Demokratie braucht Demokraten

Volkshochschulen als demokratische Orte des Lernens

Wenn über das Scheitern der Weimarer Republik gesprochen wird, dann hat eine Begründung hierfür eine gewisse Berühmtheit erlangt: Weimar sei nicht an seiner Verfassung gescheitert, sondern am Mangel an Demokraten. Ähnliches drückt der weltberühmte Satz von John F. Kennedy aus: „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann; frage, was Du für Dein Land tun kannst.“ Und auf einem Festakt der Bürgerbewegung „Pulse of Europe“ in der Frankfurter Paulskirche vor wenigen Wochen sagte Hansjörg Schmitt, einer der Mitbegründer dieser so wertvollen Bewegung: „Demokratien scheitern nicht an ihren Rändern; sie scheitern an der Gleichgültigkeit der Demokraten.“ Ja, Demokratie braucht Demokraten; Demokratie braucht Engagement; Demokratie braucht täglichen Einsatz. Wir haben uns in der westlichen Welt vielleicht zu sehr daran gewöhnt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein Leben in Freiheit gewährleisten. Aber allzu oft wird dabei vergessen: Es reicht nicht aus, wenn Demokratie in einer Verfassung niedergeschrieben ist. So lange eine demokratische Verfassung nicht mit Leben gefüllt wird – von den staatlichen Institutionen genauso wie von jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger –, ist diese Verfassung einfach nur beschriebenes Papier.

 

Das ist der Auftrag an Demokratinnen und Demokraten: unsere Verfassung, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung jeden Tag aufs Neue mit Leben füllen. Das ist der Auftrag, dem sich auch die Volkshochschulen in Deutschland verpflichtet haben – von Beginn an. Im kommenden Jahr feiern wir bundesweit den 100. Geburtstag der Volkshochschulen. Wir erinnern daran, dass die Förderung der Volks- und Erwachsenenbildung in der Weimarer Reichsverfassung verankert wurde. Die daraus resultierende Gründungswelle von Volkshochschulen ist Beleg ihrer engen Verknüpfung mit der Entstehung der Weimarer Republik und macht die Volkshochschulen zu Töchtern der ersten deutschen Demokratie. In den Volkshochschulen lebte von Beginn an die Erkenntnis: Demokratie braucht Demokraten. Und Demokraten fallen nicht vom Himmel. Dafür braucht es demokratische Orte des Lernens. Deshalb waren in der Weimarer Republik Veranstaltungen zur gesellschaftlich-politischen Bildung im Sinne der Demokratisierung in den Programmen der Volkshochschulen prominent vertreten.

 

Der Angriff des Nationalsozialismus auf die junge deutsche Demokratie machte auch vor den Volkshochschulen nicht halt. Sie wurden entweder geschlossen oder in „Volksbildungswerke“ umbenannt und gleichgeschaltet. Damit bewiesen die Nationalsozialisten, dass sie den Wert demokratischer Erziehung richtig einschätzten – eine solche Erziehung war eine Gefahr für die eigene menschenverachtende Ideologie.

 

Umso wichtiger war den Alliierten nach 1945 im Zuge der Re-Education bzw. Educational-Reconstruction der Wiederaufbau eines demokratischen Bildungssystems, in dem der Erwachsenenbildung eine wichtige Rolle beigemessen wurde. Bereits Ende 1945 wurden viele Volkshochschulen neu gegründet oder wiedereröffnet. Neben sehr pragmatischen, berufsfördernden Angeboten übernahmen sie auch die Aufgabe, politische Orientierung zu vermitteln. Getragen waren diese Initiativen von dem Willen, die Bürgerinnen und Bürger in demokratische Prozesse einzubeziehen und sie damit für den demokratischen Neuanfang zu gewinnen. So war das Motto, unter dem beispielsweise die Volkshochschule in Ulm im Jahr 1946 ihre Arbeit aufnahm, Programm – es lautete: „Einmischung erwünscht“. Darum ging es unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Und darum geht es auch heute noch.

 

Die Volkshochschulen stehen in einer langen Tradition, die demokratische Bildung, die die „Einmischung“ jedes Einzelnen, die das tägliche demokratische Ringen um gute Lösungen zum Leitbild einer Erwachsenenbildung erklärt, die dem Gemeinwohl dient und unsere freiheitliche Grundordnung mit Leben füllt. Vier Grundideen möchte ich skizzieren, die für die Arbeit der Volkshochschulen bis heute leitend sind:

 

Erstens: Volkshochschulen sind geeignete Orte, um in der Kommune Diskussions- und Dialogprozesse anzuregen und diese zu moderieren. Sie sind Orte der Begegnung direkt vor Ort: in unseren Städten, Landkreisen und Gemeinden. Demokratie lebt davon, dass Menschen miteinander im Austausch sind, dass sie auch bei unterschiedlichen Meinungen im Gespräch sind. Demokratie funktioniert nicht in einem Gegeneinander, auch nicht in einem Nebeneinander. Deshalb braucht es Orte, an denen Menschen mit ganz unterschiedlichen Auffassungen, Prägungen und Hintergründen zusammenkommen können. Die Volkshochschulen wollen solche Orte sein.

Hier soll es kontroverse Diskussionen geben, hier sollen gemeinsame Ideen entwickelt werden. Dabei geht es für die Volkshochschulen nicht darum, Partei zu ergreifen, sondern darum, Menschen zu befähigen, sich eine Meinung zu bilden, eigene Interessen zu formulieren und diese umzusetzen.

 

Zweitens: Volkshochschulen widmen sich selbstverständlich dem theoretischen Erkenntnisprozess. Aber genauso verstehen sich Volkshochschulen als Einrichtungen, die zum Handeln, zum Engagement und zum Einmischen motivieren. Volkshochschulen unterstützen und begleiten Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, und qualifizieren für ehrenamtliche Tätigkeiten; das alles nicht auf irgendeiner abstrakten Ebene, sondern ganz konkret vor Ort.

Annegret Kramp-Karrenbauer
Annegret Kramp-Karrenbauer ist Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes e.V.
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