Vorbereitung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („Zweiter Korb“)*: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 11.12.2003. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ die im Mai 2001 verabschiedete „EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ zeitnah in deutsches Recht umgesetzt hat. Das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft trat am 13.09.2003 in Kraft.

 

Nach der Umsetzung der EU-Richtlinie steht nun Korb II auf der Agenda. Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass die Bundesregierung zügig nach Abschluss der Arbeiten am Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft die Beratungen zu Korb II aufgenommen hat. Korb II bietet die Gelegenheit, weitere regelungsbedürftige Aspekte im Urheberrecht im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens mit zu behandeln.

 

Der Deutsche Kulturrat hat bereits in der Vergangenheit zu den auch jenseits der notwendigen Einarbeitung der genannten EU-Richtlinie in das deutsche Urheberrechtsgesetz akuten Probleme Stellung bezogen .

 

Wir nehmen im Folgenden zu einigen wesentlichen unter den Verbänden der Künstler, der Kultureinrichtungen, der Kulturvereine und der Kulturwirtschaft unstreitigen Fragen Stellung.

 

I. Wert kreativer Leistungen

Urheber und ausübende Künstler leben von der Verwertung ihrer künstlerischen Arbeiten. Ihre Kreativität bildet die Grundlage für ihren Lebensunterhalt und sie gehören zu den wichtigen Inhaltslieferanten der Informations- und Wissensgesellschaft. Das Urheber- und Leistungsschutzrecht bietet für Künstler und für die Unternehmen der Kulturwirtschaft, insbesondere Verleger und Produzenten, einen wesentlichen Rechtsrahmen für eine wirtschaftliche Ausübung ihrer Tätigkeit. Künstlerische Arbeiten haben neben dem wichtigen ideellen auch einen ökonomischen Wert. Diesen Wert kreativer Leistungen zu schützen, muss auch im digitalen Zeitalter das wesentliche Anliegen des Urheber- und Leistungsschutzrechts bleiben.

 

II. Position des Deutschen Kulturrates zu einzelnen Aspekten des Urheber- und Leistungsschutzrechts

1. § 53 UrhG (Vervielfältigung zum privaten Gebrauch)

Im Zuge der Debatte um das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft hat der Deutsche Kulturrat zu § 53 UrhG umfassend Stellung genommen. Die Positionen des Deutschen Kulturrates wurden aufgegriffen. Insbesondere wurde erneut klargestellt, dass die privilegierten Vervielfältigungen auch digital erlaubt sind. Es gilt jetzt abzuwarten, wie sich die neugefassten Regelungen bewähren, ehe über eine erneute Änderung von § 53 UrhG befunden wird.

 

2. Pauschalvergütung oder Digital Right Management

Der Deutsche Kulturrat hat in seiner Stellungnahme darauf verwiesen, dass die Digital Right Management-Systeme zum gegenwärtigen Zeitpunkt technisch noch nicht ausgereift sind und damit auch eine flächendeckende Vergütung der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke nicht gewährleisten können. Sie sind derzeit allenfalls in eng begrenzten Bereichen der Online-Übermittlung von Werken wirksam. Auch auf längere Sicht, wenn die Digital Right-Management-Systeme ausgereift sind, wird nach Auffassung des Deutschen Kulturrates die Notwendigkeit der pauschalen Vergütung für die private Vervielfältigung von Werken erforderlich bleiben. Der Deutsche Kulturrat sieht daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf für eine Regelung zu Gunsten von Digital Right Management-Systemen. Unabhängig davon verweist der Deutsche Kulturrat darauf, dass beim Einsatz von Digital Right Management Systemen stets der Datenschutz ausreichend zu gewährleisten ist.

 

3. Höhe der Pauschalvergütungen

Die in der Anlage zu § 54 d UrhG festgeschriebenen Vergütungssätze sind seit 1985 unverändert. In den beiden Vergütungsberichten der Bundesregierung wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Tarife dringend angehoben werden müssen. Zuletzt hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage am 27.9.2001 erneut darauf hingewiesen, dass diese Vergütungssätze seit 1985 nicht erhöht worden sind und es nicht einmal einen „Inflationsausgleich“ gab (BT-Drucks. 14/6993 S. 34, Frage 54). Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung auf, beim jetzt anstehenden Gesetzesvorhaben endlich die Konsequenzen hieraus zu ziehen.

