Chancen der Kulturellen Bildung nutzen!

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Ausbau der Ganztagsschulen

Berlin, den 25.03.2004. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, sieht in dem Ausbau von Ganztagsschulen grundsätzlich Chancen für die kulturelle Bildung.

 

Bund und Länder wollen nach ihrer gemeinsamen Verwaltungsvereinbarung Innovationsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ vom Mai 2003 das Ganztagsschulwesen bedarfsgerecht ausbauen. Dieses bedeutet eine tiefgreifende Veränderung für die deutsche Bildungslandschaft, die überwiegend eine jahrzehntelange Tradition in der Halbtagsschule hat. In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine breit gefächerte Trägerstruktur in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung aufgebaut. Sie reicht von Musikschulen über Jugendkunstschulen, zu Vereinen, soziokulturellen Zentren und anderen Einrichtungen der kulturellen Bildung. Es gab zudem auch bisher schon vielfältige Kooperationen mit Kultureinrichtungen.

 

Die Träger kultureller Bildung haben eine Pädagogik und Arbeitsweise sowie ein Bildungsverständnis entwickelt, die auf dem Primat der Freiwilligkeit beruhen und an den Stärken von Kindern und Jugendlichen anknüpfen. Bei allen länderspezifischen Unterschieden in den Konzeptionen von Ganztagsschulen muss es darum gehen, eine integrierte Ganztagsbildung zu ermöglichen, bei der die verschiedenen Partner ihre Stärken und Besonderheiten einbringen können.

 

Im Mittelpunkt der kulturellen Bildung steht die ästhetische Bildung. Die ästhetische Bildung vermittelt mehr als Kenntnisse im Malen, Singen, Tanzen, Theater spielen, Bauen, Umgang mit Film und Medien usw. Ästhetische Bildung bedeutet Aneignung von und Auseinandersetzung mit Welt. Alle Kinder und Jugendlichen haben einen sinnlichen Zugang zu Kunst und Kultur. Bereits als Kleinkinder sind sie fasziniert von der Welt der Töne, der Farben und Gestalt. An diesen grundlegenden sinnlichen Erfahrungen knüpft ästhetische Bildung an.

 

Kulturelle Bildung bietet Zugangsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen. Unbegabte Kinder gibt es nicht, in jedem steckt die Möglichkeit Kunst und Kultur genussvoll zu erleben und selbst zu machen. Der spielerische Umgang mit Kunst und Kultur ermutigt Kinder und Jugendliche, neue Welten zu entdecken und sich damit auseinander zu setzen.

 

Langzeitstudien haben erwiesen, dass kulturelle Bildung dazu befähigt, sich auch anderen Lernbereichen erfolgreicher zu nähern. Sie fördert die Identifikation mit der Schule sowie die Motivation und Leistungsbereitschaft in allen Fächern.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass beim Aufbau der Ganztagsschulen die kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen einen prominenten Platz einnimmt. Kulturelle Bildung darf nicht zum Lückenfüller für den Nachmittag werden. Andererseits sind diese Angebote kein Ersatz für die künstlerischen Schulfächer, die als einzige eine ästhetische Grundbildung in der gesamten gesellschaftlichen Breite garantieren können. Der Unterricht in Kunst und Musik muss reformiert und gesichert, das Darstellende Spiel in manchen Ländern noch eingeführt werden. Gemeinsam mit den Trägern der außerschulischen Bildung, den Kultureinrichtungen und den Lehrerinnen und Lehrern müssen vor Ort Konzepte einer Einbindung der kulturellen Bildung in den Schulalltag entwickelt werden, die den spezifischen Chancen und Arbeitsnotwendigkeiten der außerschulischen Partner entsprechen. Diese Konzepte müssen die jeweils vorhandenen lokalen Gegebenheiten berücksichtigen.

