12. KW: Streit: Die Kunst, einen Kompromiss zu erkämpfen

Themen im Newsletter:

  1. Streit: Die Kunst, einen Kompromiss zu erkämpfen
  2. Subskription: „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“ erscheint in der kommenden Woche
  3. Ausblick: Politik & Kultur 4/23
  4. Hörtipp: Kulturpolitischer Salon: Die Kultur hat wieder geöffnet – kehrt das Publikum zurück?
  5. Ungewöhnlich: Tag der Insekten am 30. März
  6. Text der Woche: „Ich hatte nie die Wahl, unpolitisch zu sein“ Porträt der Politikerin Awet Tesfaiesus
  7. Zum Schluss: Botschafter Ron Prosor zu Gast bei Sprecherratssitzung

 


 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

wer kennt sie nicht diese Redensart „Müsst ihr denn immer streiten“. Ich denke, die meisten haben sie schon selbst gehört oder möglicherweise zu den eigenen Kindern gesagt.

 

Streit hat sehr oft eine negative Konnotation: Ein Streithammel, ist jemand, der keine Ruhe gibt, der immer wieder erneut Streit sucht. Streithähne verhaken sich immer wieder aufs Neue und lassen vom Konflikt nicht ab. Doch sind wir ehrlich, ohne Streit wäre das Leben auch irgendwie langweilig. Ein altes Sprichwort sagt, dass Streiten das Salz in der Suppe ist. Und unsere Medienwelt kommt ohne die Prise Streit heute gar nicht mehr aus.

 

Für Zeitungen, Nachrichtenmagazine, Radioformate aber auch Fernsehsendungen, speziell Talkshows, gibt es nichts Besseres als einen ordentlichen Streit. Frei nach dem Motto: „Regierung ist zerstritten über das oder jenes“ oder auch „Keine Einigung in der Koalition zu Thema X“. Je heftiger der Streit umso besser und je höher die Einschaltquote.

 

Und dann kommt irgendwann immer die Aufforderung, sich endlich mal vernünftig zu einigen und aufeinander zuzugehen. Doch was gibt es vermeintlich Langweiligeres als einen Kompromiss. Ihm, dem Kompromiss, haftet der Geruch des Nachgebens, des Einknickens, oft gar von etwas Faulem an. „Fauler Kompromiss“, ist so eine stehende Wendung.

 

Ich möchte aber ein Loblied auf den Streit und auf den Kompromiss zu singen. Denn beide, Streit und Kompromiss, gehören für mich zusammen. Ohne Streit, kein Ringen um die beste Lösung. Und ohne dieses Ringen keine beste Lösung, die alle das Gesicht wahren lässt, der Kompromiss.

 

Es gibt ein „Märchen“ oder eine Erzählung in der Kulturpolitik, die auch von den Akteuren selbst immer wieder gerne bemüht wird. Sie lautet: Alle Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker sind doch eigentlich einer Meinung und es gehe nur darum, die anderen außerhalb der kulturellen Welt von der Bedeutung der Kultur zu überzeugen. Diese Aussage ist falsch: Es gibt in der Kulturpolitik durchaus sehr unterschiedliche Meinungen und damit notwendigerweise auch Streit.

 

In der Kulturpolitik geht es zum Beispiel um Fragen der sozialen Sicherung z.B. der Sozialversicherung für die Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Künstlersozialversicherung. Die einen die Künstlerinnen und Künstler haben etwas davon, sie sind im Rahmen der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung in der Künstlersozialversicherung pflichtversichert und müssen, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nur die Hälfte der Beiträge bezahlen, obwohl sie selbstständig sind. Die anderen, die Verlage, die Galerien und andere Kulturveranstalter, zahlen einen großen Teil des Arbeitgeberbeitrages für die Künstlersozialversicherung, obwohl die Künstler nicht ihre Angestellten sind. Der Streit ist hier vorprogrammiert!

