„Ein Kanon muss auch Kritik aushalten können“

Das Museum Brandhorst im Diversifizierungsprozess

Mit einem Ankaufsetat in Millionenhöhe kann das Museum Brandhorst seine Kunstsammlung jährlich um neue Highlights erweitern. Dabei werden die Ankäufe immer diverser. Dies führt auch dazu, dass bestehende Sammlungswerke anders wahrgenommen werden und sich durch die neue Nachbarschaft andere interessante Perspektiven ergeben. Achim Hochdörfer, der Direktor des Museums Brandhorst, gibt im Gespräch mit Theresa Brüheim Einblick in diesen Prozess und mehr.

 

Theresa Brüheim: Herr Hochdörfer, Sie sind Direktor des Museums Brandhorst. Was sind Ihre Aufgaben? Mit was befassen Sie sich aktuell?

Achim Hochdörfer: Als Museumsdirektor habe ich viele verschiedene Jobs. Ich bin gleichzeitig Manager, Controller, Motivator und Kurator. Diese Vielfalt an Aufgaben ist auch das Spannende daran. Das Museum Brandhorst ist ein Museum zeitgenössischer Kunst. Als Kuratorinnen und Kuratoren befassen wir uns mit künstlerischen Ausdrucksformen, die gerade erst im Entstehen sind.

Wir präsentieren die Werke so, dass sie unseren Besucherinnen und Besuchern eine Geschichte erzählen. Geschichten, die unsere Gesellschaft etwas angehen; Geschichten, die uns Einblicke geben in aktuelle Lebensformen, in die Utopien und Abgründe unserer kapitalistischen Gesellschaft. Aktuell bereiten wir eine Ausstellung mit der Bildhauerin Alexandra Bircken vor, deren Skulpturen und Installationen vielschichtigen Fragen zu Oberfläche, Körper, Bewegung, Hülle und Haut nachgehen.

Immer bewusster wird uns die Bedeutung der Vermittlung unserer musealen Inhalte. Wir wollen unser Publikum besser kennenlernen und in Dialog treten – gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Diversität unserer Gesellschaft. München hat übrigens mehr Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshintergrund als Berlin! Wir begreifen uns als Raum für die Begegnung mit zeitgenössischer Kunst und als bildungs- und gesellschaftspolitischen Ort für alle.

 

Können Sie uns ein Beispiel einer solchen Geschichte geben, die im Museum Brandhorst dem Publikum vermittelt wird?

Storytelling ist ein Trend der letzten Jahre: Wir sind abgekommen von einer Aneinanderreihung von Kunstwerken nach stilistischen Kategorien. Früher kamen die Impressionisten, dann die Expressionisten, dann Minimal Art und Pop-Art. Wir stellen ganz konkrete ästhetische und gesellschaftliche Fragen mit unserer Sammlung. Wir haben z. B. Werke von Arthur Jafa angekauft, der den Goldenen Bären auf der letzten Biennale in Venedig gewonnen hat. Sie kennen vielleicht das neue Video von Kanye West? Das hat er gemacht. Jafa ist einer der exponiertesten Vertreter der afroamerikanischen Kunst. Durch diese Ankäufe lässt sich die jüngere Kunstgeschichte aus einem ganz anderen Blickwinkel erzählen: Von Andy Warhols „Mustard Race Riot“ von 1963, das den brutalen Polizeieinsatz gegen friedlich demonstrierende Schwarze Bürgerrechtlerinnen und -rechtler zeigt, bis zu einem fantastischen Bild von Jean-Michel Basquiat.

Eine andere Geschichte, die wir im Museum erzählen, führt von Andy Warhol über Keith Haring zu Wolfgang Tillmans und Alexandra Bircken. Es ist eine Geschichte der Verquickung von Pop, Mode, Subkultur und alternativen Lebensentwürfen.

 

Ein besonderer Fokus Ihrer Arbeit liegt auch auf der Kunstvermittlung für Kinder.

Die Kinder sind unser Publikum von morgen! Entscheidend nicht nur für Museen, sondern für alle Kultureinrichtungen ist: Wie kann es uns gelingen, unsere Inhalte auch in den Schulen zugänglich zu machen und damit Kinder unterschiedlicher Herkunft als Besucherinnen und Besucher zu gewinnen?

Beschleunigt durch die Corona-Einschränkungen haben wir uns noch intensiver mit digitalen Formaten wie Livetalks mit Künstlerinnen und Künstlern auf YouTube, Dialogführungen auf Instagram, digitalen Family-Workshops befasst. Gerade konzipieren wir eine „Factory“, angelehnt an Andy Warhols Factory. Hier wollen wir gut ausgestattet – von 3D-Drucker bis zu neuen digitalen Design-Tools – Schulklassen beherbergen und Kinder zu einer kreativen Auseinandersetzung mit Kunst einladen. Wir hoffen, im Schuljahr 2021/2022 eröffnen zu können – insofern die Pandemie dies zulässt. Schon jetzt versuchen wir gemeinsam mit dem MPZ, dem Museumspädagogischen Zentrum, das für die Schulbildung in Museen zuständig ist, den Austausch mit Schulen zu intensivieren.

Achim Hochdörfer & Theresa Brüheim
Achim Hochdörfer ist Direktor desMuseums Brandhorst. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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