Grünbuch der Europäischen Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM 2003 (270) endg.): Positionspapier des Deutschen Kulturrates

Schutz der kulturellen Vielfalt muss im Vordergrund der Überlegungen stehen!

Berlin, den 26.09.2003.

 

I. Präambel

Das kulturelle Leben in Deutschland wird von dem öffentlich geförderten Kultursektor, der Kulturwirtschaft und dem privaten Engagement getragen. Ein großer Teil des kulturellen und kreativen Schaffens besteht aus Dienstleistungen. Sie stellen somit die kulturelle Vielfalt in Deutschland sicher.

 

Daher begrüßt der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, dass die Europäischen Kommission mit der Vorlage eines Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einen umfassenden Konsultationsprozess über das mögliche weitere gesetzgeberische Verfahren eingeleitet hat. Die Zivilgesellschaft erhält damit die Möglichkeit, ihre Position zu diesem sie unmittelbar betreffenden gesellschaftlichen Problemfeld darzustellen.

 

Diese Debatte umfasst den Bereich der kulturellen Dienstleistungen in vielerlei Hinsicht sowohl zwischen als auch innerhalb aller beteiligten Ebenen. Auf der kommunalen Ebene sind Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Musikschulen, Museen oder Theater aktuell von Sparmaßnahmen betroffen. Auch wenn sie nicht als kommunale Pflichtaufgabe verankert sind, sind sie zur kulturellen Dienstleistung im eigentlichen Sinn zu zählen Auf der regionalen (Landes-) oder nationalen Ebene stehen etwa die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder der Filmförderung regelmäßig mit Blick auf das europäische Wettbewerbsrecht und die Wahrung der Binnenmarktregeln zur Diskussion. Im Rahmen der GATS-Verhandlungen kann die angestrebte Liberalisierung sich auf die Finanzierung kultureller Dienstleistungen auswirken, wenn sie nicht als hoheitliche Maßnahme von den horizontalen Bestimmungen ausgenommen werden.

 

Dabei geraten insbesondere solche Einrichtungen, die nicht mehr eindeutig als Dienstleistungen ohne wirtschaftliches Interesse und ohne Auswirkungen auf den Handel einzuordnen sind, unter Druck. Beispielhaft dafür stehen etwa Museen, die in die private Rechtsform einer Stiftung oder gemeinnützigen GmbH überführt wurden.

 

Die Wahrung der kulturellen Vielfalt ist nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der Verfassungen der Bundesländer, sondern auch als Ziel der Europäischen Union in Artikel 3 des Verfassungsvertrags verankert. Im Sinne der sowohl in Deutschland als auch in Europa geforderten Kulturverträglichkeit aller Politikbereiche muss auch die Diskussion um Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in diesem Lichte geführt werden.

 

II. Zum Grünbuch

Die Überschneidungen zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Dienstleistungen im Kulturbereich erschwert eine klare Abgrenzung der Sektoren und deren jeweilige Behandlung. Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen hat in den vergangenen Jahren in vielen Fällen dazu geführt, dass Kultureinrichtungen dazu angehalten wurden, privatwirtschaftliche Rechtsformen anzunehmen und wirtschaftlich tätig zu werden. Erlöse aus diesen wirtschaftlichen Aktivität dienen jedoch fast ausschließlich dazu, den laufenden Betrieb und die Erbringung der eigentlichen kulturellen Dienstleistung sicherzustellen. Daher muss nach dem Subsidiaritätsprinzip entschieden werden können, welche Dienste keine Handelsverzerrung auslösenden kulturellen Dienstleistungen darstellen und bei denen die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts eine nicht verhältnismäßige Maßnahme darstellen würde. Eine „de-minimis“-Ausnahme könnte daher angebracht sein.

 

Eine Besonderheit in Deutschland ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Dessen Finanzierung durch Rundfunkgebühren stellt Unabhängigkeit und Staatsferne sicher und bildet so einen wesentlichen Faktor zur Sicherung des Meinungspluralismus. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland sind außerdem wichtige Kulturanbieter in der Fläche, in Gegenden, in denen ansonsten kein so breites kulturelles Angebot vorgehalten werden kann. Der Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist im Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten (Amsterdamer Protokoll) Rechnung getragen worden. Die hier verankerten Prinzipien können als exemplarisch für den kulturellen Bereich angesehen werden.

 

Zentrales Anliegen des kulturellen Sektors in Deutschland (und in Europa) ist es, der öffentlichen Hand weiterhin die Möglichkeit der Förderung für solche kulturellen Dienstleistungen einzuräumen, die sie politisch zur Wahrung der kulturellen Vielfalt für notwendig erachtet. Dazu ist es nötig, einen Kriterienkatalog aufzustellen, der eine „hochwertige Dienstleistung“ beschreibt und damit eine öffentliche Förderung begründen kann.

 

Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung einer hochwertigen Dienstleistung in diesem Sinne ist das öffentliche Interesse. In Deutschland ist die Verpflichtung der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur in den Länderverfassungen festgeschrieben und somit als öffentliches Interesse sanktioniert.

 

Kultureinrichtungen sowie Einrichtungen der kulturellen Bildung, die zu den hochwertigen Dienstleistungen zählen, müssen folgende qualitative Merkmale erfüllen. Sie müssen eine

  1. Grundversorgung sowie
  2. freie allgemeine Zugänglichkeit sicherstellen.

Die Definition dessen, was mitgliedstaatlich unter Grundversorgung verstanden wird, unterliegt dem Subsidiaritätsprinzip und sollte daher nicht auf der europäischen Ebene festgelegt werden. Innerhalb Deutschlands muss daher darüber debattiert und der Mut gefunden werden, Verantwortungen und Kompetenzen zu benennen und so zur nötigen Transparenz beizutragen. Dabei müssen historische, lokale, regionale, geographische, sozio-ökonomische und demographische Besonderheiten berücksichtigt werden.

 

Unter freier allgemeiner Zugänglichkeit ist insbesondere die Möglichkeit zu verstehen, breiten Bevölkerungsgruppen die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung zu ermöglichen. Eventuelle Gebühren und Eintrittsgelder müssen dementsprechend sozial verträglich gestaltet werden. Durch verstärktes Engagement im Bereich der kulturellen Bildung soll die Basis für Partizipation / Teilhabe an diesem Gut verbreitert werden. Hier sind besonders die Einrichtungen selbst gefordert.

 

Ein Ordnungsrahmen auf der europäischen Ebene müsste diese Elemente der Bürgernähe und der Qualität auf jeden Fall berücksichtigen.

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