 

Um allen Missverständnissen vorzubeugen, ich bin ein absoluter Fan der Künstlersozialversicherung und halte sie für eine kulturpolitische Meisterleitung, aber ohne produktiven Streit würde sie nicht überleben. Denn ein Aushandeln der unterschiedlichen Interessen ist für die Stabilität der Künstlersozialkasse zwingend notwendig. Die Interessen müssen in eine Waage gebracht werden.

 

Oder das Urheberrecht: die einen verdienen ihr Geld mit der Verwertung künstlerischer Werke, also die Künstler und auch die Verlage, Musiklabels, Filmproduktionen und andere mehr. Sie haben nichts zu verschenken, sondern ihr Broterwerb ist, Kunst gegen Entgelt zugänglich zu machen. Die anderen, Museen, Bibliotheken oder auch Archive, sind öffentlich gefördert und vom Anspruch getrieben, Kunst und Kultur auch im digitalen Raum möglichst kostenfrei zugänglich zu machen. Auch hier kommt es zwangsläufig zu heftigem Streit untereinander. Aber auch dieser Streit ist notwendig, um die verschiedenen Interessen abgleichen zu können.

 

Dies sind nur zwei exemplarische Beispiele von kulturpolitischen Konflikten oder Streitthemen, die uns, den Deutschen Kulturrat, beschäftigen. Nicht der Streit um ein Einfaches richtig oder falsch, sondern der Streit um Interessenlagen. In der zweiten Phase geht es darum, die jeweils andere Position zu verstehen, die Hintergründe zu erkennen, teils auch die dahinterstehenden Zwänge, seien sie ökonomischer oder anderer Art zu begreifen. Und schließlich kommt die Königsdisziplin: einen Kompromiss zu formulieren, einen Kompromiss, der die verschiedenen Interessen oder auch Schmerzgrenzen respektiert, einen Kompromiss, der aus der Vielzahl an Meinungen und Positionen etwas Drittes, Gemeinsames herausarbeitet.

 

Sehr oft bildet für einen solchen Kompromiss eben ein Streit, gerne auch pointiert, die Voraussetzung. Je klarer die Positionen formuliert werden, desto einfacher kann abgeschätzt werden, wo Kompromisslinien gefunden werden können. Eine weitere unverzichtbare Voraussetzung für einen Kompromiss ist die Bereitschaft, sich überhaupt auf einen Kompromiss einzulassen. Es braucht Verhandlungsbereitschaft und eine Bereitschaft, die Interessen der anderen Partei anzuerkennen.

 

Ein ausgehandelter Kompromiss, der diese Voraussetzungen berücksichtigt, ist tragfähig und kann, so ist es meine Aufgabe im Deutschen Kulturrat, gegenüber Politik und Verwaltung vertreten werden. Er ist eben kein „fauler“ Kompromiss, sondern das Ergebnis einer ernsthaften Auseinandersetzung um den besten Weg.

 

Ihr

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Das Editorial ist eine stark verkürzte Version meiner Festrede zur Eröffnung des  Jahresprogramm über die Konstruktivität des Streits der Franckeschen Stiftungen in Halle am vergangenen Samstag. Die gesamte Rede kann hier nachgelesen werden.

 


 

2. Subskription: „Mein kulturpolitisches Pflichtenheft“ erscheint in der kommenden Woche

Werte, Kunst, Medien, Handel, Bildung, Religion, Erinnerung, Digitales, Natur, Nachhaltigkeit

 

Olaf Zimmermann
Mein kulturpolitisches Pflichtenheft
978-3-947308-38-5, 216 Seiten

 

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3. Ausblick: Politik & Kultur 4/23

 

Die kommende April-Ausgabe von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, befasst sich im Schwerpunkt ausführlich mit dem Thema „Künstliche Intelligenz: Welche Rolle spielt KI für die Kultur?“. Fragen, mit denen sich die Beiträge auseinandersetzen, sind unter anderem: Was ist Künstliche Intelligenz (KI)? Wie findet KI bereits jetzt Anwendung in den einzelnen Sparten des Kulturbereiches? Welche Zukunftsprognosen gibt es? Was gilt es – auch im Urheberrecht – nun zu tun? Online erscheint Ausgabe 4/23 bereits Mitte nächster Woche.

