Zur Zukunft des Urheberrechts – Positionspapier des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 04.10.2012. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat sich in den vergangenen zehn Jahren vielfach zu Fragen des Urheberrechts positioniert. Insbesondere hat der Deutsche Kulturrat mit seinem Aufruf „Für kulturelle Vielfalt im Internet“ im Jahr 2012 unterstrichen, welche Bedeutung das Urheberrecht für den Kulturbereich hat.

 

Im Deutschen Kulturrat haben sich die Verbände der Künstler, der Kultureinrichtungen, der Kulturvereine und der Kulturwirtschaft aller künstlerischen Sparten zusammengeschlossen. Im Deutschen Kulturrat sind daher alle Bereiche des kulturellen Lebens vertreten. In seinen Stellungnahmen, Resolutionen und Positionspapieren stellt der Deutsche Kulturrat den Konsens dieser verschiedenen Akteure des Kulturbereichs dar.

 

Der Deutsche Kulturrat misst den Künstlern, als Urheber neuer Werke oder auch als Interpreten von Werken, eine herausragende Bedeutung zu. Neue Werke entstehen durch das Schaffen von Künstlern.

 

Das Thema Urheberrecht hat in den letzten Jahren in der gesellschaftlichen Debatte zunehmend an Bedeutung gewonnen. In der analogen Welt wurden urheberrechtliche Fragen vor allem von Experten diskutiert und betrafen in erster Linie Künstler, Kultureinrichtungen und Unternehmen der Kulturwirtschaft. Das Urheberrecht war in erster Linie für Urheber, als Schöpfer von Werken, Verwerter und professionelle Nutzer von Bedeutung. Die Debatte fand weitgehend innerhalb des Kulturbereichs statt. Der private Nutzer kam in der Regel wenig mit dem Urheberrecht in Berührung.

 

Wert geistiger Arbeit

Heute in der digitalen Welt geht das Urheberrecht jedermann an. Die Auseinandersetzung um das richtige Urheberrecht wird in einer breiten Öffentlichkeit geführt und hat eine politische Bedeutung gewonnen, die noch vor wenigen Jahren nicht vorstellbar war, denn das Internet ermöglicht die schnelle Bereitstellung von künstlerischen und journalistischen Werken.

 

Wird nur 15 Jahre zurückgeblickt, so ist festzuhalten, dass insbesondere von Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums seit der Mitte der 1990er-Jahre verschiedene Initiativen ergriffen wurden, um die Akzeptanz des Internets zu stärken und die Nutzung zu verbreitern. Angefangen vom „Forum Info 2000“ und dem „Forum Informationsgesellschaft“ wurden durch verschiedene breit angelegte Kampagnen die Vorteile des Internets herausgestrichen und die Potentiale zur Entwicklung der Wissensgesellschaft betont. In diesem Zeitraum entstand das weit verbreitete Missverständnis, ein freier Zugang zu Informationen und Werken bedeute zugleich, dass diese Werke kostenlos zu haben seien.

 

Die Internetwirtschaft konnte sich nicht zuletzt aufgrund der verstärkenden politischen Rückendeckung entwickeln. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wurde teilweise vor allem als „Rohstoffquelle“ für die Internetwirtschaft gesehen. Der Wert geistiger – künstlerischer oder wissenschaftlicher – Arbeit und die Umstände der Entstehungsprozesse von Werken wurden dabei nicht in den Blick genommen. Künstler oder auch Unternehmen der Kulturwirtschaft, die eine adäquate Entlohnung für ihre Leistungen einforderten, gerieten zunehmend in Verdacht, gegen Nutzer zu handeln. Das Urheberrecht schien auf einmal vor allem ein Recht zu sein, dass Nutzungen verhindert und nicht welche ermöglicht. Die Komplexität des Rechts macht es allerdings den privaten Nutzern auch schwer, nachzuvollziehen, welche Nutzungen erlaubt sind und welche nicht.

 

Mit diesem Positionspapier stellt der Deutsche Kulturrat seine Positionen zum Urheberrecht vor.

 

Grundlagen des Urheberrechts

Urheberrecht als Menschenrecht

Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 sichert jedem Menschen das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben zu. Art. 27 Abs. 2 der Erklärung garantiert den Urhebern das Recht auf Schutz ihrer geistigen und materiellen Interessen. Das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben und das Urheberrecht sind also international anerkannte Menschenrechte, die in eine Balance zu bringen sind. Sie wurden in Art. 15 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966 bekräftigt.

