Vermittlung von historischer, politischer und kultureller Bildung?

Deutsches Hygiene-Museum

Glänzende Besucherzahlen in den deutschen Museen – können wir uns als Museumsleute also zufrieden zurücklehnen? Nicht aus unserer Sicht. Internationale politische Instabilitäten, globale ökologische und ökonomische Herausforderungen und die erstarkenden populistischen Bewegungen in der Mitte Europas sind keine abstrakten Bedrohungen, sondern reale Gefährdungen auch für die Freiheit der Kultur. Die aggressive Rückbesinnung auf das Eigene und Nationale, die zynische Umwertung von Werten, das Erodieren von Sprachkultur und Umgangsformen – warum sollten diese Tendenzen ausgerechnet vor den Türen der Kulturinstitutionen haltmachen? Auch die Museen müssen sich diesen politischen und kulturellen Herausforderungen stellen, wenn sie weiter eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen wollen – und sie müssen ihre Stärken als Bildungseinrichtungen selbstbewusst nutzen.

 

Wenn ich unserem Haus ein Etikett anheften müsste, dann vielleicht das eines „Themen-Museums“ in Abgrenzung zum klassischen Sammlungsmuseum. Aufgrund unseres überschaubaren Sammlungsbestandes stehen bei uns nicht wertvolle Exponate im Vordergrund, sondern die Themen der Ausstellungen selbst. In einem ungewöhnlich breiten Spektrum können wir so die unterschiedlichsten Inhalte aufgreifen und immer wieder andere Zielgruppen ansprechen. Bei der Themenwahl haben wir folgende Leitlinien: Der Mensch steht im Mittelpunkt, der Zugang muss multidisziplinär sein und der Fokus soll – auch bei historisch argumentierenden Ausstellungen – immer in der Gegenwart liegen. Und noch etwas: Unsere Themen müssen „relevant“ sein, ein zugegeben schwer objektivierbares Kriterium, über das jedenfalls eher außerhalb als innerhalb des Museums entschieden wird.

 

Gerade wenn es um Fragen unserer Gegenwart geht, lassen sich kulturelle, historische und politische Bildung nicht voneinander trennen. Unsere aktuelle Sonderausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“ ist ein Beispiel für diese Einschätzung. Sie rekonstruiert den verhängnisvollen Begriff der „Rasse“ aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der menschlichen Vielfalt im 18. und 19. Jahrhundert, überblendet diesen historischen Hintergrund aber immer wieder mit aktuellen Kunstwerken, mit eindringlichen Interviews zum Alltagsrassismus oder mit Interventionen politischer Aktivistinnen und Aktivisten. Nach einem Exkurs zur Rolle des Deutschen Hygiene-Museums als Propagandaeinrichtung der nationalsozialistischen Rassenhygiene und einem Kapitel zum Kolonialrassismus endet die Ausstellung in einem Raum, der ausschließlich mit Videofilmen bespielt wird, die eigens für die Ausstellung produziert wurden. Historisches Wissen und die Sensibilisierung für ein zentrales politisches Problemfeld unserer postmigrantischen Gesellschaft gehen in diesem Projekt Hand in Hand.

 

In unserem Museum setzen wir auf das Prinzip des Kuratorischen. Ausstellungen müssen sich positionieren, sie tragen eine Handschrift, sie sind Verbindungen von Wissenschaft und Kunst. Dieses Prinzip hat auch eine handwerkliche Seite: Partizipation, Austausch und Diskussion verhindern, dass kuratorische Entscheidungen willkürlich getroffen werden. Die Form einer Ausstellung folgt nicht ihrer Funktion, sondern ist mit ihr schon im Entstehen aufs Engste verschränkt. So trägt jede unserer Ausstellungen ein ganz individuelles Gesicht, überrascht unsere Besucher und fordert sie stets neu heraus.

 

Im „Museum vom Menschen“ spielt die personale Vermittlung nach wie vor eine zentrale Rolle. Gelingt sie, handelt es sich nicht um die Erläuterung von schönen Objekten, sondern um eine Einladung zur Kommunikation. Ausstellungen sind nämlich nicht per se ein diskursives Medium, aber sie bieten Anlässe für Gespräche und Diskussionen, mit denen die Teilhabe an den Diskursen zu relevanten Fragestellungen unserer Gesellschaft befördert wird. Aber Vorsicht: Museen sollten sich weder durch alleraktuellste Themensetzung noch durch den heftigen Einsatz neuester Medien hervortun, da ist das Internet am Ende immer schneller – und besser.

 

Klaus Vogel ist Direktor des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden.

 

Die Texte sind zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2018.

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