Politik & Kultur wurden die Ergebnisse vorgestellt. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ haben im letzten Monat exponierte Vertreterinnen und Vertreter der SPD, der CDU und von Bündnis 90/Die Grünen ihre kulturpolitischen Vorhaben skizziert. Den ersten Aufschlag haben Kanzlerkandidat Olaf Scholz und der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda gemacht. Den größten Teil ihres Beitrags widmen sie der Frage, welchen Beitrag der Kulturbereich für die Gesellschaft im Sinne einer „great debate“, eines grundsätzlichen und tiefgreifenden Gespräches, leisten kann. Sie führen aus, dass die „intellektuelle und kreative Kraft der Kunst an den politischen Prozess“ herangetragen werden soll, um „den Schulterschluss zwischen Politik und Kultur, zwischen Macht und Geist“ im Wissen um die unterschiedlichen Rollen voranzubringen. Künstlerinnen und Künstlern wird ein kulturelles Bündnis angeboten. Hierfür soll direkt nach der Wahl ein bundesweites Kulturplenum zwischen Politik, Kunst und Zivilgesellschaft organisiert werden. Als konkrete Vorhaben werden weiter skizziert, dass Kommunen und Ländern geholfen werden soll, ihrer kulturpolitischen Verantwortung gerecht zu werden und dass es kein „neuerliches Kompetenzgerangel mit Ländern und Kommunen“ geben soll.

 

Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der im Zukunftsteam von Armin Laschet für Kreativwirtschaft zuständige Joe Chialo haben auf Scholz und Brosda geantwortet. Sie schlagen einen neuen Gesellschaftsvertrag für Kultur vor. Hierin soll die Freiheit der Kultur, der Wert der Kultur für das Gemeinwesen und die Wertschätzung für Kreative ausgedrückt werden. Die Art der Zusammenarbeit mit den Verbänden und Organisationen aus dem Kulturbereich, wie sie sehr erfolgreich im Rahmen von Neustart Kultur erfolgt, soll dabei als Vorbild dienen. Es wird unterstrichen, dass die Verbände nah dran an den Bedürfnissen der verschiedenen Kultursparten sind. Es soll das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert werden, die Verbesserung der sozialen Sicherung soll auf die Tagesordnung, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Kulturunternehmen sollen überprüft werden, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Kulturbereich gefördert werden.

Auf die Autorenteams Scholz/Brosda und Grütters/Chialo haben Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und der kulturpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen Erhard Grundl geantwortet. Sie gehen mit der Kulturpolitik der Großen Koalition ins Gericht und konstatieren, dass strukturelle Probleme unbearbeitet blieben. Als Gegenmodell wird von Roth und Grundl entworfen, dass gendergerechte Mindesthonorare und eine Quote für Geschlechtergerechtigkeit auf allen Entscheidungsebenen staatlicher Kultureinrichtungen eingeführt werden sollen und dass gesellschaftliche Veränderungen stärker reflektiert und die Kultureinrichtungen sich vermehrt den Gruppen, die bislang noch nicht zum Publikum zählen, öffnen müssen. Ferner sehen sie die Aufgabe des Bundes, Kommunen und Länder stärker bei der Kulturförderung zu unterstützen. Die Kulturförderung soll strukturell erneuert und das Zuwendungsrecht reformiert werden. Nach Auffassung von Roth und Grundl muss mehr in die internationale und europäische Vernetzung investiert und den Einschränkungen von Meinungs- und Kunstfreiheit im Ausland energischer entgegengetreten werden. Darüber hinaus sehen sie z. B. die Rolle der Kulturpolitik als Möglichmacherin, die sich in die „Klima-, Umwelt-, Wirtschafts-, Städtebau-, Außen- und vor allem Sozialpolitik“ einbringt und eine verlässliche Partnerin der Künstlerinnen und Künstler und der Kultureinrichtungen ist.

 

Zum Redaktionsschluss dieses Beitrags am Abend des Wahlsonntags ist noch alles offen. Weder kann abgesehen werden, wie eine künftige Koalition aussehen wird, noch ist bekannt, wer künftig die Verantwortung für die Kulturpolitik auf der Bundesebene tragen wird. Wir hoffen sehr, dass die Koalitionsverhandlungen nicht wie nach der letzten Bundestagswahl Monate dauern, denn viele Aufgaben müssen angepackt werden. Wir haben keine Zeit zu warten, der Kulturbereich braucht schnell eine funktionierende Regierung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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