 

Urheberrecht als internationales Recht

Bereits im Jahr 1886 wurde die „Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst“ als völkerrechtlicher Vertrag verabschiedet. Die „Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ) aus dem Jahr 1908 sieht insbesondere den Grundsatz der Inländerbehandlung sowie bestimmte Mindestgarantien für Urheber aus den Verbandsländern vor. Daneben besteht eine Reihe von weiteren internationalen Verträgen. Dennoch gibt es kein weltweites Urheberrecht, sondern aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes nur ein Bündel von nationalen Urheberrechten.

 

Urheberrecht als europäisches Recht

Auch ein einheitliches europäisches Urheberrecht gibt es bisher nicht. Allerdings hat die Europäische Union acht Richtlinien erlassen, die Teilbereiche des Urheberrechts in den Mitgliedstaaten harmonisieren. Von besonderer Bedeutung für die digitale Welt ist dabei die Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ aus dem Jahr 2001.

 

Urheberrecht als nationales Recht

Das deutsche Urheberrecht basiert im Wesentlichen auf dem Urheberrechtsgesetz aus dem Jahr 1965. Es statuiert zuerst den Schutz der künstlerischen Werke sowie im Urheberpersönlichkeitsrecht die unverbrüchliche Beziehung zwischen Urheber und Werk. Allein der Urheber hat das Recht zu bestimmen, ob und in welcher Form sein Werk veröffentlicht werden kann. Ebenso bestimmt der Urheber, welche Nutzungen erlaubt sind und welche gegebenenfalls nicht. Von zentraler Bedeutung sind ferner das Urheberpersönlichkeitsrecht und hier insbesondere die Nennung des Urhebers bei der erlaubten Bearbeitung und das Verbot der Verstümmelung von Werken. Weiter wird im Urheberrecht das materielle Recht des Urhebers geregelt. Der Urheber muss einen materiellen Nutzen aus der Verwertung seines Werkes ziehen können. Das Recht der Urheber wird im Interesse der Allgemeinheit durch die Schrankenregelungen begrenzt. Zu den Schrankenregelungen gehören unter anderem das Zitatrecht, das sogenannte Schulbuchprivileg und das Vervielfältigungsrecht zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch. Im Urheberrechtsgesetz ist auch das Leistungsschutzrecht geregelt. Leistungsschutzberechtigte sind die ausübenden Künstler, die ein Werk aufführen, sowie die Hersteller, die Werke produzieren und verbreiten.

 

Das Urheberrecht dient dem Schutz des Künstlers und seines Werks sowie dem Entstehen neuer Werke. Dieser Schutz muss in der digitalen Welt, in der territoriale Grenzen keine Rolle mehr spielen, aufrechterhalten und verbessert werden.

 

Aktuelle Anforderungen im Urheberrecht

Durch die Digitalisierung haben sich die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen sowie -gewohnheiten von Kunst und Kultur grundlegend verändert. Künstlerische Werke sind vermeintlich überall verfügbar. Private Nutzer sind in ganz neuem, bisher unbekanntem Maße gefordert, sich damit zu befassen, ob es sich bei den ihnen angebotenen Werken um legale oder illegale Angebote handelt. Daraus sind Konfrontationen zwischen dem Kulturbereich und den Nutzern entstanden. Es geriet fast in Vergessenheit, dass Künstler grundsätzlich wollen, dass ihre Musik, ihre Texte, ihre Bilder, ihre Filme gehört, gelesen oder gesehen werden. Sie wollen aber zuerst gefragt werden, wo und wie ihre Werke präsentiert werden. Sie wollen ebenso eine angemessene Entlohnung für diese Nutzungen.

 

Im Mittelpunkt der Urheber

Im Mittelpunkt des Urheberrechts stehen der Urheber und seine Beziehung zum Werk. Allein der Urheber kann und muss entscheiden, ob er aus der Nutzung seiner Werke einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen und diesen in Zusammenarbeit mit einem Verwerter realisieren will. Viele Urheber können nur mit einem Verwerter ihre Werke in die Öffentlichkeit bringen. Jedem Urheber ist es rechtlich unbenommen, seine Werke kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ebenso muss aber auch respektiert werden, wenn Urheber nicht wollen, dass ihre Werke kostenfrei genutzt oder aber weiterverwendet bzw. bearbeitet werden. Der Deutsche Kulturrat ist der Überzeugung, dass der Schutz des Urhebers und seines Werks sowie sein Recht, über das Ob und Wie der Nutzung zu entscheiden, ein unverrückbarer Grundsatz des Urheberrechts ist.