Darüber hinaus vertritt der Deutsche Kulturrat die Auffassung, dass sich die bisherige Regelung, die Vergütungssätze gesetzlich zu regeln, nicht bewährt hat. Der Deutsche Kulturrat empfiehlt daher, dass künftig das Bundesministerium der Justiz die Vergütungssätze im Rahmen einer Gesetzesermächtigung durch Rechtsverordnung festsetzt.

 

4. Verwertung von Archivbeständen

In den Archiven, besonders der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ruhen bedeutende kulturelle „Schätze“ in Form von Aufzeichnungen insbesondere musikalischer und literarischer Werke und Darbietungen. Mit Hilfe der neuen technischen Mittel könnte und sollte dieses wichtige kulturelle Erbe einem breiteren Publikum on- und offline zur Verfügung gestellt werden. Das Urheberrecht muss dabei dazu dienen, den Rechteinhabern für solche Nutzung eine angemessene Vergütung zu sichern. Der Deutsche Kulturrat fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen von Korb II eine Lösung der Archivproblematik unter Berücksichtigung des Urheberpersönlichkeitsrechts herbeizuführen.

 

5. Verbesserung der Position bildender Künstler

Im Vergleich zu Urhebern anderer künstlerischer Sparten besteht eine strukturelle Benachteiligung Bildender Künstler, deren Werke ebenso wie die Werke musikalischer Autoren der Öffentlichkeit überall zugänglich gemacht werden, ohne allerdings hierfür Vergütungen zu erhalten. Der Deutsche Kulturrat fordert die Bundesregierung im jetzt anstehenden Gesetzgebungsverfahren auf, diese strukturelle Benachteiligung zu beseitigen. Darüber hinaus sollte in § 59 I UrhG eine Vergütungspflicht für Kunstwerke im öffentlichen Raum eingeführt werden, wenn die dadurch privilegierte Nutzung zu gewerblichen Zwecken erfolgt.

 

6. Kopienversand auf Bestellung

Der Versand von Kopien wissenschaftlicher Artikel aus Fachzeitschriften insbesondere durch zentralisierte öffentliche Fachbibliotheken zählt heute zu den Eckpfeilern des wissenschaftlichen Informationsflusses. So hat allein die British Library als wohl größter Kopienversanddienst der Welt bereits im Jahr 1998 über 4 Millionen Artikel in alle Welt versandt; in Deutschland haben wissenschaftliche Bibliotheken 2003 insgesamt rd. 1,2 Millionen Artikel versandt. Einerseits ist das reibungslose Funktionieren des Kopienversandes Voraussetzung für einen florierenden Wissenschaftsstandort. Andererseits ist sicherzustellen, dass dabei die Interessen der Urheber und ihrer Verleger angemessen berücksichtigt werden. Der BGH hat in seiner Entscheidung „Kopienversand durch öffentliche Bibliotheken – Kopienversanddienst“ (NJW 1999, 1953) die „nachträglich entstandene Gesetzeslücke“ durch das Konstrukt einer gesetzlichen Lizenz geschlossen. Trotz dieser BGH-Entscheidung ergaben sich jedoch in der praktischen Abwicklung, insbesondere bei dem dem heutigen Stand der Technik entsprechenden elektronischen Artikelversand und beim Versand ins Ausland erhebliche juristische Probleme. Um den Wissenschaftsstandort Deutschland nicht zu gefährden, ist es daher dringend geboten, dass der Gesetzgeber selbst eine klarstellende Regelung in das Urheberrechtsgesetz aufnimmt.

 

7. On-the-Spot-Consultation

Die unverzichtbare Kompetenz des öffentlichen Bibliothekswesens für die Erlangung von Medienkompetenz der Bevölkerung, wie es die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ formuliert hat, könnte durch eine auf die hiesigen Verhältnisse zugeschnittene Umsetzung des Art. 5 Abs. 3 n) der Urheberrechtsrichtlinie in das deutsche Urheberrechtsgesetz eine Unterstützung erfahren. Hierbei sollte es ausschließlich um die Zugänglichmachung von rechtsgeschäftlich zu Eigentum erworbenen Bibliotheksbeständen mittels moderner Technologien in den Räumen der Bibliothek gehen. Die Schranke muss im Hinblick auf den Dreistufentest der Richtlinie so gefasst werden, dass die ermöglichten Nutzungen nicht zu Veränderungen im Anschaffungsverhalten der Bibliotheken führen. Dies ist vor allem deshalb erforderlich, weil ein hoher Anteil der Bevölkerung über die gerade für die Nutzung digitaler offline-Medien notwendigen Wiedergabegeräte im häuslichen Umfeld nicht verfügt. Das Ausleihrecht geht damit häufig ins Leere. Aber auch besonders zu schützende Bestände könnten so in den Räumen der Bibliothek zugänglich gemacht werden, ohne dass das Original einer Benutzung unterliegen muss. Der Vorrang des Vertrages sichert, dass es dem Rechteinhaber jederzeit möglich ist, diese Anwendung anders auszugestalten. Spätestens seit der Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen Bibliotheksverbände zum Verleihrecht der Computersoftware kann davon ausgegangen werden, dass das Bibliothekswesen alle Vorkehrungen gegen eine missbräuchliche Anwendung des Ausnahmetatbestandes ergreifen wird.

