„Deutschland und Japan haben ähnliche Mantras des Fleißes“

Die deutsch-japanischen Beziehungen an der Villa Kamogawa

 

Die Villa Kamogawa fördert jedes Jahr bis zu zwölf Stipendiatinnen und Stipendiaten. Wie viele Bewerbungen gehen pro Runde ein?
Es gehen pro Runde ca. 400 Bewerbungen ein. Wir haben drei Zeiträume, die jeweils drei Monate umfassen. Dazwischen liegen eine längere Sommerpause und eine kürzere Winterpause. In der Villa Kamogawa verfügen wir über vier Apartments für Künstlerinnen und Künstler. Im kommenden Jahr wollen wir bis zu neun Stipendien vergeben und ein Apartment für Kooperationen – in den Künsten und den Wissenschaften – freihalten, für längerfristige Vorhaben oder auch für Besuche an der Villa, die im Zusammenhang mit unseren Projekten stehen. Auch Partnerbewerbungen sind möglich, wenn zwei gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Wir sind noch nicht recht darauf vorbereitet, aber wir wollen, dass in Zukunft auch eine Künstlerin oder ein Künstler mit einem kleinen Kind das Stipendium wahrnehmen kann.

 

Bewerben kann man sich in den Rubriken Architektur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Design, Literatur, Musik, Film und Kulturtheorie/Kulturkritik. Gibt es eine Rubrik, die besonders stark nachgefragt wird?
Ungefähr die Hälfte aller Bewerberinnen und Bewerber kommt aus der Bildenden Kunst. Kyoto hat da auch überwältigend viel zu bieten: Handwerksbetriebe in der 14. Generation, besondere Materialien und Arbeitsweisen und eine andere Auffassung vom öffentlichen Raum, vom Wohnen und Zusammenleben. Im nächsten Jahr wollen wir Kulturtheorie stärker in den Vordergrund rücken, weil auch die Hochschulen an einer internationalen Öffnung interessiert sind. Überhaupt wollen wir japanische Stimmen in die Jury holen, damit die Künstlerinnen oder Kulturtheoretiker nicht ganz „vom Himmel herab“ in Japan landen, sondern mit ihren Ideen und Vorhaben schon auf engagierte, erwartungsvolle Partner treffen.

Zur Eröffnung der Villa Kamogawa betonte der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, den Förderschwerpunkt Tanz und Choreografie im Rahmen der Darstellenden Künste. Ist das heute noch so?
Auf jeden Fall. Unter den Stipendia­tinnen und Stipendiaten sind fast immer auch Tänzer und Choreografinnen. Wobei sich auch hier die Interessen erweitern. Mitte dieses Jahres wird die Tänzerin und Choreografin Lisa Gómez hier zum Verhältnis von Körper und Luft arbeiten, sie will dabei auch eine ganz spezifische Art der zeitgenössischen japanischen Bewegungserziehung einbeziehen, das Seitai-ho.

 

Wie wählen Sie die Stipendiatinnen und die Stipendiaten aus, die zu Ihnen kommen?
Nach der Bewerbungsrunde tritt eine fünf- bis siebenköpfige Jury zusammen. Eine Stimme hat das Goethe-Institut, ansonsten sind es Vertreter aus allen Genres. Im nächsten Jahr wollen wir das System justieren und verstärkt mit Partnerinstitutionen und Kuratoren arbeiten. Künstlerinnen und Künstler sollen auch gezielt eingeladen werden, von denen wir glauben, dass ein Besuch oder eine Residenz von besonderem Interesse für japanspezifische Themen oder hiesige Festivals sein könnten.

 

Es klingt bereits an, der Austausch mit der japanischen Kulturszene besteht. Wie intensiv ist dieser?
Die Villa Kamogawa ist gut erreichbar, zugleich etwas abgelegen, zwei Kilometer vom Zentrum, von den großen Shopping Malls. Das ist eine gute Ausgangslage zum ruhigen Arbeiten und zugleich zum lebendigen Austausch. In unmittelbarer Nachbarschaft, auch entlang des Kamogawa-Flusses, liegen ein Baumarkt, der kaiserliche Garten, eine Hochzeitskirche japanischen Stils und eben unsere Villa mit dem Charme eines deutschen Cafés mit Dallmeier und einem – wieder – japanischen Garten. Eine sehr lebendige urbane Kulturszene fängt südlich vom Bahnhof an, sich zu entfalten, vier Kilometer von hier. Früher, bis vor ca. 30 Jahren, war das eine zwielichtige Gegend, in der man sich abends vergnügte. Wenn wir es schaffen, dass Leute von dort auch mal flussaufwärts bis in die Villa kommen, um auf die Stipendiaten zu treffen, im Café Müller, am Fluss, im Baumarkt oder bei einem gemeinsamen „Open Studio“, dann haben wir viel erreicht.

 

Was planen Sie für die Villa Kamogawa?
Wir überlegen gerade, wie wir Themen wie Umweltverschmutzung oder Dekolonialisierung, Postindustrialisierungsgesellschaften und Zukunft von Arbeit und Freizeit nicht nur im bilateralen deutsch-japanischen Kontext verhandeln können. Unser Ziel ist, an der Diskussion zwischen globalem Süden und Norden auch von Japan aus teilzunehmen. Japan hat z. B. ein starkes Interesse in Südostasien und leistet dort Entwicklungshilfe. Solches Engagement gibt es – anders gelagert – in Deutschland auch. Was bedeutet Entwicklungszusammenarbeit heute? Ist das nicht wieder die Kolonialisierung, nur in einem neuen Gewand? Das wäre eine globale Fragestellung. Wir werden Bewohner von Residenzen im globalen Süden kontaktieren und zu Treffen, Veranstaltungen – offline und online – einladen. Außerdem beschäftigt uns die Frage, wie man Leute, die, wie aktuell die Passagiere der Diamond Princess im Hafen von Yokohama, in einer Art von erzwungener Residenz leben, kontaktieren und etwas mit ihnen unternehmen kann.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Enzio Wetzel und Theresa Brüheim
Enzio Wetzel ist Institutsleiter des Goethe-Instituts Osaka Kyoto und der Villa Kamogawa. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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