Kulturpolitische Ziele der deutschen Spitzenkandidaten für Europa

Manfred Weber, Katarina Barley, Jörg Meuthen, Nicola Beer, Martin Schirdewan, Sven Giegold

 

Jörg Meuthen (AfD): Zurück zu Diplom und Magister

 

Von den vielen wichtigen kulturpolitischen Zielen auf EU-Ebene liegt mir besonders die Bildung am Herzen. Mit einigem Recht darf sich Bologna die Wiege der abendländischen Universität nennen. Vielleicht ist es Ironie der Geschichte, dass der Niedergang unseres bewährten und traditionsreichen Hochschulsystems ausgerechnet hier in der altehrwürdigen Alma mater studiorum 1999 mit der Bologna-Erklärung seinen unheilvollen Anfang nahm.

 

Zwei Jahre zuvor nahm ich meine Tätigkeit als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl auf. Ich habe die dramatischen Veränderungen aus erster Hand und mit eigenen Augen miterlebt. Der Bologna-Prozess ist ein beredtes Beispiel für die Tendenz unnötiger europaweiter Harmonisierungsprojekte, bürokratische Monster hervorzubringen und erhaltenswerte Strukturen sinnlos zu zerschlagen.

 

In Kehl war „Bologna“ recht bald in den frühen 2000er Jahren spürbar: Die letzten Reste von Eigenverantwortung wichen einer gnadenlos forcierten Verschulung des Bildungs-„Angebotes“, die jeden studentischen Gestaltungsspielraum im Keim erstickte. Statt sich von intellektueller Freiheit beflügeln zu lassen, hechelten die jungen Studiosi in einem dysfunktional zergliederten Curriculum von einem Credit Point zum nächsten. Das war nicht die „Mobilität“ im gemeinsamen europäischen Hochschulraum, die in Bologna versprochen worden war.

 

Heute, gut 20 Jahre später, wagen sich zwar immer mehr Studenten für gewisse Abschnitte ihrer Ausbildung vielleicht auch einmal ins Ausland, aber von einer reibungslosen Anerkennung der dort erbrachten Studienleistungen sind wir weit entfernt. Das kann kaum Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland vor Bologna etwa 180 verschiedene Studiengänge gab, während mittlerweile über 1.000 im Angebot sind. Nicht nur die Wahl wird da zur Qual, sondern vor allem bleibt so in manchem Einzelfall die Vergleichbarkeit leicht auf der Strecke. Auch sind die in Aussicht gestellten positiven Effekte auf eine Verkürzung der Studiendauer und eine allgemeine Verringerung der Abbrecherquote weitgehend ausgeblieben. Die hoch geschätzten Graduierungen wie Magister und Diplom haben für den zwar „arbeitsmarktfähigen“, aber nicht ernstlich „berufsqualifizierenden“ Bachelor Platz gemacht. Der als Regelabschluss vorgesehene Bachelor genießt offensichtlich selbst unter den Absolventen ein derart geringes Renommee, dass ein weit überwiegender Anteil der Studenten sicherheitshalber noch einen Masterabschluss anstrebt. Das verlängert die Studienzeit um ca. zwei weitere Jahre und verzögert den Eintritt ins Berufsleben entsprechend. Zur bisherigen Bilanz des Bologna-Prozesses gehört nicht zuletzt die beklagenswerte Abkehr vom Humboldt’schen Universitätsideal und die zunehmende Entkoppelung von Forschung und Lehre.

 

Mit Blick auf meine Erfahrungen als Hochschullehrer trete ich als Parteivorsitzender der Alternative für Deutschland und Mitglied des Europäischen Parlamentes für eine Rückbesinnung auf eine am Humboldt’schen Ideal ausgerichtete Bildungspolitik ein. Über die Auswahl der geeigneten Studenten, über die Lehre und über die Prüfungsmodalitäten sollen die Hochschulen selbst entscheiden können. Deshalb müssen sie neben den neu eingeführten Bachelor- und Master-Studiengängen zu den bewährten Diplom-, Staatsexamens- und Magisterstudiengängen zurückkehren können.