 

Bei der Einbeziehung der kulturellen Bildung in die Ganztagsschule müssen alle künstlerischen Sparten gleichberechtigt berücksichtigt werden. Den Deutschen Kulturrat erfüllt die sich derzeit abzeichnende Entwicklung mit Sorge, dass nicht alle künstlerischen Sparten gleich intensiv einbezogen werden. Jede künstlerische Sparte spricht andere Sinne, Fertig- und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen an. Die Ganztagsschule bietet die Chance, die gesamte Breite an kulturellen und künstlerischen Ausdrucksformen zu vermitteln.

 

Die Kultureinrichtungen aller künstlerischen Sparten sind gefordert, sich offensiv in den Prozess zur Gestaltung der Ganztagsschule einzubringen. Die direkte Begegnung mit Künstlerinnen und Künstler, mit Kunst- oder Bauwerken, das Erlebnis einer Aufführung, das Stöbern in einer Bibliothek eröffnet Kindern und Jugendlichen neue Erlebniswelten. Kultureinrichtungen bilden hier ihr Publikum von morgen.

 

Allen Kindern und Jugendlichen muss die Chance geboten werden, unabhängig vom Einkommen der Eltern an Angeboten der kulturellen Bildung in der Ganztagsschule teilzunehmen. Angebote der außerschulischen kulturellen Bildung sind zumeist kostenpflichtig. Die Ganztagsschule sollte die Möglichkeit bieten, dass unabhängig vom Geldbeutel der Eltern alle Kinder an Angeboten der kulturellen Bildung partizipieren können. Denn Kunst und Spiel sind gemäß der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ein Menschenrecht.

 

Angebote der kulturellen Bildung bedürfen fachlich und pädagogisch geschulten Personals. Nicht jeder, der gerne malt, kann dieses auch Kindern und Jugendlichen vermitteln. Die Fachlichkeit der Träger kultureller Bildung gewährleistet die Fachlichkeit und Professionalität des Personals.

 

Kulturelle Bildung fängt bei der unmittelbaren Lernumgebung an. Die anstehenden Investitionen zum Umbau von Schulen müssen so geplant werden, dass sie ästhetischer Erziehung zuträglich sind. Darüber hinaus müssen die spezifischen Raumerfordernisse für Angebote kultureller Bildung bedacht und entsprechend eingeplant werden. Nur so kann eine qualitativ hochwertige Vermittlung kultureller Bildung gewährleistet werden.

 

Es sollte zudem bedacht werden, dass eine integrierte Ganztagsbildung nicht ausschließlich in der Schule selbst stattfindet. Der Ausbau von Ganztagsschulen bietet die Möglichkeiten der Öffnung von Schule zum Gemeinwesen. In dem Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Theater und andere mehr einbezogen werden, kann die Ganztagsbildung praktisch umgesetzt werden und den Kindern und Jugendlichen neue Erfahrungsräume angeboten werden.

 

In der Aus- und Fortbildung müssen Lehrerinnen und Lehrer aber auch die Fachkräfte der kulturellen Bildung für die gemeinsame Arbeit qualifiziert werden. Die Ganztagsschule eröffnet die Möglichkeit, die zum großen Teil noch bestehende Trennung zwischen schulischem Unterricht am Vormittag und außerschulischen Angeboten am Nachmittag zu überwinden. Damit dieses gelingt, ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und der gegenseitigen Anerkennung der spezifischen Bildungskonzepte erforderlich.

 

Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass es auch bei einem Ausbau der Ganztagsschule weiterhin eine funktionierende Infrastruktur außerschulischer kultureller Bildung geben muss.

 

Die Entwicklung der Ganztagsschule begreift der Deutsche Kulturrat als eine große Herausforderung zur Weiterentwicklung des Bildungssystem. Der Deutsche Kulturrat und die ihm angeschlossenen Verbände wollen mit ihrer Fachlichkeit einen Beitrag zu dieser Innovation im Bildungswesen leisten.

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