An gute Zeiten anknüpfen

Ein historischer Überblick der deutsch-türkischen Beziehungen

Um die deutsch-türkischen Beziehungen steht es schlecht. Die türkische Regierung hält sich unter anderem dadurch an der Macht, dass sie periodisch Krisen mit anderen Ländern provoziert oder am Leben hält, unter denen sich Israel, Russland und in letzter Zeit vor allem Deutschland als gute Feindbilder für die rechte öffentliche Meinung anbieten. Umgekehrt hat die deutsche Regierung seit Langem kein weiteres Interesse an der Türkei, als sie als Vorburg zur Festung Europa zu benutzen. Den Preis zahlen die Menschen in beiden Ländern. So verweigert die Bundesrepublik seit geraumer Zeit ihre Zustimmung zur Schengen-Visumsfreiheit für türkische Staatsbürger, wodurch Millionen von Menschen zu zeitraubenden und kostspieligen Ämtergängen gezwungen werden, um ihre Familien-, Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Die dank des von der Regierung Merkel mit ausgehandelten Grenzabkommens in der Türkei verbleibenden Flüchtlinge unter anderem aus Syrien, Afghanistan und Eritrea sind hingegen größtenteils zu menschenunwürdigen Unterkünften und Arbeitsverhältnissen verurteilt. Umgekehrt hält der türkische Staat es für nötig, wegen angeblicher Terrorunterstützung durch ihre Schriften die deutsche Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu und den Doppeltstaatsbürger und Journalisten Deniz Yücel in Untersuchungshaft zu halten sowie dem deutschen Politikwissenschaftler Sharo Garip die Ausreise zu verbieten.

 

Man möchte sich angesichts der Situation gar nicht erst aufhalten mit Auswegen aus der verfahrenen Diplomatie, sondern am besten gleich von vorne anfangen. Gab es nicht einen Zeitpunkt, zu dem die Beziehungen besser waren und den man sich für einen Neustart zum Vorbild nehmen könnte? Es gab mehrere Zeitpunkte besserer Beziehungen, aber das Problem ist, dass bei näherem Hinsehen diese kaum als Vorbild dienen können, da sie nicht für eine gegenseitige Achtung von Menschenrechten, Freizügigkeit und ein würdevolles Leben für Flüchtlinge stehen. Was ist mit der Regierungszeit Gerhard Schröders, der als Türkenfreund galt? Dessen guter Ruf im rechten Lager der Türkei stammt lediglich daher, dass er sich gegenüber der türkischen Innenpolitik und damit auch den bereits in der Frühphase der Regierung Erdoğan auftretenden Menschenrechtsverstößen indifferent zeigte. Für die Visumsfreiheit oder -erleichterungen tat er nie etwas. Helmut Kohl hingegen handelte mit Turgut Özal aus, dass die eigentlich schon für 1986 zugesagte Freizügigkeit nicht durchgesetzt wurde und die deutsche Regierung stattdessen eine großzügige Spende an Panzern an die türkische Armee leistete.

 

Rüstungshilfe war stets ein Bestandteil der türkisch-deutschen Freundschaft. Insbesondere im 2. Weltkrieg war das Deutsche Reich von Einfuhren von Chromerz aus der Türkischen Republik für die Waffenproduktion abhängig. Noch in der Nacht bevor die neutrale Türkei 1944 auf Druck der Alliierten diese Lieferungen schließlich einstellte, wurden noch einmal 218 Waggons auf den Weg gebracht.

 

Was ist hingegen mit 1933, als politisch und rassisch Verfolgte, wie Ernst Reuter, Erich Auerbach oder Bruno Taut, die in Deutschland ihre Stellen an den Universitäten verloren hatten, im türkischen Wissenschafts- und Staatsbetrieb Anstellung fanden? Auch hier muss man etwas Wasser in den Wein schütten. So wichtig die Aufnahme in der Türkei für die unmittelbar Betroffenen war, so wenig stellte sie eine antifaschistische Maßnahme dar. Die frühe Türkische Republik brauchte schlichtweg Personal für den Aufbau eines neuen akademischen Systems, insbesondere, da man unmittelbar zur selben Zeit die erste Universität des Landes, die Darülfünun, geschlossen hatte, da sich ihre Wissenschaftler geweigert hatten, die wissenschaftlich nicht haltbaren Theorien zur historischen Verbreitung der türkischen Sprache und Rasse zu propagieren, die zu der Zeit Staatsdoktrin waren. Die ankommenden deutschen Wissenschaftler sollten also den kürzlich gesäuberten akademischen Apparat neu aufbauen und dienten diesem Zweck genauso gut wie deutsche regimekonforme Wissenschaftler.

 

Wie sah es hingegen zu Zeiten Wilhelms II. aus, der Abdülhamid II. seinen persönlichen Freund nannte? Auch hier möchte man lieber nicht so genau hinschauen. Der osmanische Sultan bereitete dem naiven deutschen Kaiser einen prächtigen Empfang bei seinem Staatsbesuch 1898, der Wilhelm nachdrücklich beeindruckte. Die deutsche Diplomatie und Wirtschaft nutzte diese Lage für günstige Geschäfte und stützten Abdülhamid trotz seiner internationalen Isolation nach den umfangreichen Massakern an Armeniern im Lande.

Malte Fuhrmann
Malte Fuhrmann ist DAAD-Fachlektor am Europainstitut der Istanbul Bilgi Universität und Almuni des Leibniz-Zentrums Moderner Orient
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