Kulturpolitische Ziele der deutschen Spitzenkandidaten für Europa

Manfred Weber, Katarina Barley, Jörg Meuthen, Nicola Beer, Martin Schirdewan, Sven Giegold

Was ist das wichtigste kulturpolitische Ziel der deutschen Spitzenkandidaten für Europa?

 

Hier lesen Sie die Antworten von Manfred Weber (CDU/CSU), Katarina Barley (SPD), Jörg Meuthen (AfD), Nicola Beer (FDP), Martin Schirdewan (Die Linke) und Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen).

 


 

Manfred Weber (CDU/CSU): Kulturelles Erbe erhalten

 

Die Europäische Union ist ein einzigartiges Erfolgs- und Friedensprojekt. Sie ist aber mindestens genauso ein Werte- und Kulturprojekt. Nie zuvor gab es eine längere und konstantere Phase des friedlichen Zusammenlebens, von Wohlstand und wirtschaftlicher Stabilität. Wenn wir feststellen, dass das heutige Europa das beste Europa ist, das es je gab, dann liegt dies in unserem einzigartigen europäischen Lebensstil, unserem European Way of Life, begründet. Das Fundament unseres geeinten Kontinents sind unsere Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit von Frau und Mann, Humanität, soziale Marktwirtschaft und Ökologie, Solidarität, kulturelle und sprachliche Diversität oder Subsidiarität. Nirgendwo auf der Welt werden die Werte so respektiert wie in Europa. Dieses einzigartige kulturelle Erbe zu erhalten und zu verteidigen, ist für mich die wichtigste Aufgabe Europas für die Zukunft.

 

Unser Europa steht aber aktuell vor existenziellen Herausforderungen: Kräfte der rechten und linken Populisten greifen die Grundfesten der Zusammenarbeit, Solidarität und politischen Kultur an, Nationalisten rufen zur völligen Zerstörung der Gemeinschaft auf. Auch von außen sind wir unter Druck. Global sind wir in einem neuen Wettbewerb der Systeme, der Werte, der veschiedenen Kulturen. Dies spiegelt sich etwa in den internationalen Diskussionen, wie bei der Handelspolitik, oder Konflikten wider, wie im aggressiven Verhalten der russischen Führung in Osteuropa oder Syrien.

 

Wir antworten darauf politisch. Das reicht aber nicht aus. Gerade in diesen unruhigen Zeiten ist es wichtig, die Verbindung zwischen den Menschen innerhalb Europas zu stärken und uns auf unsere gemeinsame Identität zu besinnen. Kultur schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, fördert bürgerschaftliches Engagement und stärkt unsere Grundwerte. Wollen wir Europa stärken, so müssen wir die kulturelle Identität fördern, die Menschen zusammenbringen und uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen, statt unsere Unterschiede zu betonen. Wir brauchen eine Vergewisserung, was uns ausmacht.

 

Mobilität ist eine der größten Chancen, die die EU bietet. Das Erasmus-Programm ist die Seele Europas. Praktisch jeder, der einmal an Erasmus teilgenommen hat, ist und bleibt überzeugter Europäer. Das waren bisher 1,3 Millionen junge Leute. Es war höchste Zeit, auch Auszubildenden, Lehrern und Sportvereinen einen Auslandsaufenthalt im Rahmen ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Erasmus darf nicht auf Akademiker eingegrenzt sein.

 

Die EU hat auf meine Initiative im vergangenen Jahr im Rahmen des Projektes „DiscoverEU“ erstmals Interrail-Tickets für 18-Jährige zur Verfügung gestellt, damit noch mehr Jugendliche die Vielfalt Europas kennenlernen können. Denn was ist besser geeignet, Menschen in Europa zusammenzubringen, als Europa zu „erfahren“? Ich möchte diese Programme deutlich ausbauen, für möglichst alle erreichbar machen sowie flexibler, offener und finanziell besser ausstatten. Die EVP-Fraktion hat im Europäischen Parlament eine Verdreifachung des Budgets für Erasmus+ für die kommende Förderperiode gefordert.

