Nichteuropäische Perspektiven fördern

Deutscher Museumsbund sensibilisiert für den Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Im Mai 2018 hat der Deutsche Museumsbund erstmals einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten veröffentlicht und darin seine Haltung zu diesem wichtigen und hoch komplexen Thema formuliert. Trotz der Wichtigkeit existierte bisher kein solches Instrument, das für einen angemessenen Dialog auf Augenhöhe mit den Herkunftsstaaten und -gesellschaften jedoch unerlässlich ist.

 

Adressiert ist der Leitfaden an alle deutschen Museen und Sammlungen, denn fast alle Museumssparten sind betroffen. So haben z. B. die Naturkundemuseen ihre außereuropäischen Sammlungen in großen Teilen vor 1960 angelegt. Auch viele archäologische Objekte stammen aus Ländern, die ehemals zum spanischen Kolonial- oder zum Osmanischen Reich gehörten. Ebenso verfügen Technikmuseen über die Gerätschaften, mit denen die Kolonialgebiete erschlossen wurden, wie Lokomotiven oder Telekommunikationsgeräte. Hinzu kommen z. B. Werbeplakate für sogenannte Kolonialwaren, die sich in sehr vielen Museen befinden. Es sind also nicht nur – wie oft angenommen – die ethnologischen Sammlungen betroffen.

 

Zudem sind unter „kolonial“ nicht nur die reale Herrschaftspraxis zu verstehen, sondern auch Ideologien, Diskurse, Wissensordnungen, Ästhetiken und Perspektiven, die einer formalen und realen Herrschaft vorausgehen, sie stützen sowie über sie hinaus nachwirken können. Im Zuge kolonialer Ideologien sind Objekte und Darstellungen entstanden, die ein Spiegel des kolonialen Denkens darstellen und heute als Rezeptionsobjekte anzusehen sind. Koloniale Kontexte waren folglich in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten gegeben. Dies findet seinen Niederschlag in den Sammlungen und wird auch im Leitfaden in den Blick genommen.

 

So finden die viel zitierten Objekte aus dem Königreich Benin, Stücke aus dem 19. Jahrhundert aus China oder vorspanische Objekte aus Lateinamerika ebenso Beachtung wie die sogenannten Kolonialwaren. Zudem zählen dazu Objekte, die zwar aus Europa stammen, aber in Kolonialgebieten verwendet wurden, wie Uniformen oder Erinnerungsstücke aller Art. Last but not least behandelt der Leitfaden auch Objekte kolonialer Propaganda, Werbeprodukte und Werke der bildenden und darstellenden Kunst.

 

Die Feststellung, dass ein Objekt aus einem kolonialen Kontext stammt, beinhaltet jedoch noch keine Aussage darüber, ob die Provenienz als problematisch einzustufen oder gar eine Rückgabe in Betracht zu ziehen ist, sondern ist lediglich ein Hinweis darauf, dass Sensibilität und genauere Prüfung geboten sind. Über die vorhandenen Sammlungsbestände ist Transparenz herzustellen. Die Museen sind zudem aufgefordert, sich des Themas durch Provenienzforschung sowie in ihrer Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit anzunehmen. Sind die Voraussetzungen erfüllt, sollten sie sich Rückgaben nicht verschließen. Diese hat es bereits gegeben. Es ist davon auszugehen, dass weitere folgen werden. Betroffen sind in der Regel kulturell sensible Objekte, insbesondere menschliche Überreste. Es ist allerdings zu beachten, dass sich der Wunsch vieler Herkunftsgesellschaften nicht oder nicht allein in der physischen Rückgabe von Objekten erschöpft. Es werden gemeinsame Forschungs- und Ausstellungsprojekte sowie Transparenz über den Sammlungsbestand erwartet.

 

Aus all dem ergeben sich drei Forderungen an die Träger und an die Politik:

 

1. Provenienzforschung ist zu ermöglichen. Die neue Förderrichtlinie des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ist zu begrüßen. Museen benötigen ob der Menge des zu bearbeitenden Materials dauerhaft Personal für diese Aufgabe.
2. Digitalisierung ist notwendig, um Transparenz herzustellen. Sie kann zudem eine Form der virtuellen Rückgabe ermöglichen. Hier besteht ein erheblicher Finanzbedarf.
3. Kooperationsprojekte mit Herkunftsgesellschaften zu Provenienzfragen, Digitalisierung, Wissenstransfer und Ausstellungen sind finanziell zu unterstützen.

 

Im Mai 2019 erscheint die zweite Fassung des Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, erweitert um eine internationale Perspektive. Die Ergänzungen und Änderungen der zweiten Fassung wurden auf der Basis eines internen Workshops mit Museumsfachleuten aus elf verschiedenen Herkunftsgesellschaften erarbeitet.

 

In der zweiten Fassung des Leitfadens wird der Fokus unter anderem auf eine stärkere Sensibilisierung für nicht-europäische Perspektiven gelegt. Dazu werden zwei Fachbeiträge externer Experten beitragen. Da der Leitfaden auch im internationalen Umfeld auf großes Interesse stößt, werden für internationale Leser die Ziele und Möglichkeiten eines Leitfadens des Deutschen Museumsbundes erläutert sowie Informationen zu den rechtlichen Handlungsmöglichkeiten von Museen in Deutschland ergänzt. Darüber hinaus konkretisiert die zweite Fassung des Leitfadens die praktische Hilfestellung für die Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften – sowohl aus Sicht deutscher Museen als auch aus Sicht von Herkunftsgesellschaften. Der Leitfaden wird als Onlinepublikation in deutscher, englischer und französischer Sprache veröffentlicht.

 

Mit dem Leitfaden agiert der Deutsche Museumsbund als Impulsgeber und bietet eine wertvolle Hilfestellung bei der musealen Arbeit mit Objekten aus kolonialen Kontexten sowie bei Rückgabeforderungen, welche diese Objekte betreffen. Darüber hinaus sind die Museen aufgerufen – unabhängig davon, ob sie Objekte aus kolonialen Kontexten in ihren Sammlungen haben – sich mit dem Thema Kolonialismus in ihrer Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit aktiv auseinanderzusetzen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01-02/2019.

Wiebke Ahrndt
Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Übersee-Museums Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe "Kolonialismus" beim Deutschen Museumsbund.
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