 

Jörg Meuthen ist Spitzenkandidat der Partei AfD zur Europawahl 2019.

 


 

Nicola Beer (FDP): Auslandszeit für alle Jugendlichen

 

Kultur ist das Fundament Europas. Genauer, die Kulturen Europas sind das Fundament der Union. Und seit 1985 – auf Anregung der unverwechselbaren damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri – werden jährlich Kulturstädte Europas gekürt. Von Athen über Florenz, Amsterdam, Dublin, Madrid, Lissabon über Weimar, Prag, Santiago de Compostela bis Vilnius, Maribor oder Breslau, bislang 60 Städte und Regionen. Das ist eine wunderbare Idee, nicht nur um Kulturmetropolen kennenzulernen, sondern auch abgelegene unbekannte Städte mit einer großen Kultur, wie Hermannstadt im rumänischen Siebenbürgen mit seinen kulturellen Wurzeln, die europäische Vielfalt spiegeln.

 

Man kann Europa nur verstehen, wenn man es kennt. Seinen Alltag, seine Traditionen, seine Kultur, seine Musik, seine Sprachen. Im Großen wie im Kleinen. Deswegen müssen wir neben dem touristischen „Interrail“-Programm der EU, neben dem Bologna-Studium ein halbes Jahr im europäischen Ausland für jeden Jugendlichen ermöglichen. Nur dort bei den Familien und Menschen im Land kann unsere europäische Jugend den großen Gedanken der europäischen Einigung unserer Ahnen aufsaugen. Und ihn nicht für selbstverständlich hinnehmen. Europa fühlbar zu machen ist eine dauernde Aufgabe für uns – mit all seinen Mühen und Anstrengungen.

 

Es lohnt sich eine, zwei oder drei Sprachen neben der Muttersprache zu lernen. Es lohnt sich, weil man so leichter in Krakau oder Barcelona lieben, leben, studieren, arbeiten kann. Es lohnt sich aber auch, weil man mit Vergnügen und Erkenntnisgewinn Jean-Paul Sartre oder James Joyce im Original lesen kann, und wahrscheinlich die Geheimnisse von Paris oder Dublin besser versteht. Aber auch wer Polnisch lernt, versteht den Weg des Jahrhundertpapstes Johannes Paul II genauer. Wer Italienisch versteht, hat einen besonderen Lesegenuss bei Dante oder Niccolò Machiavelli. Eine erlernte fremde Sprache lässt uns nicht unverändert, sie erobert das Herz und die Seele eines dann nicht mehr fremden Landes. Denken Sie nur an Jaroslav Hašek und die unnachahmlichen Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Ein Psychogramm der Tschechen, ein Psychogramm eines Schlitzohrs schlechthin, ein Psychogramm eines Überlebenskünstlers, ein Psychogramm von uns allen? Und en passant: Obwohl die Musik ohne viele Worte auskommt („Pardon an die Oper“), so erkennt man Finnland mit Jean Sibelius anders als ohne.

 

Die Kultur ist der Schlüssel zum Verständnis der europä-ischen Seele. Sie öffnet uns den Reichtum der Traditionen, des Alltags, der Literatur, der Kunst unserer Partner in der EU. Sie ist die Basis des europäischen Kontinents. Wir lernen sie auf Reisen kennen. Wir lernen sie durch Sprache kennen. Wir brauchen aber auch eine europäische Öffentlichkeit. Vorbild scheint mir der deutsch-französische TV-Sender ARTE. Das müsste auf ganz Europa ausgedehnt werden. Mit Reportagen und Dokumentationen aus der EU der 27. Von Tallin bis Faro, von Dublin bis Bukarest. Um auch im Alltag ein Gefühl dafür zu bekommen, dass die Einigung Europas selbst Kultur ist.

 

Nicola Beer ist Spitzenkandidatin der Partei FDP zur Europawahl 2019.

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