Vermittlung von historischer, politischer und kultureller Bildung?

Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Zwangsmigrationen – Flucht vor bewaffneten Konflikten oder politischer Verfolgung, Vertreibungen, Deportationen, Verschleppungen – besonders von ethnischen und religiösen Minderheiten sind eine bittere Realität dieser Welt und werden es bleiben. Für das erste Ausstellungs- und Dokumentationszentrum in Deutschland und wohl auch in Europa, das diesem Thema gewidmet ist, errichtet die Bundesrepublik Deutschland am Askanischen Platz in Berlin ein neues Gebäude. Eine Dauerausstellung, Sonderausstellungen, ein öffentlicher Lesesaal, Veranstaltungen und ein »Raum der Stille« zur persönlichen Reflexion bilden zukünftig ein neues Forum für historisches Lernen. Kulturelle Bildung bedeutet für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung vor allem historisch-politische Bildung, die durchaus mit künstlerischen Vermittlungsformen einhergehen kann und sollte. Hauptaufgabe ist es, Zwangsmigrationen als ein bisher einem breiten Publikum nur wenig bekanntes Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts in die Öffentlichkeit zu tragen. Insbesondere die politische Ordnungsvorstellung von ethnisch homogenen Nationalstaaten, die Weltkriege und die Dekolonialisierung nach 1945 machten viele Millionen Menschen gegen ihren Willen heimatlos. Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges, als bis zu 14 Millionen Menschen die verlorenen Ostgebiete des Deutschen Reichs und ihre Siedlungsgebiete in Ostmittel- und Südosteuropa verlassen mussten, stellt einen Schwerpunkt der Bildungsarbeit dar. Vor allem die Dauerausstellung, welche diese Geschichte auf ihre Ursachen zurückführt und gleichzeitig in einen europäischen und globalen Kontext einordnet, bietet dafür ein tragfähiges Fundament. Im ersten Teil werden Themen wie Krieg und Gewalt, Nationalstaaten und Minderheiten, Recht und Verantwortung, Verlust und Neuanfang sowie Erinnerung und Kontroverse verhandelt – vor allem in historischer Perspektive, aber durch Fallbeispiele bewusst auch in den Resonanzraum der Gegenwart gestellt. Im zweiten Teil geht es um Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen im Kontext des Zweiten Weltkrieges als Instrumente der ethnischen Neuordnung Europas – eine chronologische Darstellung, die 1933 mit der Vertreibung der Juden beziehungsweise 1938 mit der Expansion des NS-Staates einsetzt. Der dritte Teil zeigt, dass die Aufnahme und Integration von Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen im Nachkriegsdeutschland gelang, führt aber zugleich die damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte vor Augen, die teilweise bis heute nachwirken. Kulturelle Bildung ist für die Stiftung eine Haltungsfrage.

 

Erstens: Flucht und Vertreibung der Deutschen durch die Siegermächte ist ohne den von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg und insbesondere den NS-Rasse- und Vernichtungskrieg und die Besatzungspolitik im Osten nicht zu verstehen. Zweitens: Zwangsmigrationen und Genozid sind kategorial zu unterscheiden, weisen jedoch Berührungspunkte auf. Drittens: Die leidvollen Verlusterfahrungen der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen ebenso wie der Vertriebenen und Flüchtlinge heute verdienen unser Mitgefühl. Momentan organisiert die Stiftung Workshops, um unterschiedliche Zielgruppen in die Konzeption des Bildungsprogramms einzubinden. Besonders die Beschäftigung mit Exponaten von universeller Symbolkraft gibt Betroffenen Anlass, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

 

Flüchtlinge mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund zeigen dabei lebhaftes Interesse an der Geschichte der Deutschen – kostbares Potenzial für eine wechselseitige Annäherung. Das neue Haus der Stiftung soll ein offener Ort sein, besonders auch für Jugendliche. Ihre Fragen zu einem gesellschaftlich brisanten Thema, ihre Lebenswelt und die ausgeprägte Affinität für das Digitale bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für maßgeschneiderte Bildungsangebote. Gerade das oftmals umstrittene Thema Zwangsmigrationen verlangt Reflexionsvermögen, die Bereitschaft, andere Standpunkte zu respektieren und die Fähigkeit zur Empathie – zivile Tugenden, die wir dringender brauchen denn je. Besucherinnen und Besucher unabhängig vom Alter und von der kulturellen Herkunft darin zu unterstützen, ist ein wesentliches Anliegen der zukünftigen Bildungsarbeit.