 


 

4. Hörtipp: Kulturpolitischer Salon: Die Kultur hat wieder geöffnet – kehrt das Publikum zurück?

 

Masken und Impfnachweis sind nicht mehr nötig, die Zuschauerzahl ist nicht mehr begrenzt: Nach Jahren der Corona-Einschränkungen scheint auf den deutschen Bühnen alles wieder wie früher zu laufen. Doch mit Inflation, steigenden Energiekosten und Tarifsteigerungen stehen neue Probleme ins Haus.

 

Es diskutieren: Ulrich Khuon, Intendant Deutsches Theater Berlin, Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin Deutscher Bühnenverein, Dorte Lena Eilers, Theaterkritikerin, Bettina Jahnke, Intendantin Hans Otto Theater Potsdam; Moderation: Hans Dieter Heimendahl

 

Aufzeichnung vom 16.03.2023, Deutsches Theater Berlin

Der Kulturpolitische Salon ist eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur, dem Deutschen Bühnenverein, dem Deutschen Kulturrat und dem Deutschen Theater Berlin.

 

 


 

5. Ungewöhnlich: Tag der Insekten am 30. März

 

Am 30.03.23 veranstaltet Insect Respect® den 4. Tag der Insekten in Berlin – mit dem Ziel die Beziehung zwischen Mensch und Insekt neu zu denken und zu gestalten. Dieses Jahr wird das Handeln in den Fokus gerückt. Die Speakerinnen und Speaker setzen wichtige Impulse, um die Förderung von Insekten zu beschleunigen. Verschiedene Radical Practice Stories zeigen, wie mutige Projekte für den Schutz der kleinen Tiere gelingen können.

 

Wann: 30.03.2023, 9 – 21 Uhr
Wo: Umweltforum Berlin

 

Unter anderem:

 

18:00 – 18:20
Ich sehe was, das du nicht siehst – ein kultureller Blick auf Insekten –
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

 

 


 

6. Text der Woche: „Ich hatte nie die Wahl, unpolitisch zu sein“ Porträt der Politikerin Awet Tesfaiesus

 

„‚Ich bin nicht Stiller!‘ Dieser Satz von James Larkin White, dem Protagonisten in Max Frischs Roman ‚Stiller‘, steht – längst losgelöst vom Bestseller – als Synonym für Menschen auf Identitätssuche. ‚Wohin gehöre ich? Ich bin anders.‘ Im Gymnasium in Ladenburg bei Heidelberg wurde die ‚Stiller‘-Lektüre für eine Schülerin wesentlich in ihrer Auseinandersetzung mit der eigenen Situation. Denn Awet Tesfaiesus war in ihrem kleinen kurpfälzischen Heimatdorf eine Ausnahme. Dabei wurde ihr schnell bewusst, dass ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Identität gesellschaftliche und politische Dimensionen hat. …“

 

Autor des Porträts: Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.

 

 


 

7. Zum Schluss: Botschafter Ron Prosor zu Gast bei Sprecherratssitzung

 

Am Mittwoch tagte unser Sprecherrat, das höchste Gremium des Deutschen Kulturrates. Zu Gast war der Botschafter des Staates Israel Ron Prosor. Wir hatten eine intensive Diskussion über Antisemitismus und Antizionismus im Kulturbereich. Die Kampagne BDS = Boycott, Divestment and Sanctions („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) wird vom Deutschen Kulturrat sehr kritisch gesehen. Die Parlamente und Regierungen von Deutschland, Österreich und Tschechien haben die BDS-Kampagne als antisemitisch eingestuft. Das israelische Künstler in Deutschland nach Boykottaufrufen des BDS nicht mehr eingeladen werden, ist absolut nicht hinnehmbar.

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