Niedersachsen: Kultur für Flächenland und Detail

Niedersachsen und seine Kulturpolitik für die nächsten Jahre

Tatsächlich ist diese Umorientierung, die in der Kulturpolitik stattfinden muss, eine besondere Herausforderung für Niedersachsen, wobei hier nicht nur der soziale und demographische Wandel greift. „Das hat auch was mit neuen Geschmäckern zu tun“, sagt Hillmer und nennt als Beispiel die zahlreichen kleineren Museen Niedersachsens, die gegenwärtig ehrenamtlich betrieben werden. „Das wird schwierig, wie diese Museen in Zukunft alle erhalten bleiben sollen. Gleichzeitig entsteht ja auch Neues.“
Vor allem der Osten Niedersachsens leidet etwa in der Region Harz unter Abwanderung. Umgekehrt gibt es Regionen, die wirtschaftlich stärker prosperieren wie im Westen des Landes. Zudem ziehen immer mehr Menschen in die Städte. „Da spielt Kultur als ‚Infrastruktur des Glücks‘ für die Lebensqualität eine entscheidende Rolle“, sagt Volker Bajus. Will die Kulturpolitik also die Leute in den ländlichen Regionen halten, muss sie dafür sorgen, dass dort weiterhin wenigstens ein minimales Angebot anzutreffen ist. Dem stimmt auch Jörg Hillmer zu, kritisiert aber die weiterhin offene Frage der Finanzierung, womit man wieder bei der ungleichen Geldverteilung von 90 zu 10 angelangt wäre. Den Großen etwas wegnehmen, das will auch Niedersachsens CDU nicht. „Man sollte aber folgendes im Auge behalten“, so Hillmer: „Im Moment sind die Haushalte gut gefüllt, die Steuereinnahmen sind hoch. Wie aber kann die Kulturpolitik in Zukunft reagieren, wenn die Einnahmen eines Tages wieder zurückgehen?“ Hillmer sieht die kulturpolitische Flexibilität in Gefahr. „Die rot-grüne Landesregierung hat unlängst längerfristige Vereinbarungen, Verpflichtungen und Verträge mit den Staatstheatern gemacht. Damit sind 90 Prozent in Beton gegossen. Wenn man irgendwann kürzen muss, bleibt nur noch die freie Spitze von 10 Prozent übrig, die dann immer noch kleiner wird! In der freien Kulturförderung wird es damit eng werden.“

 

Wenn die Landesregierung solche Verträge abschließt, müssen die Vereinbarungen nicht unbedingt vorab den Landtag passieren. Es sei denn, dass mit solchen Verträgen Verpflichtungsermächtigungen für spätere Haushaltsjahre einhergehen, was bei den Staatstheatern in Niedersachsen der Fall war. Die Vereinbarungen wurden parlamentarisch mehrheitlich bestätigt und wurden vordergründig – verständlicherweise – als kulturpolitischer Erfolg gefeiert. „Für diejenigen, die dabei längerfristige Planungssicherheit bekommen, ist das natürlich schön“, sagt Jörg Hillmer. „Aber ich glaube nicht, dass man im Ministerium so naiv ist, zu glauben, dass die Steuereinnahmen immer weiter wachsen werden.“ Die Sorge vor der relativ schlechten Flexibilität lässt sich auf das Ministerium für Wissenschaft und Kultur insgesamt übertragen, denn die – mit 2,5 Milliarden Euro wesentlich höheren – Etats für die Wissenschaft sind ebenfalls vertraglich gebunden und damit extrem starr den Universitäten, Hochschulen, kurzum: den Institutionen zugewiesen. Wenn also in etwaigen schlechten Jahren das Ministerium streichen muss, wird beim Kulturetat (rund 500 Millionen Euro) die freie Kulturförderung besonders ins Visier geraten. „Hier lässt sich mit relativ wenig Geld viel erreichen“, sagt Hillmer. Innerhalb von erdachten, pessimistischen Zukunftsszenarien weiß man nun aber gar nicht, ob das gut oder schlecht für die freie Szene sein wird… Wenn sie mit wenig auskommt, tut es nicht weh und man darf kürzen?

 

Missverständnisse bzw. unterschiedliche Auffassungen gab es über das in der Vergangenheit angestoßene „Kulturentwicklungskonzept Niedersachsen“. Dabei ging es vereinfacht gesagt um eine neue, aktive Kulturpolitik, die sich dem Diskurs aller Beteiligten stellt, die den Dialog sucht mit Kulturszene, Kulturschaffenden und anderen Akteuren. Tatsächlich lief da in den letzten Jahren bereits eine Menge. So genannte regionale Kulturforen wurden abgehalten, es fanden Konsultationen mit mehr als 150 Multiplikatoren aus dem Kulturbereich statt. Ergebnisse und Anregungen daraus sollten unter anderem in die Zielvereinbarungen mit Landschaftsverbänden und Kulturfachverbänden eingehen. Beim Kulturentwicklungsprozess ging es auch um eine wesentliche Bestandsaufnahme, inwieweit kulturelle Teilhabe – um ein Beispielspiel zu nennen – bei Kindern aus bildungsfernen Schichten ermöglicht und gefördert werden kann. Heute würde sich hier insbesondere die Frage nach der Teilhabe für Geflüchtete stellen und eine Bestandsaufnahme, wie Kultur die Integration ermöglichen und fördern kann. „Wir sehen das Kulturentwicklungskonzept als einen Prozess, in dem man zusammenkommt und gemeinsam neue Perspektiven entwickelt“, sagt Volker Bajus: „Es soll kein fest gefahrener Plan sein, der dann umzusetzen ist.“

 

Das hatte man bei der CDU-Fraktion anders verstanden. Um den zukünftigen kulturpolitischen Herausforderungen Niedersachsens klarer ins Auge sehen zu können, hätte sie sich schon gern eine Art Abschlussbericht gewünscht. „Das haben wir 2015 in einer Anfrage angemahnt“, sagt Jörg Hillmer: „Die Ministerin hatte darauf geantwortet, dass der laufende Prozess das Kulturentwicklungskonzept sei. Wir hatten nachgehakt, wann es eine Vorlage gebe, da hieß es, das werde nicht passieren…“ Was für ein Missverständnis! Das Kulturentwicklungskonzept nimmt für sich in Anspruch, „beteiligungsorientiert“ zu sein. Dabei hat es die Kulturpolitik im Landtag bzw. die Opposition gegenwärtig irgendwie nicht voll integriert!?

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/16.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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