Darstellende Künste für junges Publikum: Zugänge schaffen, Ensembles stärken und Strukturen implementieren

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 13.02.2019. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, positioniert sich in der Regel zu spartenübergreifenden Fragen. Zur kulturellen Bildung hat er bereits in verschiedenen Papieren und Resolutionen unter spartenübergreifendem Blickwinkel Stellung genommen. In dieser Stellungnahme werden speziell die Darstellenden Künste in den Blick genommen.

 

Die Darstellenden Künste entwickeln und erarbeiten machen schulische und außerschulische Angebote für Kinder und Jugendliche, Familien und Gruppen. Das Kinder- und Jugendtheater in all seiner künstlerischen Vielfalt und thematischen Breite ist ein wichtiger Bestandteil der Theaterlandschaft in Deutschland. Aufführungen im Schauspiel, Tanz, Musik- und Figurentheater für junges Publikum ebenso wie Performances und Theater im öffentlichen Raum entstehen in Stadt- und Staatstheatern, an Landesbühnen, in den freien Darstellenden Künsten, im Amateur- und Schultheater. Professionelle Darstellende Künste für junges Publikum sind per se kulturelle Bildung. Die künstlerische Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen findet in professionellen Kontexten ebenso statt wie im Amateur- und Schultheater. Beide ergänzen und inspirieren einander. Vermittlungsangebote und Tanz-/Theaterpädagogik sowie Projekte im Theaterunterricht an Schulen erweitern die Arbeit der Theater und schaffen Zugänge für Kinder, Jugendliche, Familien und Multiplikatoren und Multiplikatorinnen.

 

Festzustellen ist aber, dass die vorhandenen Infrastrukturen, Förderinstrumente und finanziellen Ressourcen dem besonderen Stellenwert des jungen Publikums und dem Engagement und der Professionalität der dort tätigen Künstler und Künstlerinnen nicht gerecht werden.

 

Aktuelle Statistiken des Deutschen Bühnenvereins, des Verbandes der Kinder- und Jugendtheater (ASSITEJ) und des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste (BFDK) bestätigen aus unterschiedlichen Perspektiven folgende zentrale Befunde, aus denen wir Forderungen an die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik ableiten:

 

  • In den Darstellenden Künsten für junges Publikum sind an den Stadt- und Staatstheatern im Verhältnis zum Gesamtbetrieb wenige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt, die eine hohe Anzahl von Produktionen, Vermittlung und begleitenden Angeboten für Kinder, Jugendliche und Multiplikatoren und Multiplikatorinnen anbieten. Oftmals werden diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei gleicher beruflicher Qualifikation und hohen Anforderungen deutlich geringer bezahlt als Kolleginnen und Kollegen in anderen Sparten.
  • Die Darstellenden Künste für junges Publikum sind zunehmend auf Projektförderung angewiesen. Dies bedeutet regelmäßig eine strukturelle und personelle Überforderung.
  • Abseits von Metropolen fehlen Spielstätten, Auftrittsmöglichkeiten, Gastspielförderung und Vermittlungsangebote, so dass weder ein zuverlässiges und flächendeckendes, noch ein für verschiedene Altersgruppen differenziertes Angebot gewährleistet werden kann.
  • Professionelle Produktionen der Freien darstellenden Künste, die (auch) ein junges Publikum ansprechen, sind für die freien Tanz- und Theatermacherszene in Deutschland von zentraler Bedeutung. Das künstlerische Schaffen im Bereich der kulturellen Bildung, oftmals projektfinanziert und mit geringen Honorarsätzen, wird dabei jedoch zumeist als zusätzliche Aufgabe wahrgenommen und eher nicht in das künstlerische Programm integriert.
  • Aktivitäten der Amateurtheater sprechen vermehrt Kinder und Jugendliche als Akteure und Publikum an, häufig ohne vor Ort auf professionelle Strukturen (Theater, Produktionshäuser) als Bezugspunkte ihrer Arbeit zurückgreifen zu können.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher:

