„Unsere Sammlung ist gekennzeichnet durch eine absolut kompromisslose Zeitgenossenschaft“

Sie machen Teile Ihrer Sammlung immer wieder öffentlich, im Bunker in der Berliner Reinhardtstrasse. Es gibt auch Sammler die entziehen mit dem Kauf Kunstwerke dem öffentlichen Raum.

Natürlich merkten meine Frau und ich, dass, wenn wir etwas kaufen und unters Bett legen oder in ein Lager tun, es ein Entzug ist. Dafür haben die Künstler nicht die Leinwand bearbeitet. Für uns war mit 40 Jahren relativ klar, dass wir das teilen müssen.

Deswegen diese Mühe, Räume zu finden, um die Kunst, die wir wichtig finden, mit anderen zu teilen und zu erörtern. Wir begnügen uns nicht damit, die Sachen für uns allein wertzuschätzen, zu genießen.

Wir haben mittlerweile 36 Vermittler, die von uns geschult werden, um das, was wir als relevant betrachten, anderen Menschen zu erklären. Es ist eine fast zwangsbeglückerische Mission.

 

Verändern sich Sammlertypen? Gibt es, im Vergleich zur Situation vor 30 Jahren, zunehmend den Typus des Sammlers, der Kunst als Investition, als Aktie an der Wand oder als Repräsentationsobjekt betrachtet?

Ganz entschieden: ja. Als ich in den 1990er Jahren angefangen habe zu sammeln, galt ich viele, viele, viele Jahre als jüngster Sammler Deutschlands. Allein auf weiter Flur. War nur umgeben von fünf älteren Herren, die wie Connaisseure gesammelt haben. Sammeln war nicht der Volkssport, der es heute ist. Heute ist das Sammeln vielfach reiner Distinktionsgewinn. Sammler gehen mit Listen über die Kunstmessen. Da stehen Namen drauf: Rolex, Gucci, Patek Philippe, Cartier – nur eben übersetzt auf die „Künstlermarken“. Denen ist es völlig egal, was für ein Werk das ist, aber sie wollen eben einen Damian Hirst oder einen Neo Rauch, sie wollen diese Namen.

 

Wie verändert Corona die Kunstrezeption und auch Ihre Möglichkeiten als Sammler? Physische Begegnungen werden reduziert, gleichzeitig wächst über die digitale Kommunikation der Zugang zum Abbild. Was verändert das strukturell?

Wir sind noch mittendrin im Prozess. Fast täglich mache ich mir Gedanken: Wie reagiert die Kunstwelt, die bildende Kunst auf Corona? Machen die so weiter wie immer, jetzt ungestörter und mit mehr Zeit? Gibt es Denkmodelle von Künstlern, die unsere Gesellschaft weiterbringen? Entsteht so was wie die „Guernica“ von Picasso als Reaktion auf Corona in der Kunst? Das sind Dinge, die ich noch nicht beantworten kann.

Aber: Wir haben im Berliner Club Berghain eine große Corona-Ausstellung organisiert. 118 Künstler wurden eingeladen, Werke zu zeigen, an denen sie seit März 2018 arbeiten. Wir wollten auch prüfen: Gibt es Denkmodelle aus der bildenden Kunst, die uns in dieser Krise weiterhelfen?

Eins kann ich schon sagen: Es gibt ein neues Wir-Gefühl in der Kunst. Die konkurrierenden Mätzchen haben aufgehört. Wenn man noch vor einem Jahr eine Ausstellung gemacht hätte mit Rosemarie Trockel, Isa Genzken, Ólafur Elíasson, da hätten die gefragt: Wer ist noch in der Ausstellung? Wer ist der Kurator? Wie hoch ist das Budget? Wer macht das Licht, wer macht die Architektur? Gibt es einen Katalog? Wo wandert die Ausstellung danach hin? – um zu prüfen, ob es das wert ist.

Das wären alles Bedingungen. Corona schafft eins: Bedingungslosigkeit. Wir hörten von allen Künstlern nur eine Antwort, nämlich uneingeschränktes Ja.

 

Private Kunstsammlungen sind immer nur Privatbesitz auf Zeit. Die meisten Sammler stehen irgendwann vor der Frage: Was wird damit, wenn ich nicht mehr bin? Was halten Sie von Sammlern, die Ihre Sammlungen zwar in öffentliche Hände geben wollen – aber nur konditioniert, mit erheblichen Auflagen?

Das beobachten wir ganz genau. Sie sprechen von konditioniert, ich würde nochmals das Wort „Bedingung“ nennen. Wenn man vererbt oder schenkt mit Bedingungen, hat das in meinen Augen etwas sehr Hässliches. Eine Person, die wir wahnsinnig schätzen, ist Erika Hoffmann. Sie schenkt ihre Sammlung nach Dresden, verlangt a) keinen Neubau für die Sammlung, b) nicht den Namen eines Flügels des Gebäudes nach ihrem Namen, c) nicht, dass 50 Prozent immer ausgestellt werden. Sie sagt, wenn die Sachen im Keller landen, weil sie jetzt nicht passen, werden sie vielleicht in hundert Jahren wieder herausgeholt und dann werden sie passen. Das müssen die jeweiligen Direktoren entscheiden. Das ist ein bedingungsloses Weitergeben, was ich sehr schätze. Diese eitlen Verewigungsmodelle, dass die Sammlung zusammenbleibt, warum? Dass Gebäude wie große Mausoleen agieren ist hochgradig peinlich.

 

Ein Zitat von Christian Boros von 2013. Ihre Werbeagentur fungierte zunehmend als Kommunikationsberatung, auch für politische Akteure. In diesem Kontext sagten Sie: „Ich finde Politik allgemein sehr interessant. In zehn Jahren wäre ich selbst gern als Politiker tätig, allerdings parteilos. Der Posten des Kulturministers würde mich interessieren.“ Gilt der Satz noch? In drei Jahren wäre es soweit …

Er würde mich in der Tat immer noch sehr interessieren, wobei mir mittlerweile schmerzlich bewusst geworden ist, dass Politik ein großer Konsens ist. Ich habe Angst, dass ich zu ungeduldig, zu radikal bin und leiden würde, wenn von 100 Prozent meines Willens aufgrund von demokratischen Abstimmungs- und Pluralismusgedanken nur noch 30 Prozent übrigbleiben. Die schöne demokratische Idee führt dazu, dass Tätertypen in ihren Ideen Abstriche machen müssen. Ich fürchte fast, dass mich das frustrieren würde. Aber: Der Reiz ist da.

 

Brauchen wir ein Bundeskulturministerium?

Unbedingt. Wir können nicht die Deutung von Krisen den Virologen überlassen. Wir können nicht nur so wichtige Berufsstände wie Krankenpfleger und Ärzte als systemrelevant betrachten. Kunst ist nicht minder systemrelevant. Das Schaffen von Alternativen, das Entwickeln von neuen Denkmodellen ist für die Gesellschaft überlebensnotwendig. Ein Ministerium, das dafür kämpft, neben dem Gesundheitsministerium und Landwirtschaftsministerium und anderen wichtigen Institutionen, würde der Gesellschaft sehr guttun.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Christian Boros & Hans Jessen
Christian Boros ist Medienunternehmer und Kunstsammler sowie Geschäftsführer der Boros Foundation. Hans Jessen ist freier Publizist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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