 

Angemessene Vergütung

Für die Nutzung von künstlerischen Werken ist eine angemessene Vergütung unverzichtbar. Dieses gilt sowohl in den Vertragsbeziehungen zwischen Urhebern und Verwertern als auch mit Blick auf die Nutzer. Zur Stärkung der rechtlichen Stellung der Urheber gegenüber den Verwertern wurde vor zehn Jahren das Urhebervertragsrecht (Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung der Urheber und ausübenden Künstler) beschlossen. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten das Urhebervertragsrecht vom Gesetzgeber ergebnisoffen evaluiert wird. Aus dieser Evaluierung müssen möglichst schnell Konsequenzen gezogen werden.

 

Vereinfachung für Werknutzungen für Schule, Bildung und Wissenschaft

Neues geistiges Schaffen setzt regelmäßig die Auseinandersetzung mit vorhandenen Werken voraus. Dem wird durch das Recht der freien Benutzung und einem differenzierten Schrankenkatalog im Urheberrecht Rechnung getragen. Besonders kontrovers wurden im Rahmen des letzten Gesetzgebungsverfahrens Schrankenregelungen zu Gunsten von Bildung und Wissenschaft diskutiert. Die geltenden Regelungen sind weiterhin umstritten. Der Deutsche Kulturrat fordert dazu auf, die Schrankenregelungen zu Gunsten von Bildung und Wissenschaft auf eine mögliche Vereinfachung hin zu überprüfen und soweit erforderlich neue Lizenzierungs- und Vergütungsmodelle zu diskutieren. Hierbei darf die angemessene Vergütung der Urheber nicht in den Hintergrund treten. Weiter ist angemessen zu berücksichtigen, dass es Werke gibt, die ausschließlich für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich hergestellt wurden.

 

Teilhabe an Kunst und Kultur

Ebenso wie das Urheberrecht ist auch das Recht auf Teilhabe an Kunst und Kultur ein Menschenrecht. Das Internet eröffnet ganz neue Chancen der Teilhabe, die es zu nutzen gilt. Kultur- und Bildungseinrichtungen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur kulturellen Teilhabe eines jeden Bürgers und zur Bewahrung des kulturellen Erbes. Sie können durch das Internet diesen gesellschaftlichen Wert erhöhen, wie z.B. der gemeinsame Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek als Teil der Europeana durch Bibliotheken, Archive und Museen eindrucksvoll belegt. Das Urheberrecht bietet ihnen dazu jedoch nicht den erforderlichen Rechtsrahmen. Der Deutsche Kulturrat fordert deshalb, den erforderlichen Rechtsrahmen zu schaffen, um unter Einbeziehung der Verwertungsgesellschaften die Nutzung von verwaisten und vergriffenen Werken in Bibliotheken und Archiven sowie der Deutschen Digitalen Bibliothek zu ermöglichen.

 

Privatkopie im digitalen Zeitalter

Auch im digitalen Bereich bleibt die Privatkopie zulässig. Dem trägt das Urheberrecht bereits jetzt Rechnung. Daran ist auch in der digitalen Welt festzuhalten. Allerdings muss eine angemessene Vergütung für die Anfertigung von Privatkopien sichergestellt werden. Der Deutsche Kulturrat setzt sich deshalb für eine Verbesserung des bestehenden Systems der Geräte- und Speichermedienvergütung u.a. durch die Einführung einer Hinterlegungspflicht für gesetzliche Vergütungsansprüche ein. Ferner sind neue gesetzliche Vergütungsansprüche für Werknutzungen neuer Formen z.B. im Rahmen des cloud computing zu prüfen.