 

8. Leistungsschutzrechte ausübender Künstler

Der neugefasste § 79 ist dogmatisch widersprüchlich: Nach § 79 Abs. II wird die Einräumung von Nutzungsrechten nur eingeschränkt zugelassen, nach § 79 Abs. I ist aber die Übertragung von Rechten und Ansprüchen ohne weitere Einschränkung ermöglicht. Es ist nicht nachvollziehbar, wie sich das für Urheber von je her bekannte Prinzip der Einräumung von Nutzungsrechten, das der Gesetzgeber nun auch für die Leistungsschutzrechte gewählt hat (§79 Abs. II), zur Möglichkeit der Übertragung der Vollrechte (§ 79 Abs. I) verhält. Zur Heilung des Widerspruchs schlägt der Deutsche Kulturrat vor, § 79 Abs. I ersatzlos zu streichen.

 

9. Elektronische Pressespiegel

Der Deutsche Kulturrat hat bereits 1998 auf die verstärkte Nutzung elektronischer Pressespiegel hingewiesen. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 11.7.2002 „Elektronischer Pressespiegel“ (ZUM 2002, 740) ausdrücklich bestätigt, dass elektronische Pressespiegel – bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen – der Privilegierung von § 49 unterliegen. Aufgrund dieses Urteils ist es zwischenzeitlich zu einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Presse Monitor GmbH (als Vertreter der Zeitungsverlage) und der VG WORT gekommen. Dennoch sollte dieses Urteil zum Anlass genommen werden, um in § 49 UrhG abschließend auch das Recht der elektronischen Pressespiegel zu regeln. Dabei sollte eine bisher bestehende Lücke geschlossen und Abbildungen – auch wenn es hierfür in der Praxis befriedigende vertragliche Regelungen gibt – in die gesetzliche Regelung einbezogen werden.

 

10. Schadensersatz bei Verletzungen

Bei Urheberrechtsverletzungen hat der Verletzer nach derzeit geltender Regelung in Deutschland nur die übliche Lizenzgebühr zu bezahlen, die er auch bei entsprechend ordnungsgemäßem Erwerb der Rechte zu bezahlen gehabt hätte. Das deutsche Urheberechtsgesetz sollte – ausländischen Beispielen folgend – jedenfalls bei vorsätzlichen Urheberrechtsrechtsverletzungen mindestens die doppelte Lizenzgebühr als Schadensersatz zum Regelfall machen. Dies sieht auch der vorliegende Entwurf einer EU-Richtlinie über „Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum“ vor.

 

Diese und die weiteren geforderten dringenden Änderungen müssen jetzt durchgeführt werden. Den Urhebern, Leistungsschutzberechtigten und sonstigen Rechteinhabern ist ein abermaliges Zuwarten auf eine nächste Urheberrechtsnovelle nicht mehr zuzumuten.

 

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* In seiner Stellungnahme „Urheber- und Leistungsschutzrecht in der Informationsgesellschaft“ vom September 1998 hat der Deutsche Kulturrat hervorgehoben, dass für eine positive Entwicklung der Informationsgesellschaft ein funktionierendes Urheberrecht unabdingbare Voraussetzung ist. Im Schreiben des Deutschen Kulturrates an das BMJ vom 24.2.1999 wurde zum „Diskussionsentwurf eines 5. Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes“ ausführlich Stellung bezogen. Dabei wurde betont, dass eine 5. Urheberrechtsnovelle nicht nur der Umsetzung der beiden WIPO-Verträge dienen dürfe, sondern weitergehende, dringende Änderungen des Urheberrechtsgesetzes notwendig sind. Dies gilt unverändert. In der Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ hat der Deutsche Kulturrat bereits zu wichtigen Aspekten bei Umsetzung der genannten EU-Richtlinie Stellung bezogen. In der Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ hat der Deutsche Kulturrat, einige wesentliche Gesichtspunkte zur Umsetzung der EU-Richtlinie herausgegriffen und die Regelung weiterer Fragestellungen angemahnt.

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