Der Kulturbereich braucht schnell eine funktionierende Regierung: Sehr, sehr viel zu tun

Nein, die Bewältigung der Coronapandemie war nicht alles, was in der auslaufenden Wahlperiode auf der Bundesebene in der Kulturpolitik für das Inland geschehen ist. Kulturstaatsministerin Monika Grütters, aber auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages können auf eine ereignis- und arbeitsreiche 19. Wahlperiode zurückblicken. Auf einige ausgewählte Themen soll im Folgenden eingegangen werden.

 

Erinnern wir uns zurück: Im September 2017 wurde der 19. Deutsche Bundestag gewählt. Im März 2018 schlossen CDU, CSU und SPD ihre Koalitionsvereinbarung. Vorherige Bemühungen von CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, eine sogenannte Jamaika-Koalition zu bilden, scheiterten an der FDP. Der Satz des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner – „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ – blieb an ihm hängen und wird sicherlich bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen für die neue Regierung eine Rolle spielen.

 

Was hatte sich die Bundesregierung kulturpolitisch vorgenommen: Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sollte verbessert werden, hierfür sollten die regelmäßigen Spitzengespräche der Kulturstaatsministerin mit den Kulturministerinnen und Kulturministern der Länder, ab 2019 den Vertreterinnen und Vertretern der Kulturministerkonferenz sowie den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände dienen.

 

Die soziale und wirtschaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler sollte erneut in den Blick genommen und hierzu ein Bericht vorgestellt werden. Mit der Erstellung dieses Berichts wurde der Deutsche Kulturrat beauftragt, der ihn mit der Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ im Sommer 2020 vorlegte. Dieser Bericht kam genau zum richtigen Zeitpunkt, hatte die Coronapandemie doch anschaulich gemacht, wie prekär die Lage vieler Soloselbständiger im Kulturbereich ist und wie sehr sie auf jeden einzelnen Auftrag angewiesen sind. Die Daten der genannten Studie belegten einmal mehr, dass diese prekäre Situation schon lange besteht. Die Coronapandemie hat vielen zuvor vom Deutschen Kulturrat und anderen Verbänden erhobenen Forderungen nach besserer sozialer Absicherung deutliche Schubkraft verliehen.

 

Dazu gehört, dass die öffentliche Hand mit der angemessenen Vergütung von Soloselbständigen aus dem Kulturbereich mit gutem Beispiel vorangehen muss. Es gilt, dass Modelle entwickelt werden, wie Selbständige besser in die Arbeitslosenversicherung einbezogen werden können bzw. wie die Arbeitslosenversicherung weiterentwickelt werden kann, damit sie für Selbständige passfähiger wird.

 

Wieder einmal hatte diese Bundesregierung sich vorgenommen, Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, und wieder einmal wurde nichts daraus. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (2009-2013), Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (2013-2017) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (2018-2021) sind mit diesem Großvorhaben gescheitert. Auf den letzten Metern der vergangenen Wahlperiode wurde, wie von uns gefordert, für Versicherte der Künstlersozialkasse eine Verbesserung erreicht, wenn sie neben der selbständigen künstlerischen Tätigkeit auch eine nichtkünstlerische Tätigkeit ausüben. Bis zum Jahr 2020 war es so, dass, wenn mit der nichtkünstlerischen Tätigkeit 5.400 Euro im Jahr verdient wurden, der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz über die Künstlersozialversicherung erlosch, auch wenn das Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit höher als das aus nichtkünstlerischer Tätigkeit war. Befristet auf das Jahr 2021, können nun bis 1.300 Euro im Monat aus nicht-künstlerischer selbständiger Tätigkeit verdient werden, ohne den Kranken- und Pflegeversicherungsschutz zu verlieren. Die nächste Bundesregierung steht vor der Aufgabe, hier eine dauerhafte Lösung zu etablieren.

 

Ein Dauerthema in der 19. Wahlperiode war die Reform des Urheberrechts. Zunächst auf der europäischen Ebene, wo 2019 mit der Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie die Weichen gestellt wurden. Dann stand die Umsetzung auf der nationalen Ebene an. Es galt, ein großes Gesetzesvorhaben ins Werk zu setzen, mit dem auf die Veränderungen in der Kunstproduktion, aber vor allem der Verbreitung und Nutzung von Kunst und Kultur reagiert wurde. Die Federführung lag beim Bundesjustizministerium, das sich in der Zivilgesellschaft unter anderem dadurch Freunde machte, dass vorzugsweise während der Sommerferien und mit kurzen Fristen zu den Vorhaben Stellung genommen werden konnte. In der 20. Wahlperiode steht zwar keine „Großreform“ an, das Thema wird aber nicht an Relevanz verlieren.

Eine große Reform, geradezu einen Umbruch, wollte der Wissenschaftsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verordnen. Er evaluierte im Auftrag der Kulturstaatsministerin die Stiftung, die in den letzten Jahrzehnten gewachsen, mit neuen Aufgaben betraut, aber nicht grundlegend neu strukturiert worden war. Für Aufsehen sorgten die Vorschläge nach der Herauslösung der Staatlichen Museen zu Berlin aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, auch war die Beteiligung der Länder infrage gestellt worden. Der Deutsche Kulturrat hat sich zur Reform deutlich positioniert. Nach dem Paukenschlag wurde in der Stiftung eine Reformkommission unter Beteiligung von vier Ländern  – Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – eingesetzt. Der Stiftungsverbund bleibt bestehen, strukturelle Änderungen sollen aber für mehr Verantwortung der einzelnen Einheiten sorgen.

 

Der Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten schlug im Zusammenhang mit der nahenden Eröffnung des Humboldt Forums ab 2019 große Wellen. Klar ist, es ist ein Thema, das nicht allein den Bund betrifft. Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten befindet sich in vielen Museen der Länder, sicherlich auch in einigen Stadtmuseen und kirchlichen Einrichtungen. Der Deutsche Museumsbund hat mit seinem internen Diskussionsprozess, aus dem drei Leitfäden zum Umgang mit diesem Sammlungsgut entstanden sind, Maßstäbe für den innerverbandlichen Diskurs zu einem komplexen Thema gesetzt. Das Thema wird weiter virulent bleiben, zumal es sehr schön vor Augen führt, wie eng Kulturpolitik im In- und im Ausland verbunden ist. Der Deutsche Kulturrat hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
Vorheriger ArtikelVorbild: Nachhaltigkeit braucht kulturellen Wandel
Nächster ArtikelAbschied von unserer Leiterinnerung