Kulturpolitische Ziele der deutschen Spitzenkandidaten für Europa

Manfred Weber, Katarina Barley, Jörg Meuthen, Nicola Beer, Martin Schirdewan, Sven Giegold

 

Martin Schirdewan (Die Linke): Zugang zur Kultur ausbauen

 

Ein-Punkt-Ziele gibt es nicht einmal innerhalb der marginalisierten europäischen Kulturpolitik. Selbst wenn das Kulturbudget im nächsten Haushalt auf 2,8 Milliarden Euro verdoppelt werden sollte, so wie vom Parlament gefordert, wird sich die Grundsituation dieses unterfinanzierten Programmes nicht ändern. Es wäre trotzdem an der Zeit, das bestehende reale Potenzial für länderübergreifende innovative Kultur- und Medienprojekte, wie der Digitalisierung des Filmerbes, die Förderung der kleinteiligen Kulturwirtschaft oder die Sichtbarkeit europäischer kultureller Vielfalt durch Preise, Festivals und die Kulturhauptstädte, endlich besser auszuschöpfen.

 

Europäische Kulturförderung in den Regionen finden natürlich weit über den klassischen Programmansatz hinaus statt. Sie nutzt diverse Förderfonds von Interreg bis zum Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Doch diese „Umwegfinanzierung“ sollte nicht die Regel sein. Insofern fordern wir anstatt der stark verkürzten Binnenmarktbrille der EU-Politik einen konsequenten gesellschaftspolitischen Zugang zur realen Bedeutung kultureller Aneignung in sich rasant ändernden Gesellschaften.

 

Uns ist wichtig, dass Beschäftigte im Kulturbereich nicht den Mythos einer „befreienden“ neuen Arbeitswelt ohne soziale Standards nähren. Wir setzen uns daher für ein Fair-Work-Siegel auf Kulturprodukte ein und streiten für wirksame Maßnahmen gegen die Doppelbesteuerung beim grenzüberschreitenden Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern.

 

Ebenfalls gehört es zur klassischen linken Kulturpolitik, über die auszuweitenden Förderungen von Kulturproduzentinnen und -produzenten hinaus, politische Ideen umzusetzen, die den Zugang aller zu kulturellen Angeboten, aber auch zum eigenen Ausdrucksvermögen stärken. Dies geht heute weit über die kulturelle Bildung hinaus, denn viele Kulturpraktiken verlangen inzwischen hohe Medien- als auch Internetkompetenz. Deshalb wollen wir erneut politische Vorschläge unterbreiten, die mit der medialen Begleitung der EU-Urheberrechtsreform beinahe aus dem Blickfeld verschwunden sind. Es ging bei der Reform nicht nur um die Konflikte zwischen Plattformen, Rechteverwertern und Kreativen. Es ging auch um eine beherzte Harmonisierung der Ausnahmen. Die Ausnahmen vom Urheberrecht für die sogenannten GLAM-Institutionen, wie Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen, sind der digitalen Welt noch immer nicht gewachsen, auch wenn es jetzt die „out-of-commerce“-Regelung geben wird. Doch Museen sind institutionelle Nutzer und auch Urheber, z. B. bei den Archivreproduktionen, und bis heute kollidieren viele Urheberrechtsfragen mit dem Bildungsauftrag von Gedächtnisinstitutionen. Auch hier gibt es also viel zu tun, um den Zugang zu Kultur nachhaltig zu sichern.

 

Martin Schirdewan ist Spitzenkandidat der Partei Die Linke zur Europawahl 2019.

 


 

Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen): Digitalplattform

 

Die Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft ist europaweit auf einem historischen Höchststand. Die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer fühlt sich als Bürgerinnen und Bürger der EU. Trotzdem merken wir: Das Gefühl der Zugehörigkeit zur EU korreliert nicht automatisch mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit unter Europäerinnen und Europäern.

 

In politischen Krisenmomenten, etwa während der Euro- oder Migrationskrise, beherrschen oftmals nationale Reflexe und gegenseitige Abwertungen die Debatten. Ein Mindestmaß an Zusammengehörigkeit ist jedoch die Voraussetzung für Solidarität in Europa – ein Grundprinzip der EU und eine Grundvoraussetzung für eine starke europäische Demokratie. Kultur und Kunst sind besonders dazu geeignet, identitätsstiftende Bindungskräfte zu schaffen. Politische Institutionen und Gesetze allein können das nicht leisten. Die Förderung der europäischen Kulturpolitik ist eine Investition in Europas Zusammenhalt.

 

Dabei gilt es, möglichst viele Menschen in Europa an kulturellen, aber auch politischen Diskursen zu beteiligen, das wechselseitige Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit den Werten der jeweils anderen zu unterstützen. Aber wie können wir die Europäerinnen und Europäer näher zusammenbringen, die vielen regionalen kulturellen Ausprägungen zur Geltung bringen und gleichzeitig die Idee einer gemeinsamen europäischen Kultur fördern? Die Digitalisierung hat die Menschen stärker als jemals zuvor miteinander vernetzt. Aber die Plattformen, die uns digital zusammenbringen und kulturelle Inhalte zur Verbreitung verhelfen, folgen kaum demokratischen Idealen. YouTube, Facebook und Co basieren auf Geschäftsmodellen der Aufmerksamkeitsökonomie, nicht auf einem Gemeinwohlauftrag der Demokratie. Sie scheinen unter dem Strich Gesellschaften eher zu spalten als ihr Zusammenhalten zu fördern. Wir sollten uns um europäische Alternativen zu den privaten Digitalplattformen bemühen. Mit einer öffentlich finanzierten Plattform können wir einem europäischen Kultur- und Kommunikationsraum näherkommen. Auf einer solchen Plattform könnten fair vergütete Kulturangebote neben Nachrichten- und Unterhaltungsformaten sowie Austauschmöglichkeiten für die Europäerinnen und Europäer stehen.

 

Eine öffentliche Finanzierung ermöglicht einen hohen Datenschutz, denn die persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer werden dann nicht monetarisiert. Wie solch eine Plattform konkret aussehen kann, zeigen unsere britischen Freunde schon heute: Die BBC hat das Angebot „IDEAS“ gestartet, weil sie nicht dabei zusehen wollte, wie Medien- und Kulturproduzierende ihre Inhalte zu schlechten Konditionen über YouTube oder Facebook ans Publikum bringen müssen. Was mit der Veröffentlichung von Kurzfilmen unabhängiger Filmproduzenten begann, soll in Zukunft mit den Inhalten von Museen, Universitäten oder Bibliotheken ausgeweitet werden. Diese BBC-Plattform könnte zum Vorbild für Europa werden. Erfahrung in der medialen Zusammenarbeit in Europa haben wir bereits: Der deutsch-französische Fernsehkanal ARTE ist ein gutes Beispiel für länderübergreifende Kulturkooperation und Stärkung eines europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls.

 

Eine europäische Digitalplattform wäre der Versuch, den ARTE-Gedanken zu digitalisieren und vollständig zu europäisieren. In einen europäischen Kommunikationsraum zu investieren, wäre eine Investition in den europäischen Zusammenhalt. In Zeiten nationalistischer Spaltungstendenzen und digitalen Monopolstellungen erscheint die Dringlichkeit höher denn je.

 

Sven Giegold ist Spitzenkandidat der Partei Bündnis 90/Die Grünen zur Europawahl 2019.

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