 

Gundula Bavendamm ist Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.

 

Militärhistorisches Museum

Nach zehnjähriger Neukonzeption eröffnete im Oktober 2011 das Militärhistorische Museum (MHM)der Bundeswehr in Dresden seine neue Dauerausstellung. Bei der Überarbeitung der bis dato existierenden Sammlung löste man sich vom klassischen Muster eines Militärmuseums und stellt von nun an Militärgeschichte in seiner facettenreichen Bandbreite bis zur heutigen Zeit mit zahlreichen Verästelungen in die politik-, sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtliche Forschung dar. Die Attraktivität des Museums basiert auf mehreren Säulen und ermöglicht auf eine ganz besondere Art den Besuchern den Zugang zur historischen, politischen sowie kulturellen Bildung.

 

Das Haus bietet mit dem spektakulären Neubau von Daniel Libeskind ein in Dresden einmaliges Architekturerlebnis. Gleichsam als Bildnis für die vielen Brüche in der deutschen Geschichte wurde der keilförmige Neubau durch das sächsische Arsenalgebäude aus dem späten 19. Jahrhundert getrieben. Im Innern setzen schräge Wände und hohe Schächte das Bild fort und zeugen von zahlreichen Verwerfungen, die die Vergangenheit hervorgerufen hat. Kein rechter Winkel gibt das Maß vor. Einschnitte und neue Sichtachsen laden den Museumsbesucher zur Veränderung seines Standorts, zum Perspektivwechsel mit neuen Erkenntnissen ein. Themen, die man eher weniger mit Militär in Verbindung bringt, wie z. B. Sprache, Mode und Tiere, werden hier in den Mittelpunkt der Ausstellung gerückt. Mithilfe vertikaler Durchbrüche ist es dem Museum gelungen, geschossübergreifende Räume von bis zu 28 Metern Höhe zu schaffen, in denen Großexponate wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Des Weiteren können Verbindungen zwischen Militär und Gesellschaft sowie zwischen Politik und Gesellschaft aufgegriffen werden. Im Erdgeschoss des Keils befindet sich eine 14 Meter hohe „V2 Rakete“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Spitze dieser ragt in den Ausstellungsbereich »Krieg und Spiel« im Zweiten Obergeschoss, wo sich eine Puppenstube eines kleinen Mädchens aus London befindet. Das Kind veränderte das klassische Spielzeug, in dem es Gasbettchen für seine Puppenkinder aufstellte, die Fenster verdunkelte und einen Schutzraum, einen sogenannten Anderson-Shelter, im Vorgarten aufbaute. Das Spielzeug wurde kriegstauglich gemacht und spätestens hier wird erkennbar, dass aus Spiel Ernst geworden ist und der reale Krieg selbst im Kinderzimmer wahrgenommen wurde.

Zurzeit geht man mit der Sonderschau „Gewalt und Geschlecht. Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden“ der Frage nach, ob Gewalttätigkeit und Gewaltfähigkeit eine Frage des Geschlechts darstellt. Mithilfe von Abendveranstaltungen unter dem Leitspruch „Forum Museum“ schafft das Haus eine Plattform für öffentliche Diskussionen zu aktuellen politischen Themen oder es wird der gegenwärtige Bezug zu historischen Ereignissen sowie Fakten aufgegriffen und debattiert. Die Besucher und Besucherinnen haben bei freiem Eintritt die Möglichkeit, hochkarätige Gäste zu erleben und mit diesen in Diskussion zu treten.

