Kulturelle Bildung im digitalen Zeitalter

Standortbestimmung des Deutschen Kulturrates zu Kultur und Bildung (Juni 2000)

Berlin, den 15.06.2000. Kultur und Bildung sind wesentliche Bestandteile des menschlichen Daseins. Sie stehen in enger Wechselwirkung und können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Bildung wird erst durch Kultur zu jenem umfassend gemeinten Verständnis von kognitiven, kreativen, ästhetischen, sinnlichen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Die Auseinandersetzung mit Kultur wiederum verlangt Bildung im Sinne des Erkennens, Wiedererkennens und Entdeckens von gesellschaftlichen Deutungsmustern.

 

Kulturelle Bildung meint die aktive Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur. Dies beinhaltet sowohl die aktive Rezeption als auch die eigene kulturelle Praxis. Kulturelle Bildung ist nie abgeschlossen, sondern ein lebensbegleitender Lern- und Auseinandersetzungsprozess des Menschen mit sich, seiner Umwelt und der Gesellschaft.

 

Kulturelle Bildung ist integrales Element von Allgemeinbildung und hat unter anderem die Aufgaben, Menschen in ihrer Persönlichkeitsbildung zu unterstützen sowie deren soziale, kommunikative und kreative Fähigkeiten zu stärken. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Herausforderung durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken von elementarer Bedeutung für den Erhalt gesellschaftlicher Kommunikations- und Integrationsfähigkeit. In den verschiedenen Bildungskontexten (Schule, Hochschule, außerschulische Bildung, Erwachsenen- bzw. Weiterbildung usw.) erhält deshalb die Kulturelle Bildung eine zunehmende Bedeutung.

 

Die unterschiedlichen Orientierungen sowie Zielgruppen in diesen Bildungsbereichen haben zu differenzierten Konzepten der Kulturellen Bildung geführt. So ist Kulturelle Bildung gestaltender Faktor:

  • in der vorschulischen Erziehung in den Kindergärten,
  • in der Schule insbesondere in den Angeboten der künstlerischen Fächer (für Kinder und Jugendliche),
  • in der beruflichen Bildung und in der Hochschule in den Ausbildungs- und Fortbildungscurricula der Professionsentwicklung in allen künstlerischen Ausbildungsgängen (für junge Erwachsene),
  • in der außerschulischen Bildung in künstlerisch-kreativen Angeboten (für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene),
  • in der Erwachsenen- und Weiterbildung in einem breitem Spektrum von Offerten zu Kunst und Kultur sowie künstlerisch-kreativem Gestalten (für Erwachsene).

 

Diese Vielfalt macht das differenzierte Potenzial der Kulturellen Bildung im gesellschaftlichen Kontext deutlich. Kulturelle Bildung ist ein elementarer Teil des lebensbegleitenden Lernens und schafft Zugänge zu neuen Lern-, Lehr- und Arbeitsformen.

 

Kulturelle Bildung und digitales Zeitalters
Die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist eine Herausforderung für die Gesellschaft. Die neuen Technologien tragen dazu bei, dass die ökonomische Globalisierung voranschreitet, die Erwerbsarbeit sich verändert, sich die traditionellen Milieus weiter auflösen.

 

Die Vermittlung von Medienkompetenz ist eine zentrale Aufgabe der Kulturellen Bildung. Medienkompetenz meint hier mehr als rein instrumentelle Fertigkeiten. Es ist vielmehr die Fähigkeit, Informationen zu recherchieren, zu ordnen, zu bewerten, zu verwerten und dabei verschiedenste Medien zu nutzen. Weiter besteht die Aufgabe darin, die gesammelten Informationen schließlich in Wissen zu verwandeln und zur Gestaltung des eigenen Lebens zu nutzen.

 

Kulturelle Bildung erbringt einen Beitrag, die gesellschaftlichen Anforderungen zu bewältigen. Die neuen Medien laden zur spielerischen Auseinandersetzung ein und eröffnen neue ästhetische Möglichkeiten. Die vorhandenen künstlerischen und literarischen Ausdrucksformen werden durch neue bereichert, Mischformen entstehen und ein Wechselspiel erwächst.

 

Kulturelle Bildung und Identität

Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und kultureller Hintergründe gehört zu den Realitäten der modernen Gesellschaften. Kulturelle Bildung kann dazu beitragen, dieses Zusammenleben als eine Chance für die Vergewisserung der eigenen und das Kennenlernen anderer Kulturen zu begreifen.

 

Wird Kulturelle Bildung in einem umfassenden gesellschaftspolitischen Sinn verstanden, kommt gerade ihr die Aufgabe zu, den Menschen zu befähigen, seine eigene kulturelle Identität auszubilden. Und zwar dies sowohl durch eigene sinnlich-ästhetische Praxis als auch durch die aktive Rezeption.

 

Gerade in einer immer stärker zusammenwachsenden Welt, wird kulturelle Bildung immer unverzichtbarer. Nur wer seiner eigenen kulturellen Identität sicher ist, kann dem anderen wirklich offen begegnen.

 

Maßstäbe für eine zukunftsfähige Bildungspolitik

Eine zukunftsfähige Bildungspolitik wird sich daran messen lassen müssen,

  • dass sie den ganzen Menschen mit all seinen Fähigkeiten und Entwicklungspotenzialen fördert,
  • dass sie den Menschen zur Urteilsfähigkeit und zur Auseinandersetzung mit sich, der Gesellschaft und seiner Umwelt befähigt,
  • dass sie breite Zugangschancen unabhängig vom Geschlecht, sozialer Herkunft oder Einkommen zur Verfügung stellt,
  • dass sie für alle Lebensalter kulturelle Bildungsmöglichkeiten bereitstellt und die entsprechenden Bildungseinrichtungen einschließlich der Familie zur Erfüllung dieser Aufgaben in die Lage versetzt.

 

Eine zukunftsfähige Bildungspolitik ist gefordert, die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen und so zur Demokratie beizutragen.

 

Damit dies gewährleistet werden und gelingen kann, ist der Staat in seiner Verantwortung gefordert. Dazu gehört z.B. die Ausstattung von Schulen, Bibliotheken und anderen Lernorten mit entsprechenden Computern, Software und einem Zugang zum Internet. Dies schließt ein, dass die in der kulturellen Bildung Tätigen sich für den Umgang mit den neuen Technologien öffnen und in Fortbildungsangeboten entsprechend geschult werden.

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert Bund, Länder und Kommunen auf, dass die Kulturelle Bildung als wesentlicher Bestandteil der Bildungspolitik weiterentwickelt und verstärkt wird. Die im Deutschen Kulturrat zusammengeschlossenen Bundesverbände der Künstlerinnen und Künstler, Medienschaffenden sowie Autorinnen und Autoren, der Kultureinrichtungen, der Kulturwirtschaft, der Kulturvermittler, der Fachorganisationen des Kulturbereiches und der Vereine des kulturellen Lebens setzen sich gemeinsam für eine zukunftsfähige Bildungspolitik im digitalen Zeitalter ein.

 

Die Stellungnahme wurde vom Sprecherrat des Deutschen Kulturrates am 15.06.2000 verabschiedet.

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