Hamburg: Die Tücken des Leuchtturms

Kultur und Kulturpolitik in Hamburg – auch jenseits der Elbphilharmonie

Hamburg

  • Gründung: seit 1949 reguläres Bundesland
  • Einwohner: ca. 1,8 Mio.
  • Fläche: 755,22 km²
  • Bevölkerungsdichte: ca. 2.355 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Olaf Scholz (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD und Bündnis 90/Die Grünen
  • Nächste Wahl: Jahrensanfang 2020
  • Senatorin für Kultur: Barbara Kisseler (parteilos)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  263,4 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 153,31 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: Nicht erhebbar

Kurze Frage: Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal was von der Hamburger Staatsoper gehört? Ja, das dachte ich mir. Schade, eigentlich, denn da zeigen große Künstler echte Spitzenleistungen: Eben erst hat Christof Loy eine umjubelte „Daphne“ inszeniert und Kent Nagano die legendäre 1973er-Everding-Inszenierung der „Elektra“ dirigiert. Die Balletttage Anfang Juli waren wieder weitgehend ausverkauft; die Compagnie von Kyoto-Preisträger John Neumeier zählt zu den besten der Welt.

 

Trotzdem ist die Staatsoper nicht nur außerhalb Hamburgs eher selten ein Thema, auch in kulturaffinen Kreisen. An der Qualität des Hauses liegt das nicht, obwohl die zehnjährige Intendanz von Simone Young bis 2015 keine durchweg strahlende Erfolgsgeschichte war. Und obwohl das Weltklasse-Duo Kent Nagano/Georges Delnon auf dem dicksten Operntanker des Nordens seit dem vergangenen Jahr noch mal richtig klar Schiff macht, wird auch der Kurs dieser beiden erfahrenen Steuermänner künstlerisch wie organisatorisch zunehmend von einem Ereignis bestimmt, das einfach ALLE auf dem Radar haben, die in Hamburgs kulturellen Gewässern kreuzen: Die Eröffnung der Elbphilharmonie! Am 31. Oktober soll die offizielle Abnahme des Gebäudes sein, nach insgesamt zehn Jahren Bauzeit. Für den 11. Januar 2017 ist dann endlich die Eröffnung des Hauses geplant.

 

Der weithin sichtbare, solitäre Bau auf einer Kaizungenspitze in der HafenCity ist zur Abwechslung tatsächlich mal ein kultureller „Leuchtturm“. Schon ob seiner schieren Größe – in materieller, physischer und symbolischer Hinsicht – überstrahlt das 110 Meter hohe Gebäude alles andere in der Stadt weit und breit. Es wird am Ende weit über 800 Millionen Euro gekostet haben; 789 Millionen davon trägt die einigermaßen klamme Kasse der Freien und Hansestadt Hamburg. Das ist mehr als das Zehnfache der 77 Millionen Euro, die Hamburgs Bürgerschaft 2005 ursprünglich bewilligt hatte. Und die große Frage lautet nicht erst jetzt: Lohnt sich das – kann es sich überhaupt lohnen?

 

Bei dieser Frage geht es im Kern darum, ob und wie kulturpolitische Entscheidungen auch über den Rahmen hinaus wirken können, indem sie üblicherweise von Bedeutung sind. Vor der Errichtung von Bauten mit kultureller oder sogar im engeren Sinne künstlerischer Nutzung, stellen Stadt- oder Landesregierungen in der Regel eine Form von Kosten-Nutzen-Betrachtung an, die im wahren Sinne des Wortes das Unkalkulierbare zu berechnen versucht: (Wie) Sind die hohen Ausgaben zu Lasten der Allgemeinheit für eine Einrichtung zu rechtfertigen, wenn diese vorhersehbar nur von einer Minderheit der Stadtgesellschaft genutzt werden? Zumal diese Minderheit zahlenmäßig nicht nur wirklich auffällig klein ist, sondern gleichzeitig ebenso sichtbar in Teilen derart begütert, dass die Frage nach der Notwendigkeit einem regelrecht ins Gesicht springt.

 

In diesem Spannungsfeld kollidieren kulturpolitische Konzepte und Strate­gien ganz direkt mit Gerechtigkeitsfragen der Stadtgesellschaft. In Hamburg war das in den vergangenen Jahren sogar mehrfach Thema: Bei der lange Zeit im Raum stehenden kommerziellen Umnutzung des ewig besetzten alternativen Kulturzentrums „Rote Flora“ im Schanzenviertel zum Beispiel. Es endete mit einem Rückkauf des Gebäudes durch die Stadt. Oder rund um den 2009 ebenfalls wieder rückgängig gemachten Verkauf und die nun begonnene Sanierung des Gängeviertels – übrigens in direkter Nähe zur Staatsoper. Auch um den mittlerweile vollzogenen Abriss der „Esso“-Häuser im Eingangsbereich Sankt Paulis gab es heftige Debatten, so wie ganz aktuell wieder um das Hochhausensemble City-Höfe aus den 1950er Jahren, das unmittelbar südlich des Hauptbahnhofes liegt.

 

Diese prominenten Orte der Hansestadt werden zumindest von einem Teil der Bevölkerung als städtische Kulturräume mit starkem Identifikationspotential empfunden. Deswegen berührt der Umgang mit ihnen immer auch kulturpolitische Aspekte; umso mehr, wenn es sich um Institutionen der alternativen oder Gegen-Kultur handelt. Doch weder sie noch die an ihrer Stelle errichteten Gebäude sind über die Stadtgrenzen hinaus bekannte optische Images oder gar echte Logos; wie die meisten Theater, Museen oder Bibliotheken andernorts haben sie eine lokale Funktion und sind im besten Falle für die unmittelbare Nachbarschaft oder den jeweiligen Kiez prägend. Die Stadtentwicklung als Ganzes bestimmen sie selten, und schon gar nicht werden sie außerhalb Hamburgs von jederfrau oder -mann auf den ersten Blick mit der Stadt identifiziert oder gar als eine Art optisches Synonym verstanden. Das ist auch nicht nötig, muss aber für die langfristige Stadtentwicklung bedacht werden.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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