 

Da es sich bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee handelt, werden die Abstimmungskarten von Angela Merkel und Gerhard Schröder als Beispiel für die Entscheidungsverfahren im Bundestag ausgestellt. Die Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan wurde vom Deutschen Bundestag in zwei Abstimmungen im November und Dezember 2001 nach Antrag des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder durchgeführt. Daneben ist ein bei einem Anschlag in Kunduz angesprengtes Kraftfahrzeug vom Typ »Wolf« aus dem Jahr 2004 ausgestellt. Das MHM setzt sich durch die Abbildung der aktuellen Einsätze der Bundeswehr somit auch mit der gegenwärtigen Geschichte des (deutschen) Militärs auseinander. Unter anderem wird der vor Kurzem um 13 weitere Monate verlängerte Einsatz in Mali thematisch aufgegriffen.

Museen haben den Anspruch, Geschichte erfahrbar und damit auch leichter verständlich zu machen. Häufig beschränken sie sich dabei auf optische und auditive Mittel. In der Dauerausstellung wurden mithilfe von 25 Stationen spezielle Lernstationen geschaffen, die zur Interaktion einladen. So beschäftigt sich eine dieser Stationen mit dem Schuhwerk von Soldaten der Napoleonischen Kriege und vermittelt so einen Einblick in ihren Alltag. Auf einer Europakarte können die Besucher deren Marschstrecke über mehrere Tausend Kilometer nachvollziehen. Diese körperlichen Strapazen mussten die damaligen Soldaten in Schuhen bestehen, die nicht an die Fußform angepasst waren. Aus Kostengründen waren rechter und linker Schuh gleich geformt, was zahlreiche Fußleiden bewirkte. Die Exponate sowohl in den Vitrinen als auch in den pädagogischen Stationen stehen in einem historischen, kulturellen und politischen Kontext, welcher den Besuchern vermittelt wird. Zu allen Sonderausstellungen sowie zur Dauerausstellung gibt es Vermittlungsangebote speziell für Schulen und Familien. Darüber hinaus werden an ausgewählten Terminen besondere Programmangebote im Rahmen der Schulferien, am Internationalen Museumstag oder auch in der Dresdner Museumsnacht angeboten.

 

Die Museumspädagogik innerhalb des Bereichs Ausbildung bietet darüber hinaus zahlreiche Führungen für unterschiedliche Altersstufen und Schultypen zu verschiedensten Schwerpunkten an. Das MHM als Dienststelle der Bundeswehr ist aber nicht nur für die Öffentlichkeit da. Im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen »Historisch-politischen Bildung« für Soldatinnen und Soldaten leistet das Museum einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung dieser Aufgaben für viele Dienststellen der Bundeswehr. Zusätzlich ist das Museum elementarer Bestandteil in der Ausbildung von Feldwebel- und Offizieranwärtern in der Vorbereitung auf ihre spätere Führungsaufgabe.

Die Bundeswehr selbst unterhält aber nicht nur das MHM in Dresden und dessen auf die Geschichte der militärischen Luftfahrt in Deutschland konzentrierte Außenstelle in Berlin-Gatow. In mehr als 90 Standorten in Deutschland werden mehr oder weniger umfangreiche Lehrsammlungen, militärgeschichtliche Sammlungen und regionale Ausstellungen für die »Historisch-politische Bildung« der Angehörigen der Streitkräfte sowie für die Öffentlichkeit betrieben. Das MHM betreut und berät diese Ausstellungen und Sammlungen, und bildet das Personal dieser Einrichtungen weiter. Mit einer museumsfachlichen Jahrestagung bietet das MHM auch eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zwischen den Ausstellungen und Sammlungen der Bundeswehr.

 

Cindy Düring ist Lehroffizier Streitkräfte im Bereich Ausbildung im Militärhistorischen Museum der Bundewehr.

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