Zwischen bürgerlicher Tradition und digitalem Wandel

Wie funktioniert der Kunstmarkt?

Der Kunsthandel in Deutschland ist tief in der bürgerlichen Tradition verwurzelt, das ist seine große Stärke und im internationalen Zusammenhang auch eine Schwäche. Seit in der deutschen Romantik etwa mit den Kölner Brüdern Boisserée Kunst als Teil der nationalen Identität begriffen wurde, gehört das Sammeln von Kunst zum bürgerlichen Selbstverständnis. Die Bestände vieler Museen gehen, anders als oft im europäischen Ausland, nicht auf feudale, sondern auf bürgerliche Sammlungen zurück. Die unvergleichliche Dichte an Kunstvereinen gewährleistet ebenso wie die bedeutenden Kunsthochschulen in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Leipzig oder München, dass die Kunstszene sich nicht auf die Hauptstadt konzentriert. Während New York, London, Paris, Los Angeles, Schanghai, Peking, Mailand oder Wien jeweils übermächtige Zentren den Rest des Landes zur Provinz machen, spiegelt sich die föderale Organisation Deutschlands in seiner Kunstszene. Das gilt auch für den Handel.

 

Dabei haben sich unterschiedliche Schwerpunkte in den Regionen entwickelt, mit jeweils eigenen Marktstrukturen.

 

Die Branche wird von zwei Geschäftsmodellen geprägt. Der klassische Kunsthandel kauft und verkauft Kunstgegenstände und Antiquitäten, also Objekte, die bereits einen Vorbesitzer hatten. Daher wird diese Sparte auch als Sekundärmarkt bezeichnet, zu dem auch Auktionshäuser gehören. Besonders stark ist hier der Süden mit dem Zentrum München. Zahlreiche Versteigerer haben hier ihren Sitz, unter anderem Ketterer, das sich in den letzten Jahren zum umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland entwickelt hat, aber auch Neumeister, Karl & Faber, Hampel als Generalisten oder spezialisierte Unternehmen wie Quittenbaum für Design machen Bayern zum umsatzstärksten Standort für Auktionen. Auch der klassische Antiquitätenhandel ist hier stark. Im Westen und Norden hingegen sind Klassische Moderne und Nachkriegskunst beliebter. Köln beheimatet mit dem 1848 gegründeten Kunsthaus Lempertz und Van Ham Kunstauktionen gleich zwei führende Unternehmen der Branche. Nachdem in Berlin der Kunsthandel mit dem Zweiten Weltkrieg praktisch zum Erliegen gekommen war, dauerte es bis 1986, dass mit Villa Grisebach wieder ein großer Mitbewerber die Bühne betrat – bezeichnenderweise eine Gründung westdeutscher Kunsthändler.

 

Dort, im Westen der BRD, wurde 1967 auch das Format gegründet, das sich zum bestimmenden Faktor in der Vermittlung zeitgenössischer Kunst entwickelt hat. Der Kölner Kunstmarkt, heute Art Cologne, wurde vom Verein progressiver deutscher Kunsthändler ins Leben gerufen. Einige der frühen Aussteller wie Hans Mayer, Karsten Greve oder Raimund Thomas sind heute noch wichtige Marktteilnehmer. Das Wort Galerist war damals noch nicht gebräuchlich. Es beschreibt Händler, die direkt mit Künstlern zusammenarbeiten und ihre atelierfrischen Werke erstmals an einen Käufer vermitteln und damit den sogenannten Primärmarkt bedienen. Sie organisieren Ausstellungen, produzieren Kataloge, stellen auf Messen aus und arbeiten mit Kuratoren in Museen, Kunsthallen und Kunstvereinen zusammen, die Karrieren der von ihnen vertretenen Künstler zu fördern.

Laut der Galerienstudie 2020, die das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) zusammen mit dem Bundesverband Deutscher Galerien (BVDG) erstellt hat, existieren in Deutschland rund 700 professionell arbeitende Galerien. Mit durchschnittlich vier bis sechs Ausstellungen im Jahr tragen Galerien in erheblichen Maße dazu bei, zeitgenössische Kunst für jeden zugänglich zu machen – und das bei freiem Eintritt.

 

Im internationalen Zusammenhang scheint Deutschland nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Lediglich rund 2 Prozent macht der deutsche Anteil am weltweiten Umsatz der Branche von rund 60 Milliarden US-Dollar aus, glaubt man den einschlägigen Studien, wie sie etwa Clare McAndrew mit dem jährlich erscheinenden „Art Basel and UBS Global Art Market Report“ erstellt. Laut der IFSE-Studie werden 42 Prozent aller Umsätze mit gerade einmal 2 Prozent aller Transaktionen erzielt. In diesem Bereich der Millionenpreise spielt Deutschland allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Die beiden Auktionsgiganten Christie‘s und Sotheby‘s und einige sogenannte Mega-Galerien aus dem angloamerikanischen Raum mit Filialen auf mehreren Kontinenten teilen dieses Segment weitgehend unter sich auf.

 

Man muss sich vor Augen führen, dass die größten Galerien Zwirner, Hauser & Wirth, Gagosian und Pace ungefähr so viel Umsatz machen wie alle deutschen Galerien zusammen. Und zwar jeweils! Die aktuellen und geplanten Bauprojekte New Yorker Galerien haben ungefähr das halbe Volumen des Jahresumsatzes aller deutschen Kollegen. Auf einer einzigen Abendauktion in New York wird mitunter so viel Umsatz gemacht wie von allen deutschen Auktionshäusern zusammen in einem Jahr.

Stefan Kobel
Stefan Kobel ist freier Kunstmarktjournalist. Mit Kobels Kunstwoche betreibt er eine jeden Montag online erscheinende kommentierte Presseschau zur Kunstmarktberichterstattung.
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