 

Europa muss wieder stärker ein Projekt für die Menschen werden, ein Projekt, das unsere gemeinsamen Wurzeln betont. Ich werde den genannten Ini­tiativen, aber genauso der Entfaltung der Kulturpolitik in Ländern und Regionen einen besonderen Stellenwert geben. Die Kraft der Vielfalt Europas muss ein Stück weit neu entfesselt werden.

 

Manfred Weber ist Spitzenkandidat der Partei CDU/CSU zur Europawahl 2019 und europaweiter Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten.

 


 

Katarina Barley (SPD): Kulturhaushalt deutlich steigern

 

Bei der Europawahl geht es um eine Richtungsentscheidung und um die Frage, wie wir künftig zusammenleben wollen: weltoffen, solidarisch und gemeinsam stark? Oder alle für sich, nach dem Motto „Ich zuerst“? Für uns bedeutet Europa sozialer Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander. Unser Zusammenhalt ist der Schlüssel zur Erfolgsgeschichte Europas. Europa ist für uns auch eine kulturelle Vielfalt. Deshalb wollen wir eine europäische Identität fördern, die bei den Europäerinnen und Europäern stärker neben die Verbundenheit mit ihren Mitgliedstaaten und Regionen treten soll. Dafür ist die gemeinsame Kultur ein wichtiger Motor, über sie findet der Austausch zwischen unseren Gesellschaften statt. Wir wollen ein Europa, das für die Bürgerinnen und Bürger da ist, das Freiraum, Kreativität und Ideen für alle ermöglicht. Mit einem „Europäischen Kulturscheck“ wollen wir dafür sorgen, dass auch sozial benachteiligte Jugendliche mit einem Gutschein-System den Zugang zu Kultureinrichtungen erhalten, und zwar europaweit.

 

Wir wollen, dass das erfolgreiche Programm „Kreatives Europa“ fortgesetzt wird. Und zusätzlich sollen die Projektmittel 2027 verdoppelt werden, um die grenzüberschreitende europäische Kultur weiter zu fördern. Insgesamt wollen wir den Kulturanteil im EU-Haushalt deutlich steigern. Gleichzeitig ist uns die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern in Europa wichtig. Wir wollen Armut und prekäre Lebensverhältnisse von Künstlerinnen und Künstlern verhindern. Nach dem Vorbild der deutschen Künstlersozialkasse sollen Mindeststandards für ein Unterstützungssystem in allen Mitgliedstaaten vereinbart werden. Wichtig bleibt für uns auch die Buchpreisbindung. Sie sichert den qualitativen Wettbewerb zwischen kleinen Buchläden – auch auf dem Land – mit monopolistischen Verkaufsplattformen im Internet und ist in vielen Mitgliedstaaten die Gewähr für ein vielfältiges Literaturprogramm, das nicht nur auf Bestseller verkürzt wird.

 

Das Goethe-Institut soll sich strukturell gegenüber europäischen Partnern und der Zivilgesellschaft weiter öffnen und neue Knotenpunkte gemeinsam mit Institutionen der Gastländer aufbauen. Auch mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 setzen wir auf den Beitrag von Kultur und Bildung.

 

Der Schutz und Erhalt der kulturellen Identität und des kulturellen Erbes erfordert eine aktive Geschichtspolitik. Deshalb starten wir eine europäische Strategie auch mit Blick auf die Brüche in der Geschichte Europas und zur Aufarbeitung europäischer Kolonialgeschichte, um sie zu vermitteln und für die Zukunft daraus zu lernen.

 

Die Geschichte Europas handelt von Versöhnung nach dem Krieg. Das ist auch meine persönliche Geschichte und die meiner Familie. In meinem Leben spielt Europa deshalb eine große Rolle. Meine Kinder haben Großeltern aus vier europäischen Ländern. Ich selbst habe zwei Staatsangehörigkeiten und wohne im Vierländereck, dort, wo sich Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien berühren. Grenzen sind hier nicht viel mehr als eine Linie auf der Landkarte. Mein Europa ist ein Europa des sozialen Zusammenhalts und ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Gemeinsam wird uns das gelingen.

 

Katarina Barley ist Spitzenkandidatin der Partei SPD zur Europawahl 2019.

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