2018 hat der Deutsche Museumsbund erstmalig einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten herausgegeben. Nun ist im Juli 2019 die zweite aktualisierte Fassung erschienen. Wiebke Ahrndt leitet die Arbeitsgruppe „Kolonialismus“ beim Deutschen Museumsbund und verantwortet die mehrstufige Erstellung des Leitfadens. Theresa Brüheim spricht mit ihr über die Neuerungen im Leitfaden.
Theresa Brüheim: Welche Änderungen wurden in der zweiten Fassung berücksichtigt?
Wiebke Ahrndt: Infolge der ersten Fassung des Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten haben wir einige Rezensionen erhalten. Außerdem haben Mitglieder der Expertenrunde Artikel im Leitfaden ergänzt. Insbesondere aber haben wir mit zwölf Expertinnen und Experten aus insgesamt elf Herkunftsgesellschaften im Herbst 2018 den Leitfaden sehr intensiv diskutiert. Auf Grundlage dieser Gespräche haben wir einige Präzisierungen vorgenommen, Dinge deutlicher herausgestellt und das Rückgabekapitel bearbeitet. In der zweiten Fassung formuliert der Deutsche Museumsbund nun ganz klar seine Haltung zum Thema Rückgabe und fordert Transparenz und Kooperation mit den Herkunftsgesellschaften. Mit dieser Forderung richtet sich der Leitfaden auch an die Träger der Museen, denn die Umsetzung bedarf einer hinreichenden und dauerhaft gesicherten Finanzierung.
Es klingt bereits an: Die (Weiter-)Entwicklung des Leitfadens war von Beginn an in einem mehrstufigen Verfahren geplant. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Im ersten Schritt war es uns wichtig, eine Meinung und Haltung seitens der deutschen Museen zu formulieren. Wir sind das vollumfänglich angegangen und wollten die gesamte deutsche Museumslandschaft in den Blick nehmen. In dieser Heterogenität war es wichtig, zunächst zu einer Meinung, zu einer Haltung zu gelangen, auf deren Grundlage wir sprechfähig waren. Das war Schritt eins.
Schritt zwei war damit klar: Dabei kann es nicht bleiben. Wenn man einen Leitfaden entwickelt, der sich mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten beschäftigt, muss man mit Herkunftsgesellschaften in den Dialog treten und diesen Leitfaden auf der Grundlage dieser Gespräche weiterentwickeln. Gleichzeitig war die Öffentlichkeit bereits aufgefordert, sich mit Rückmeldungen in die Diskussion einzuschalten. Die umfassende öffentliche Diskussion und Rezension folgt aber erst jetzt nach dem Erscheinen der zweiten Fassung. Damit war klar, es wird auch eine dritte Fassung geben, die auf Grundlage der Rezensionen verfasst wird. Es wird auch eine Online-Begleitpublikation mit Praxisbeispielen und Richtlinien aus anderen Ländern geben. Da gibt es Erfahrungswerte z. B. in Neuseeland, von denen wir profitieren können. Wir haben auch die Möglichkeit, Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten, die 2013 veröffentlicht wurden, in diesem Rahmen zu aktualisieren und gemeinsam mit der dritten Fassung dieses Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten Ende 2020 zu veröffentlichen. Damit ist der mehrstufige Prozess erst mal abgeschlossen.
Die zweite Fassung legt unter anderem einen Schwerpunkt auf die stärkere Sensibilisierung für nichteuropäische Perspektiven. Was bedeutet das genau?
Das war ein starkes Anliegen der Diskutanten in unserem Workshop. Sie rieten, noch mal stärker den Blickwinkel zu wechseln und sich in die Perspektive der Menschen aus den Herkunftsgesellschaften zu versetzen. Daraus sind mehrere Kapitel entstanden. Z. B. äußert sich Rosita Worl aus Alaska in einem Kapitel zur allgemeinen und religiösen Bedeutung von Objekten in ihrer Kultur, um stärker dafür zu sensibilisieren, sich jenseits der Frage, wie Objekte in die Sammlung gelangt sind, auch damit zu beschäftigen, welche Bedeutung ein solches Objekt heute hat und damals hatte. Ein anderes viel diskutiertes Thema war die Dekolonisierung des Sammlungs- und Ausstellungsmanagements, das aktuell noch sehr stark von europäischen Denkweisen geprägt ist. Vorschläge waren: zum einen stärker auf Dialog und Zusammenarbeit zu setzen, weil sich daraus andere Blickwinkel ergeben; zum anderen Herkunftsgesellschaften direkt in den Ausstellungen zu Wort kommen zu lassen bzw. sie als Kuratoren zu gewinnen. Dazu gibt es einen Beitrag im Leitfaden, der von vier Autorinnen aus Samoa, Tasmanien, Namibia und Neuseeland verfasst wurde. Sie raten, die Sammlungsbestände zu digitalisieren, um auch online miteinander ins Gespräch zu kommen, und ggf. die Depots umzusortieren, um dort Räume zu schaffen, in denen Mitglieder von Herkunftsgesellschaften z. B. Zeremonien abhalten können. Das sind primäre Forderungen in der zweiten Fassung des Leitfadens, die stärker für nichteuropäische Perspektiven sensibilisieren wollen. Essenziell hierfür sind Dialog auf Augenhöhe, nachhaltige Kooperationen sowie Transparenz.