  1. Tanz und Theater mit Kindern und Jugendlichen sowie für junges Publikum als kulturpolitische Schwerpunktsetzung in der Theaterlandschaft Deutschlands und in allen Tanz- und Theaterverbänden zu formulieren, auf allen politischen Ebenen zu konzeptionieren und in allen Praxen der Darstellenden Künste umzusetzen, um jedem Kind und jedem Jugendlichen mindestens zwei Mal im Jahr ein Tanz- und Theatererlebnis zu ermöglichen. Rezeption, Produktion und Partizipation sind in den Darstellenden Künsten für und mit Kindern und Jugendlichen eng verbunden;
  2. die Schaffung professioneller „Produktionszentren für die Darstellenden Künste für junges Publikum“, insbesondere auch für den Tanz mit seinen spezifischen Bedingungen! Nur so wird eine weitere Professionalisierung und quantitative Ausweitung dieses sich dynamisch entwickelnden Bereiches ermöglicht. Nur so werden bestehende strukturelle Defizite ausgeglichen und Expertise gebündelt;
  3. dass die Stadt- und Staatstheater sowie die Landesbühnen ihrer Verantwortung für ein differenziertes, ganzjähriges Programm für junges Publikum gerecht werden. Dabei sind Tanz, Theater, Performance, Figurentheater, sparten- und genreübergreifende Formate zu berücksichtigen. Die Rechtsträger der Theater sind aufgefordert, dafür zusätzliche personelle, strukturelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen;
  4. die verstärkte Förderung von Kinder- und Jugendtheater in allen Förderprogrammen für die freien Darstellenden Künste;
  5. die Schaffung von Spielstätten in Klein- und Mittelstädten mit entsprechender finanzieller Ausstattung, die niedrigschwellig für verschiedene Publikumsgruppen zugänglich sind und flexibel bespielt werden können sowie professionell für alle Kunstsparten ausgestattet sind;
  6. die Entwicklung kommunaler Konzepte für ganzjährige Programme der Darstellenden Künste für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen. Das Programm muss professionell betreut und kuratiert sein und sollte alle klassischen Sparten sowie interdisziplinäre Spielarten der Darstellenden Künste zeigen. Damit einhergehen muss eine intensive Zusammenarbeit mit Schulen, die Verankerung in den Curricula, die Verankerung der Darstellenden Künste als künstlerisches Schulfach und der Dialog mit anderen Akteuren der kulturellen Bildung vor Ort. Kommunale Strategien und Bildungspläne auf Landesebene müssen die Voraussetzungen schaffen, um jedem Kind und jedem Jugendlichen in Deutschland mindestens zwei Theaterbesuche pro Jahr zu ermöglichen;
  7. den Ausbau der vorhandenen Gastspielförderung des Nationalen Performance Netzes (NPN) insbesondere für Produktionen für junges Publikum und die Entwicklung ähnlicher, wirkungsvoller Instrumente auf Länderebene! Dabei sollen Vorgaben für Honoraruntergrenzen ebenso berücksichtigt werden wie eine angemessene Finanzierung für Produktionsdramaturgie, Organisation sowie begleitende Vermittlung und eigenständige tanz- und theaterpädagogische Formate;
  8. die größere fachliche Reflexion der Aufführungspraxis mit Kindern und Jugendlichen im Dialog mit der Arbeit professioneller Tanz- und Theaterschaffender innerhalb der Theaterlandschaft und ihrer Verbände;
  9. die curriculare Verankerung der Darstellenden Künste für junges Publikum in der Aus- und Weiterbildung der diversen Berufsfeldern wie bspw. Choreographie, Dramaturgie, Figurenspiel, Regie, Schauspiel, Tanz, Theaterpädagogik;
  10. dass die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Darstellenden Künste für junges Publikum und ihres Beitrags zur Theaterlandschaft in Deutschland sich in einer angemessenen Bezahlung der Akteure und Akteurinnen, einer besseren finanziellen Ausstattung ihrer Strukturen und einer breiten Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen abbilde.

 

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