Im Dialog mit Herkunftsgesellschaften

Der Deutsche Museumsbund veröffentlicht zweite Fassung des Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Wurde dabei versucht, möglichst viele Herkunftsgesellschaften abzudecken? Oder wurden geografische Schwerpunkte gesetzt?

Bei den Expertinnen und Experten haben wir natürlich gewisse Schwerpunkte gesetzt. Wir wollten Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen ehemaligen deutschen Kolonien dabeihaben. Das heißt, es waren Kolleginnen und Kollegen aus Namibia, Tansania und Samoa vor Ort. Außerdem wollten wir Experten aus Ländern gewinnen, die aufgrund ihrer eigenen Kolonialgeschichte in bestimmten Diskussionen weiter sind als wir, z. B. weil dort große indigene Bevölkerungsteile leben. Das sind beispielsweise die USA, vertreten durch eine Expertin aus Alaska, aber auch Australien und Neuseeland. Die haben einfach die Diskussionen schon vor uns geführt. Wir wollten aber auch Archäologen mit an Bord haben. Außerdem hat sich ein Vertreter vom Königshof von Benin in Nigeria und ein Experte aus der ostasiatischen Kunstgeschichte angeschlossen. Insgesamt waren es zwölf Expertinnen und Experten – eine Gruppe groß genug, um verschiedenste Weltteile abzudecken, und klein genug, um miteinander diskutieren zu können. Aber die ganze Welt abzubilden war tatsächlich nicht möglich. Deshalb noch mal der Aufruf, sich an der öffentlichen Rezension zu beteiligen, um so noch mehr Mehrstimmigkeit zu erreichen.

 

Welche Wege gehen die Kollegen und Experten beim Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in ihren Heimatländern? Wie groß sind die internationalen Überschneidungen?

Insbesondere bei den europäischen ethnologischen Museen gibt es eine sehr intensive Diskussion. Seit Kurzem gibt es auch ein Papier der niederländischen ethnologischen Museen zur Frage der Rückgabe. Das ist nicht identisch mit dem Rückgabekapitel unseres Leitfadens, aber geht in eine ähnliche Richtung. In den anderen Ländern wird es zwar überall intensiv diskutiert, aber es gibt keinen Leitfaden vergleichbarer Art in Europa.

 

Eine Besonderheit des Leitfadens ist die praktische Hilfestellung für die Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften. Sie waren Teil der ersten Fassung und wurden in der zweiten Fassung konkretisiert. Können Sie Beispiele nennen?

Die Praxistipps orientierten sich an den Säulen der Museen: Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln – ergänzt um ein Kapitel zur Rückgabe. Entlang dieser Aufgaben der Museen thematisieren wir, ob man heute noch Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sammeln kann. Wenn ja, nach welchen Kriterien? Was ist zu bedenken, nicht nur bei der Konservierung, sondern auch bei Digitalisierung und Online-Stellung? Gerade bei sensiblem Sammlungsgut muss man sehr genau gucken, ob man Bilder ins Internet stellen darf. Gleiches gilt auch für Forschungsfragen in kooperativen Forschungsprojekten: Wie müssen diese aussehen? Wie muss ethnologische Provenienzforschung aussehen? Was ist bei naturwissenschaftlichen Sammlungen zu berücksichtigen? Beim Ausstellen ist zu beachten, mit welcher Perspektive auf die Sammlungen geblickt wird. Wir geben Hilfestellungen, aber sagen auch ganz klar: Jedes Haus muss für sich Wege finden, wie es die koloniale Vergangenheit der Sammlung thematisiert. Dabei ist es auch wichtig, dass die Objekte nicht eindimensional zu betrachten sind. Sie sind nicht allein Zeitzeugen der kolonialen Vergangenheit, sondern mehr. Und dieses Mehr muss seinen Raum in der Vermittlungsarbeit finden. Für all das ist jedoch eine entsprechende personelle Ausstattung nötig.

 

Außerdem haben Sie das Rückgabekapitel umformuliert.

Basierend auf dem Workshop haben wir es um einen Bereich erweitert. Wenn das Museum zu der Erkenntnis gelangt, dass etwas rechtlich und/oder ethisch in nicht vertretbarer Weise in die Sammlung gelangt ist, dann darf sich der Rückgabe nicht widersetzt werden. Dann muss sie stattfinden, wenn das von der Herkunftsgesellschaft gewünscht ist. Darüber hinaus gibt es Objekte, die von derart großer Bedeutung in der Herkunftsgesellschaft sind, dass sich Möglichkeiten finden lassen sollten, eine Rückgabe zu realisieren, unabhängig davon, wie ein Objekt in der Vergangenheit in die Sammlung gelangt ist. Wir haben nochmals verstärkt, was wir im ersten Leitfaden geschrieben haben: Seid offen in den Diskussionen mit den Herkunftsgesellschaften, denn selbst wenn eine Rückgabe aufgrund der Provenienz angezeigt sein mag, ist es nicht automatisch der einzige Weg, der sich eröffnet. Denn es gibt oft andere Wünsche und für die sollten wir ein offenes Ohr haben.

 

Vielen Dank.

 

In der Ausgabe 1-2/19 von Politik & Kultur schrieb Wiebke Ahrndt unter dem Titel „Nichteuropäische Perspektiven fördern“ einen Artikel zur ersten Fassung des Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Lesen Sie diesen hier.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

Wiebke Ahrndt und Theresa Brüheim
Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Übersee-Museums Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe "Kolonialismus" beim Deutschen Museumsbund. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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