 

Verwertungsgesellschaften

Verwertungsgesellschaften sind Selbsthilfeorganisationen der Künstler und Rechteinhaber. Sie dienen dazu, Rechte wahrzunehmen und Vergütungen einzuziehen, die der Einzelne nicht effektiv wahrnehmen kann. Ferner nehmen sie kulturelle und soziale Aufgaben wahr. Verwertungsgesellschaften sind als zentrale Anlaufstellen bei der Rechtevergabe und bei der Sicherung einer angemessenen Vergütung in der digitalen Welt besonders wichtig. Sie unterliegen der Kontrolle durch ihre Mitglieder und die gewählten Gremien sowie der rechtlichen Aufsicht durch das Deutsche Patent- und Markenamt. Sie sind international vernetzt. Die Aufgaben der Verwertungsgesellschaften in Deutschland müssen auch in Zukunft beibehalten werden können. Das gilt es insbesondere bei der weiteren Beratung des kürzlich vorgelegten EU-Richtlinienvorschlags über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten sicherzustellen. Der Deutsche Kulturrat fordert, die Kompetenz der Verwertungsgesellschaften für neue Vergütungsmodelle vermehrt zu nutzen und ihre Position zu stärken. Die Aufgaben der Verwertungsgesellschaften nach dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz müssen auch unter Geltung einer zukünftigen EU-Richtlinie beibehalten werden können.

 

Verständlichkeit des Rechts

Da heute in zunehmendem Maße die privaten Nutzer unmittelbar mit dem Urheberrecht konfrontiert sind, muss das Recht verständlich sein und allen Beteiligten in weitaus stärkerem Maße vermittelt werden. Jeder Nutzer muss die Grundprinzipien des Rechts verstehen und damit einhalten können. Der Deutsche Kulturrat ist daher der Auffassung, dass ein verständlicher Text des Urheberrechtsgesetzes in der digitalen Welt unumgänglich ist.

 

Neue Geschäftsmodelle

Die Entwicklung von Geschäftsmodellen ist nicht in erster Linie eine Frage des Urheberrechts, sondern der Investition in künstlerische Leistungen und der Erwartung, daraus einen wirtschaftlichen Gewinn ziehen zu können. An der Produktion und Verwertung von geschützten Werken sind je nach künstlerischer Sparte unterschiedlich viele Menschen und Unternehmen beteiligt. In manchen künstlerischen Bereichen bestehen Verwertungsketten. Die einzelnen Glieder der Verwertungskette machen die Investitionen in künstlerische Werke und Leistungen erst möglich. Auch im Internet steigt die Zahl der kommerziellen Angebote von Werken stetig an. Um Investitionen tätigen zu können und Innovationen zu ermöglichen, brauchen die Unternehmen einen verlässlichen Rechtsrahmen. Gleichzeitig verdienen solche Geschäftsmodelle keinen Schutz, die darauf aufbauen, dass Werke von Künstlern und anderen Rechteinhabern intensiv genutzt aber nicht vergütet werden. Der Deutsche Kulturrat ermutigt die Unternehmen, weiter in neue Geschäftsmodelle zu investieren, um die Breite und Vielfalt von Angeboten im Internet zu vergrößern. Der Deutsche Kulturrat fordert die Schaffung eines verlässlichen Rechtsrahmens, um solche Investitionen zu ermöglichen und zugleich den Schutz der Interessen von Urhebern und Leistungsschutzberechtigten zu gewährleisten.

 

Rechtsdurchsetzung

Ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik ist zur Rechtsdurchsetzung verpflichtet. Es muss allerdings auch ein angemessenes Verhältnis zwischen Rechtsdurchsetzung und Rechtsverletzung bestehen. Alle Akteure müssen Verantwortung zur Durchsetzung des Rechts übernehmen. Es ist nicht allein Aufgabe der Künstler oder der Unternehmen der Kulturwirtschaft, sich für die Sicherung ihrer Rechte stark zu machen. Auch die Internetwirtschaft ist gefordert, ihren Part zu übernehmen. Ebenso sollten die privaten Nutzer ein Interesse an rechtsstaatlichen Grundsätzen im Netz haben. Der Deutsche Kulturrat ist daher der Auffassung, dass es dringend effektiver Regelungen zur Rechtsdurchsetzung im internationalen Kontext bedarf. Hierzu gehört in besonderem Maße eine verstärkte Haftung der Host-Provider bei Urheberrechtsverletzungen. Weiter sind die Anbieter von Bezahlsystemen gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, damit sie nicht zur Bezahlung illegal angebotener Inhalte genutzt werden.

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